Ziel von Infografiken ist es, möglichst ohne Anleitung verstanden zu werden – Kommunikation ist schon unter einfacheren Bedingungen gescheitert: Heilige und Apostel, als Merkhilfen auf Fingerglieder gemalt.

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Ein prototypischer Kerl war 1955 "Joe, der durchschnittliche amerikanische erwachsene Mann". Industriedesigner Henry Dreyfuss benutzte ihn, um optimale Abstände für Lenkräder oder Höhen für Sitze zu errechnen.

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Als Sebastian Kurz Anfang des Jahres Pläne schmiedete, die Statistik Austria enger an sein Bundeskanzleramt zu binden, war der Aufschrei groß. Sein nämliches Interesse aber auch. Statistische Erhebungen des aktuellen Standes dienen nämlich nicht nur als Arbeitsgrundlage etwa für eine Regierung. Sie machen deren exekutives Wirken im Gegenzug kontrollierbar. Nach einiger Zeit sind sie Bemessungsgrundlage für deren Erfolg. Wurden die richtigen Aktionen gesetzt? Ist eine Entlastung effektiv?

Besonders angetan hatte es Kurz also die Presseabteilung des Zahlenhorts. Nur Statistiken, die man versteht, sind etwas wert. Sie müssen dem Bürger daher möglichst nahe gebracht werden – oder eben nicht. Information bedeutet Macht, und selbige zu teilen, steht einer Demokratie gut an.

Daten strömen aber auch abseits staatlicher Verwaltung. Wir sind umgeben von so vielen Informationen über unsere Welt wie nie zuvor. Sie fließen ein in Karten, Modelle, Tabellen und sollen dienstbar werden. Sagt ein Bild mehr als tausend erklärende Worte, ist Informationsgrafik im Spiel.

Sie ist viel älter als das Wort dafür. Die alten Römer meißelten Stadtpläne in Steinplatten, die sie an Fassaden befestigten. Auch das notiert der jüngste und üppige Band History of Information Graphics (Taschen). Seine Herausgeber Sandra Rendgen und Julius Wiedemann definieren Informationsgrafik als "Verfahren zur Herstellung und Weitergabe von Wissen" und versammeln prächtige Exempel der westlichen Kultur ab dem Mittelalter. Etwa Ahnentafeln von Herrscherhäusern, die ab 1170 zunehmend floral umrankt sind und somit die Idee von Genealogie als Stammbaum belegen.

Von frühem Einfallsreichtum zeugt ebenso eine anatomische Skizze des englischen Chirurgen John Arderne von 1430: ein Mensch hält sich mit den Händen den aufgeschnittenen Brustkorb weit auf, um uns in seine leuchtend rosaroten Gedärme schauen zu lassen. 1555 studierte der französische Naturforscher Pierre Belon dann Skelette. Dabei zeichnete er das eines Menschen und das eines Vogels auf und versah einander entsprechende Knochen mit denselben Buchstaben. Parallelen und Unterschiede wurden damit sofort greifbarer und benennbarer.

Flüsse von Hirnschmalz

Es schlagen sich in dem Buch auf über 400 großformatigen Seiten laufend neue Trends und Notwendigkeiten nieder. In den folgenden Jahrhunderten nahmen etwa wissenschaftliche Visualisierungen von Wetter, Wasserversorgung oder Wirtschaftsleistung zu, von Einwohnerzahlen und der Entfernung zwischen Städten. Landkarten wurden zunehmend Verwaltungsakte. Praktisch war die Influenz-Karte Franz Raffelspergers, die 1826 die Postverkehrszeiten und Routen der Monarchie stark abstrahiert festhielt.

Informationsgrafik ist der Versuch, komplexe Verhältnisse auf engem Raum unterzubringen, quasi kleine Abbilder und Ordnungsraster der Welt zu schaffen. Manche der Hervorbringungen sind folglich sehr technisch und heute vor allem historisch und gesellschaftspolitisch interessant. Andere sind verspielt und künstlerisch aufwendig. Viele überraschen indes damit, wie clever sie angelegt wurden. Ein Blatt von 1897 fasst etwa den amerikanischen Bürgerkrieg 30 Jahre zuvor zusammen: Vom Goldwert des Papiergeldes über Siege bis zur Truppenstärke stellt es jeweilige Daten der nördlichen Staaten denen der Südstaaten gegenüber.

Man würde oft wissen wollen, wie groß die abgebildeten Werke im Original sind, denn manche sind gerammelt voll fitzelklein beschriftet. Solche Angaben fehlen leider, Beschreibungen fungieren eher als Appetithappen. Es macht trotzdem Spaß, die Rätselbilder zu verfolgen. Wobei manche einfacher zu durchschauen sind als andere. Ein Organigramm der Produktionswege im Trickfilmimperium Walt Disneys etwa. Die "Waffen der Frauen" reihte die Chicago Tribune 1900 nach Beliebtheit, an der Spitze dargestellt: der Besen.

Informationsdesigner Nicholas Felton wiederum verfolgte ab 2005 einen Selbstversuch. Er fertigte Grafiken aus verschieden großen Kreisen an, die angaben, womit er Zeit verbrachte. Für 2015 geht hervor, dass er überwiegend zu Hause war und schlief.

Das mag nicht aufregend sein. Dennoch zeigt es die Kraft von Grafiken: Erst deren Unmittelbarkeit macht oft deren Wirkkraft aus. Felton – er entwickelte das Design von Facebook mit – wurde zu einem Vorreiter der Quantified-Self-Bewegung. Geht der Erfolg von Apps wie Runtastic nicht auch auf die Wege zurück, die sie auf digitalen Karten hübsch einzeichnen, um der Welt mitzuteilen, wie weit man gelaufen ist? (Michael Wurmitzer, 16.8.2019)