Es soll Menschen geben, die sofort die Nerven verlieren, wenn sie von Verkäuferinnen in Läden angesprochen worden, in milde Panik verfallen, die zu desaströsen Fehlkäufen und spektakulären Budgetüberschreitungen verleitet, oft beides gleichzeitig. Unter Zeitdruck eine Entscheidung treffen, unter den Blicken von Verkäuferinnen oder Verkäufern … Sie haben mich, wenn auch gegen meinen Willen, so nett beraten, muss ich mich dann nicht irgendwie erkenntlich zeigen?

Läden, Verkäufer und ihre Empfehlungen machen mich nervös, und dass ich nicht unhöflich sein will, und Ladenmusik und die Spiegel in Umkleidekabinen, die, spätestens daheim wird man es bemerken, immer lügen.

Willhaben, Habenmuss

So fand der Onlinehandel in mir von Beginn an ein äußerst leichtes Ziel: unbeobachtet, unberaten und ohne Zeitdruck auf dem Bildschirm etwas aussuchen, es vor dem eigenen Spiegel unbeobachtet anprobieren, zurückschicken wenn es nicht passt: Count me in, danke. Mit Ebay und Willhaben wiederum lassen sich ganze Häuser einrichten, lauter schöne Dinge, die es nur einmal und nur jetzt gibt, und wenn man sie nicht kauft, landen sie ja vielleicht bei Leuten, die ihre Schönheit gar nicht schätzen.

Der Onlinehandel fand in mir ein äußerst leichtes Ziel, schreibt Doris Knecht.
Foto: Getty Images/iStockphoto/CarmenMurillo

Mit derselben Attitüde landet man auf den Secondhandmodeseiten, stößt auf gebrauchte Mäntel von Helmut Lang oder Alexander McQueen um vergleichsweise kein Geld, Einzelstücke, die es vielleicht nie wieder geben wird, das wird man vielleicht bereuen, wenn man das vorbeiziehen lässt. Wird man nicht, fast nie, aber das ist diesem Moment undenkbar.

So viel brav

Secondhandshoppen macht ja auch ein so viel besseres Gefühl, weil: Das gab’s schon, das wurde und wird jetzt nicht neu produziert, dafür wurden nicht wieder Menschen, Ressourcen, Umwelt ausgebeutet. Und weil man so viel brav war, erlaubt man sich dann selbstgerecht zwischendurch eine kleine Sünde und kauft doch etwas Neues, wo man eigentlich nicht mehr einkaufen wollte.

Denn man weiß ja, was das Problem ist bei allem, was man neu kauft: Man gibt damit an der Kassa den Auftrag, dieses Produkt noch einmal herzustellen, signalisiert Bedarf oder zumindest Nachfrage, und sehr oft erklärt man mit so einem Kauf leider eben auch, dass es einem ziemlich egal ist, wie es produziert wurde, wo und von wem unter welchen Bedingungen.

Der Sneaker-Peak

Und immer kratzt die Frage, warum man etwas kauft. Es gibt tatsächlich ziemlich viele Leute, die Shopping als Hobby angeben, wenn man sie fragt (und es sind nicht nur jene, die Instagram besiedeln). Kaufen, weil das Kaufen Spaß macht, das Suchen, das Finden, das Besitzen. Eben nicht weil es gebraucht wird wie Brot oder Socken, sondern man kauft etwas zur Belohnung, zum Trost, zum Zeitvertreib, weil es einem von der Werbung erfolgreich einge redet wurde, weil man es wo ge sehen hat, weil man glaubt, ohne nicht mehr leben zu können, kein vollständiger Mensch zu sein.

Secondhandshoppen beruhigt das Gewissen und gibt ein viel besseres Gefühl.
Foto: Getty Images/iStockphoto/ViewApart

Aber was braucht man wirklich, wirklich noch? Ich las unlängst etwas über fair und bio produzierte Sneaker und sah mir die im Netz an. Sehr lässig. Das, dachte ich mir, werden meine nächsten Sneaker sein, gute Sneaker, brave Sneaker. Dann warf ich einen Blick in mein Schuhregal und stellte fest: Äh, nein. Meine nächsten Sneaker werden die fünf Paar sein, die ich schon besitze und von denen zwei eher unbenutzt wirken. Und auch nachdem ich meinen Kleiderschrank kondoisiert habe, enthält er immer noch ausreichend Gewand für alle Bedürfnisse: genug Blusen, T-Shirts, Röcke, Kleider, Hosen, Jeans. Genug Schuhe für alle Jahreszeiten und Lebenslagen. Tatsächlich brauche ich die nächsten Jahre keine Kleidung zu kaufen; außer hin und wieder ein paar Socken.

Unentsorgbar

Bei genauerer Betrachtung gilt das nicht nur für Gewand. Die Stereoanlage, die ich vor ein paar Jahren gebraucht (mache ich nicht mehr) gekauft und schon einmal bei R.U.S.Z. hatte reparieren lassen, krachte, knackste und wurde deshalb von einem kundigen Freund untersucht – Diagnose: unheilbar. Eine neue Soundanlage musste her, ich schaute nach Sonderangeboten, aber dann fielen mir die Boxen ein, die da doch noch auf dem Dachboden lagern.

Ein Freund, dem man von der krachenden Anlage vorgejammert hatte, besaß einen jetzt ungenutzten Harmon-Kardon-Verstärker, und dann hatte man doch unlängst in irgendeiner Kiste alte Boxenkabel entdeckt und glücklicherweise als joysparking und deshalb unentsorgbar befunden. Ich kabelte die Dinge zusammen, tatsächlich war noch alles intakt und funktioniert nach ein bisschen Herumgezangel jetzt einwandfrei. Und die Freude, dass man nichts gekauft, viel Geld gespart und endlich wieder unzer knacksten Sound hatte, war dann größer als über etwas Neues.

Kartoffelsack und Hasengitter

Solche Lösungen versuche ich jetzt, wenn möglich, immer zu finden, und überraschend oft gelingt es auch, auch mithilfe von Social Media: Hat jemand zufällig ...? Oder etwas Kaputtes nicht einfach wegzuschmeißen, sondern zu reparieren; mit Draht, Gaffa-Tape und Kabelbinder kann man ja eigentlich fast alles flicken.

Dass man etwas nicht gekauft hat und so Geld gespart hat, bereut man außerdem so gut wie nie.
Foto: APA/dpa/Martin Gerten

Das herausgebrochene Flaschenfach des alten Kühlschrankes ließ sich mit einem Kartoffelsack und Gaffa-Tape ersetzen, die abgebrochenen Griffe des Metallnudelsiebs mit Drahtschlaufen, das Netz vom Tischtennistisch mit Hasengitter, auch wenn die Profis jammern. Vieles kann man selbst flicken, vieles reparieren lassen, und vieles hat man ohnehin doppelt.

Freude am Nichtkauf

Dass man etwas nicht gekauft hat und so Geld gespart hat, bereut man außerdem so gut wie nie. Dass ein paar Stunden lang ohne diesen Sessel, dieses Kleid kein Weiterleben vorstellbar schien, vergisst man überraschend schnell. Nicht zufällig existiert kein Begriff für Leidernichtgekaufthabenreue; fürs Gegenteil dagegen gibts einen: Buyer’s Remorse. Wenn man sich das vergegenwärtigt, fällt es leichter, auf etwas zu verzichten. Immer öfter.

Okay, es gelingt nicht immer, und der fantastische knallblaue Designerwintermantel musste leider sein, nur 74 Euro auf Ebay, bitte, der kommt nie wieder. Aber sonst wird man besser, ein bisschen, ja. (Doris Knecht, 18.8.2019)