Am 19. August gedenkt das neue Europa seines dramatischen Beginns. Es ist genau 30 Jahre her, dass beim Paneuropäischen Picknick 600 DDR-Bürger über einen Feldweg nach Österreich flohen.

Foto: Votava / Imagno

Am Montag vor 30 Jahren, am 19. August 1989 also, wurde endgültig die alte europäische Welt ausgehebelt. Der Hebelpunkt war ein schmaler, unscheinbarer, teils beinahe verwachsener Weg. Der führte von Ungarns härtester Strafanstalt, der von Sopronkőhida/Steinambrückl, leicht bergan zur Sopron Puszta und weiter zur Grenze.

Es war zu einem Paneuropäischen Picknick gerufen worden. Mehr als 600 DDR-Bürger nutzten das zur Flucht nach Österreich. Dort führte ein nicht minder vernachlässigter Feldweg, vorbei an der Siegendorfer Puszta, ins burgenländische St. Margarethen hinunter.

Dieses Picknick und seine Initiatoren – Otto Habsburg, das Ungarische Demokratische Forum und der reformkommunistische Staatsminister Imre Pozsgay – sind zu Genüge beschrieben und zu Recht gewürdigt worden. Und auf dem Platz des Picknicks wurde mit gewohnter magyarischer Grandezza eine Gedenk-, was heißt: eine Weihestätte eingerichtet.

Hauptverbindung

Wenig Beachtung fand und findet der Weg selber, die rund neun Kilometer zwischen Steinambrückl und Szentmargitbánya. Und das ist ein bisschen schade, denn gerade dieser unscheinbare Weg erzählt eine sehr anschauliche, weit ins Historische zurückreichende Geschichte.

Dieser unscheinbare Feldweg war einst die Hauptverbindung von der Komitatsstadt Sopron in die Donaumetropole und zeitweilige ungarische Hauptstadt Pozsony. Die Straße heißt auch bis heute Pozsonyi út, Pressburger Straße. Sie entspringt, sozusagen, im Soproner Poncichter-Viertel, Ödenburgs Wiener Vorstadt, führt als L210 über St. Margarethen und Oslip zum Südhang des Leithagebirges, wo sie den Verkehr am See weiterleitet über Neusiedl, Parndorf, Kittsee bis eben nach Bratislava hinüber.

Seit die Grenze dort am 19. August 1989 buchstäblich überrannt wurde – die Fotografien von diesem Ereignis waren im Wortsinn weltbewegend –, versucht dieser Weg wieder in seine angestammte Rolle zu finden, die sich aus der Geografie ergibt wie von selber, nur outrierend übertüncht werden konnte vom Irrwitz der Geschichte. Freilich tut er das gegen vielfältigen Widerstand. Denn was einst umarmend als Normalisierung des Grenzlebens gefeiert wurde, galt bald nach dem Schengenbeitritt Ungarns 2007 schon als nachbarschaftliche Belästigung. Oder gar als Transithölle.

Schleichweg

Erst wurde die Pozsonyi út, die auf österreichischer Seite Ödenburger Straße heißt, als Schleichweg bezeichnet, auf dem ungarische Pendler dem Stau in Klingenbach ausweichen. Davon war aber bald schon keine Rede mehr. Die Pressburger Straße wurde ja einst nicht aus Jux und Tollerei dort gebaut, wo sie eben gebaut worden ist.

Erste Gegenmaßnahmen wurden schon 2010 ergriffen. Da errichteten die Ungarn eine Höhenbegrenzung von zwei Metern und hinderten so Kastenwägen, Wohnmobile, radtransportierende Urlauber und Traktoren an der Benützung. Auf ungarischer Seite war der Weg so schmal, dass breitere Fahrzeuge bei Gegenverkehr brenzlige Situationen verursachten. Das wird nun gerade geändert. Die 3,5 Kilometer werden von vier auf sechs Meter verbreitert, die Straße darum gesperrt. Nur jetzt, für die 30-Jahr-Feierlichkeit, pausiert die Baustelle.

Auf burgenländischer Seite haben die Bautätigkeiten Alarm ausgelöst. Stefan Bubich, der ÖVP-Bürgermeister von Oslip, hat schon vor Monaten vor einer geplanten Umfahrung von St. Margarethen und Trausdorf gewarnt, durch welche die Pressburger Straße dann erst, durch den so hergestellten Autobahnanschluss, so richtig attraktiviert werden könnte. Im Büro des SP-Straßenbaulandesrates Heinrich Dorner sagt man, dass an Bubichs Warnschrei nichts dran sei.

Wiener Straße

Freilich wird nicht nur an der Pressburger Straße gebaut. Sondern auch an der Bécsi út, der Wiener Straße, die ebenfalls im Poncichter-Viertel ihren Ursprung nimmt und Sopron über Klingenbach mit der A 3, der Südostautobahn, verbindet. In Ungarn hält der Neubau der Schnellstraße M85 bereits bei Sopron und drängt vehement an die Grenze, jenseits derer man so tut, als wäre niemand zu Hause. Die Alternativen sind klar: Entweder führt diese M85 westlich des Bécsi domb, des Wienerberges, vorbei – und folgt damit im Wesentlichen der alten Wiener Straße; oder östlich – der Pressburger Straße entlang.

Unlängst tauchte – zugegeben, in einer Borozó – eine dritte Möglichkeit auf: ein Tunnel durch den Wienerberg. Im Burgenland wird es in jedem Fall, wenn schon nicht lustig, so doch turbulent. (Wolfgang Weisgram, 19.8.2019)