Als Ungustl vom Dienst sieht sich Juergen Maurer nicht, schon gar nicht in Spuren des Bösen, auch wenn er zuletzt als böser Bulle dem traurigen Kriminalpsychologen Richard Brock (Heino Ferch) – und jetzt: Achtung, der Spoiler! – körperlich ziemlich übel mitgespielt hat.

Thomas Kuerzl

In der achten Folge, Titel Sehnsucht (Drehbuch: Martin Ambrosch, Regie: Andreas Prochaska), zu sehen am 25. August im ORF, sitzt Brock infolgedessen im Rollstuhl und beobachtet von seiner Wohnung aus einen Mord gegenüber, die Ausgangssituation zu einer Paraphrase von Hitchcocks Das Fenster zum Hof. Grace Kelly ist hier Katrin Bauerfeind als junge Psychologin. Darüber müssen wir reden, Juergen Maurer.

Maurer: Nach meiner Wahrnehmung war Gerhard Mesek ursprünglich kein Ungustl, sondern ein Polizist, der sich unwillig von der Hauptfigur unterstützen lässt. Dass er sich als Ungustl vom Dienst entpuppt hat, war Novität des siebten Films.

STANDARD: Er ist gekippt.

Maurer: Es wurde interessant, weil sich herausstellte, dass er der Hinter-Hintermann einer großen Verschwörung ist. Als ich das Buch zum siebenten Film gelesen habe, hat es mir den Kuckuck aus der Uhr gefedert. Jetzt kehrt er zurück als Gegenpart, nach außen hin beruhigt, aber dazwischen brodelt’s. Sie sind Antagonisten. Dr. Brock weiß, dass Mesek Kopf einer Verschwörung ist, kann es aber nicht nachweisen. Mesek begegnet ihm in seiner Funktion als Polizist in seiner Wohnung. Der Suspense ist entsprechend groß. Ein Donnerwetter von nonverbaler Kommunikation.

STANDARD: Die Folge hat ganz klare Anklänge zu "Das Fenster zum Hof". Dachten Sie als Sie das Drehbuch lasen, jetzt sind sie total größenwahnsinnig geworden, der Ambrosch und der Prochaska?

Maurer: Es ist eine Paraphrase auf diesen Stoff. Sich ein Kammerspiel wie Das Fenster zum Hof anzueignen, ist ein völlig legitimes Kunstmittel. Wenn jemand sagt, das raubt der Geschichte die Originalität, dann halte ich das für einen hanebüchenen Blödsinn.

STANDARD: Angeblich ist nach der nächsten Folge Schluss. Ihr persönliches Wunschende?

Maurer: Wenn der Martin Ambrosch und der Andreas Prochaska beschließen, dass Gerhard Mesek als der Oberschurke zum Schluss einfach lebend diese Reihe verlässt und der Richard Brock irgendwo in der Ecke röchelnd liegt, kriegen sie von mir den Jürgen-Maurer-Spezialpreis für dramaturgischen Sondermut. So etwas findet aber leider sehr, sehr selten statt. Ich mag einfach, wenn ich vor dem Fernseher sitze und sage: Was? Wirklich? Wenn man von einer Geschichte plötzlich vor eine Maurer gefahren wird.

STANDARD: Wie wichtig ist Ihnen Plausibilität im Fernsehen? Die Auflösung des Falles wird hier nicht verraten – scheint aber etwas sehr weit hergeholt.

Maurer: Wenn es um Plausibilität geht, muss man nur die österreichische Tagespolitik anschauen, dann wissen wir, wie unplausible und unfassbare Dinge passieren. Im Film ist Plausibilität schon eine Forderung, die ich stelle. Dass Martin Ambrosch in seinen Geschichten hin und wieder die Kurve mit hoher Geschwindigkeit nimmt, rechne ich ihm hoch an, weil sie dadurch an Dramaturgie gewinnen. Beim Krimi geht es oft um die Frage, wie weit legt man einen Holzweg aus, um den Zuschauer in die Irre zu führen. Dass dieser Holzweg manchmal zu weit ist, kann passieren.

Katrin Bauerfeind und Heino Ferch in "Spuren des Bösen: Sehnsucht".
Foto: ORF/Aichholzer Film/Hubert Mican

STANDARD: Das Setting, der alte Brock sitzt im Rollstuhl, zu ihm kommt die junge Berufskollegin. Sie kommen einander näher, sie sagt, sie hat eine lesbische Beziehung hinter sich und möchte endlich wieder einmal wissen, wie sich ein Mann anfühlt. Was sagen Sie zu solchen Ideen?

Maurer: Abgesehen davon, dass sie nicht von mir stammen, kann ich dazu zweierlei sagen: Erstens, dass dem Mittfünfziger Richard Brock eine wesentlich jüngere Frau vor die Nase gesetzt wird, finde ich degoutant, und in dem ganzen Geschäft dauernd blöd. Es geht mir seit Jahren auf die Nerven. Ich habe schon in eigenen Projekten interveniert, wenn man mir eine Ehefrau vorsetzen wollte, die 35 ist. Blödsinn! Ich bin 52, gebt mir eine Frau im relevanten Alter, sonst könnt ihr es vergessen. Das ist ein Fehler, der diesem Geschäft anhaftet. 50, 60-jährigen Männern werden regelmäßig Frauen Mitte dreißig zugeordnet, was ein unsinniges, vertrotteltes Bild abgibt und jede Frau jenseits der 40 in Panik verfallen lässt. Es ist unsäglich und geht mir wahnsinnig auf die Nerven. Es gibt so viele tolle, großartige, wunderschöne, erotische Kolleginnen, die sind 50, 55, 60. Und wenn zweitens jemand einem Frauencharakter so einen Text zuschreibt – was soll man sagen? Ja, es ist vielleicht eine plumpe Männerfantasie. Vielleicht hat Martin Ambrosch die Geschichte das so erzählt und er hat es so aufgeschrieben. Dass man das aus einer geschlechterspezifischen Sicht deppert finden kann – da bin ich völlig d‘accord.

STANDARD: Wenn Sie eine Rolle angeboten bekommen, haben Sie Mitspracherechte?

Maurer: Man muss immer diskutieren. Als Schauspieler hat man nicht wirklich ein Mitspracherecht. In "Vienna Blood" spiele ich einen Wiener Polizisten um die Jahrhundertwende mit einer dramatischen Familiengeschichte. Seine Frau, die ihn verlassen hatte, kehrt zu ihm zurück. Dafür haben wir drei Kolleginnen gecastet. Zwei waren Ende dreißig, eine Mitte vierzig. Das ist sehr nett und schmeichelhaft, dass sie mir so eine junge Kollegin zur Seite stellen wollen, aber es ist dumm! Sie nahmen es zur Kenntnis, und es wurde die älteste Kollegin. Das ist ein seltener Fall von gelungener Einflussnahme. Es ist eine überfällige Diskussion – in den Redaktionsstuben und unter Produzenten. Warum werden Frauen mit 40 unsichtbar – auch in den Medien?

STANDARD: Es gibt Gegenbewegungen, allerdings gelingt das dann auch nicht immer. Zuletzt eher hatschert bei "Otherhood" von Netflix mit Angela Bassett, Felicity Huffman und Patricia Arquette als sumsige Mütter

Maurer: Trotzdem sind die drei tolle Schauspielerinnen. Die Vorstadtweiber sind so entstanden. Die Erstambition war, Frauen ab vierzig auch titelgebend vor den Vorhang zu holen, weg vom Crime, als sozialsatirisches Format. Plötzlich stand es blockbusterös in der Landschaft.

STANDARD: Die Vorstadtweiber gehen am 16. September in die vierte Runde. Wie geht's dem Schorschi Schneider?
Maurer: Dramaturgisch mäandert der Schorschi durch die Geschichten, was kein Wunder ist, weil er stark definiert war über seine Familiensituation. Seine Frau und sein Sohn sind weg, dadurch ist er auf ein Nebengleis geraten.

Juergen Maurer (Georg Schneider), Gertrud Roll (Anna Schneider) in "Vorstadtweiber".
Foto: ORF/MR Film/Hubert Mican

STANDARD: Mirjam Unger ist neu als Regisseurin und damit nach Sabine Derflinger, die die Regie abgab, und Harald Sicheritz die dritte im Bunde. Welche Unterschiede gab es?

Maurer: Sie unterscheiden sich sehr voneinander als Personen, als Persönlichkeiten, wie sie ein Set leiten. Man versteht sich mit dem einen Regisseur besser, mit dem anderen weniger. Das ist normal, da gibt es einen professionellen Zugang. Es gibt einen Eigenleistungsbedarf auf manchen Sets, der bei hundert Prozent liegt, bei anderen liegt er bei fünfzig Prozent. Wo der Regisseur genaue Vorstellungen hat.

STANDARD: Was ist Ihnen lieber?

Maurer: Kein Schauspieler möchte vor der Kamera ganz allein gelassen werden. Das ist eine Frage der Routine. Mir geht es nicht mehr so schlecht, wenn ich das Gefühl habe, ich bin allein, weil ich inzwischen viel gelernt habe über den Film.

STANDARD: Im Theater sieht man Sie in letzter Zeit gar nicht mehr..

Maurer: Die Bühne fehlt mir so sehr, ich könnte jeden Tag weinen.

STANDARD: Warum machen Sie’s dann nicht?

Maurer: Weil mich keiner fragt.

STANDARD: Gibt’s nicht.

Maurer: Ist aber so. Gegen einen Anruf vom Kusej hätte ich nichts einzuwenden.

STANDARD: Das Burgtheater haben Sie 2012 verlassen.

Maurer: Es war semi-autoaggressiv. Ich war 16 Jahre Ensemble-Mitglied und hatte Zweijahresverträge. Die letzte Verlängerung wäre meine Unkündbarkeit gewesen. Ich habe Matthias Hartmann darauf aufmerksam gemacht, weil ich nicht wollte, dass ihm das zufällig passiert. Mir war die Intendanz Matthias Hartmanns atmosphärisch und im Umgang miteinander tatsächlich unangenehm. Hartmann sagte also: "Ja, wenn das so ist." Damit hat sich das einvernehmlich gelöst, und ich habe es überhaupt nicht bereut. Aber jetzt würde ich gern wieder Theater spielen, und es kommt für mich nur Wien in Frage. Und es muss auch nicht das Burgtheater sein. Wenn Gernot Plass vom TAG anruft, stehe ich habt acht.

In "Spuren des Bösen" spielt Juergen Maurer in der neuen Folge "Sehnsucht" den bösen Cop Gerhard Mesek nach dem Drehbuch von Martin Ambrosch und in der Regie Andreas Prochaskas: am 25. August im ORF.
Foto: ORF / ZDF

STANDARD: Die "Spuren des Bösen"-Folge heißt "Sehnsucht". Was ist Ihre Sehnsucht? Vielfältigere Rollen?

Maurer: Man wird als Schauspieler klassifiziert. Dass ich nicht in die metrosexuelle Ecke tendiere, ist evident. Da kann ich machen, was ich will. Ich möchte, dass es so bleibt. Die Angebote werden auf eine beruhigende Art und Weise weniger optional. Man wird gewollt.

STANDARD: Werten Sie schon die Netflix-Angebote aus?

Maurer: Ich hatte ein Netflix-Angebot, das ich sofort mit schallendem Gelächter abgelehnt habe, weil Netflix einem Drei- bis Vierjahresknebelverträge auf den Tisch legt, wo einem die Kipfler bis auf die Tischplatte runterfallen. Die Verträge führen sehr detailiert aus, was man alles nicht machen darf, wobei aber nicht einmal garantiert ist, dass man in der Serie bleibt. Man wird sehr exklusiv gebucht mit sehr wenig konkreter, gesicherter Screentime. Ich habe mich sehr gewundert.

STANDARD: Mit Konkurrenzklauseln, die sich gewaschen haben.

Maurer: Aber mit verschiedenen Waschmitteln. Ich habe ein sehr heterogenes Auftragsbild. Ich werde mich nicht exklusiv wegsperren lassen für eine Netflix-Serie, die womöglich für den Konzern selbst ein Versuchsballon ist. HBO hat gefragt, ob ich für die neunte Staffel von Game of Thrones für eine Rolle casten möchte. Da hat es mich kurz gebeutelt – Oida, Game of Thrones, unbedingt! Mir kam es aber terminlich ungelegen, und außerdem wäre ich ein bissl der Guguwaz in dritten Reihe hinten gewesen, der zweimal durchs Bild galoppiert und "uga-uga" sagt. Es kommt schon auch darauf an, wie man wahrgenommen wird. (Doris Priesching, 17.8.2019)