"Aaaagh!" Der Mann mit der Nummer 111 schreit das Feld an. Breitbeinig hockt er da, die kurze Sense in beiden Händen, und fixiert die einhundert Quadratmeter Wiese vor ihm. An seinem nackten, muskulösen Oberkörper zeichnet sich jeder Muskel ab. Der Athlet heißt Bernhard Sellinger, und er tritt an, um den Titel zu verteidigen, den er vor zwei Jahren in der Schweiz errungen hat. Sellinger bereitet sich auf harte 143 Sekunden vor, hier bei der Europameisterschaft im Handmähen im oberösterreichischen St. Florian am Inn. Er schüttelt den Kopf, seine Wangen schlackern laut.

Bernhard Sellinger tritt an, um seinen Europameistertitel im Handmähen zu verteidigen.
Foto: heribert corn

Rund 2000 Besucher zieht der Großevent an, den die Landjugendorganisationen der Orte Taufkirchen an der Pram und Diersbach veranstalten. Gemeinsam zählen die Gemeinden 4500 Einwohner – 150 davon sind aktive Mitglieder der Landjugend. Zur EM reisen Teilnehmer und Fans aus zehn Nationen an.

Bei der Eröffnung am Vorabend ziehen die Athleten aus Österreich, Deutschland, Großbritannien, Tschechien, Serbien, Slowenien, der Slowakei, aus Südtirol, der Schweiz und dem Baskenland feierlich ins Festzelt ein. Viele tragen traditionelle Trachten, vor allem die Basken legen viel Wert auf Folklore, führen Tänze auf und spielen Flöte. So viel internationalen Besuch gibt es in der landwirtschaftlich geprägten Gegend in der Nähe von Schärding wohl selten. Eher nie.

Hudeln hilft nicht

Frauen haben eine sieben mal fünf Meter große Fläche zu mähen, Männer müssen zehn mal zehn Meter meistern.

Athlet Sellinger legt los. Zeitgleich mit sieben anderen Mähkonkurrenten schlägt er die Sense in die Wiese, durchtrennt die Halme, holt sofort zum nächsten Schlag aus. Sein Trainer steht neben ihm, feuert ihn an, deutet energisch auf stehen gebliebenes Gras. Denn es gilt nicht nur schnell zu sein, sondern auch die Juroren zu beeindrucken: Ist das Feld schlampig gemäht, werden Sekunden auf die Zeit aufgeschlagen. Geschwindigkeit zählt. Gründlichkeit auch.

Am Schluss hebt Sellinger die Hand, um zu signalisieren, dass er fertiggemäht hat. Er lässt die Sense auf den Boden fallen und sich selbst auf alle vier. Der Bewerb verlangt einem alles ab.

Universaldienstleister im ländlichen Raum

Sofort läuft ein knappes Dutzend Jugendlicher auf die frisch gemähte Fläche, ausgestattet mit Holzrechen und Warnwesten mit "Landjugend Oberösterreich"-Aufdruck. Sie befördern das abgeschnittene Gras auf die Seite. Erst dann können die Juroren die Mähleistung bewerten.

Körperlich verlangt das Handmähen den Ahleten alles ab.
Foto: heribert corn

So etwas macht die Landjugend: Heu wegräumen. Getränke ausschenken. Mähflächen aufbereiten. Quartiere organisieren. Die Landjugend ist Veranstalter der Mäh-EM. Aber, und davon bekommt nur mit, wer tatsächlich auf dem Land wohnt: Die Landjugend ist so etwas wie ein Universaldienstleister für Gegenden, wo Tracht getragen wird und der Bus nur im Zweistundentakt fährt. Sie ist Wettbewerbsausrichterin, Partygastgeberin, Bildungseinrichtung, Freizeitprogramm und – nicht zuletzt – Singlebörse.

Traktor und Alkohol

Im fußballfeldgroßen Festzelt neben den Wettbewerbsflächen steigt die Stimmung.
Foto: heribert corn

"Auf dem Land musst du dich relativ gut organisieren, damit du wo sein kannst", sagt Elisabeth Köstinger. Die ÖVP-Abgeordnete und frühere Umweltministerin ist selbst in der Landjugend sozialisiert worden, bis 2006 war sie Bundesleiterin der Organisation, die "für viele auf dem Land der erste Weg ist, um unterwegs zu sein", sagt sie. Das Angebot sei vielfältig, Solidarität und Spaß seien wichtig.

Dieser Stellenwert macht die Landjugend zu einer der größten Jugendorganisationen Österreichs, sie zählt mehr als 90.000 Mitglieder.

Im fußballfeldgroßen Festzelt neben den Wettbewerbsflächen wuselt es vor ehrenamtlichen Kellnern und Helfern in Lederhose und grünem Poloshirt. Zwei Jahre lang dauerten die Vorbereitungen für die Handmäh-Europameisterschaft. Vor dem Zelt stellen Traktorhersteller ihr Gerät aus, über den WC-Containern wird ein überdimensionaler, aufblasbarer Saatgutsack der Firma Pioneer beleuchtet.

Wetzwåsser, drei Euro

Als es dunkel wird, spannt die Landjugend die Schnapsflaschen in die Portioniergeräte hinter der Bar. Die ersten Gläser Whisky mit Energydrink, Weizenbier mit Cola und Wetzwåsser (roter Eristoff mit Soda, drei Euro, sehr süß) gehen über die Budel. Die Lauser, die für den Abend engagierte Stimmungsband, kommen da gerade erst in Fahrt – und ermuntern die Gäste, "einen kräftigen Schluck" aus ihren Gläsern zu nehmen.

Auf den Heurigenbänken haben sich nicht nur Handmäher, ihre Fans und Landjugend-Mitglieder versammelt. Die EM und das feierliche Drumherum sind Anziehungspunkt für die ganze Region.

Die Delegation aus dem Baskenland legt viel Wert auf Folklore.
Foto: heribert corn

Ein paar Mädchen um die 14 sitzen an einem der Tische. Sie sind aus der Gegend, die EM interessiert sie weniger. Sie sind hier "einfach zum Fortgehen". Und auch, um neue Leute kennenzulernen. "Die Landjugend ist die günstigste Partnerbörse auf dem Land", sagt Bundesleiterin Helene Binder im Scherz. Man verbringe eben viel Zeit miteinander und teile Interessen. Köstinger bestätigt das: Ihre Eltern haben einander als Landjugendleiter kennengelernt.

Schnitzelstreit im Partyzelt

Doch Party für alle, das war nicht immer so. Erst in den 1980er-Jahren öffnete sich die als Weiterbildungsstelle für Jungbauern gegründete Organisation für Jugendliche ohne Landwirtschaft daheim. Heute stammen nur mehr rund die Hälfte der Mitglieder aus Bauernfamilien. Der neue Schwerpunkt laut Binder: die "Verknüpfung von Produzent und Konsument".

Junge Menschen freuen sich über Alkohol.
Foto: heribert corn

Konsumiert wird an diesem Abend genug. In der Stadldisko wird ein Cola-Rum nach dem anderen ausgeschenkt, während auf einer Videowall hinter dem DJ Mähdrescherwerbung in Dauerschleife läuft. Gleichzeitig erreicht die Diskussion ums "Luxusschnitzel" (bei der Mäh-EM kostet es 8,50 Euro mit Pommes und Salat) das Festzelt. Josef Moosbrugger (ÖVP), Eröffnungsredner und Chef der Landwirtschaftskammer, verteidigt die Bauernschaft gegen Angriffe in der Debatte um Fleischpreise: "Wir sind Hauptbetroffene, aber nicht Verursacher des Klimawandels!"

Nähe zur ÖVP

Die Landjugend und die Politik, das ist so eine Sache. Sowohl Köstinger als auch Binder bestreiten entschieden, dass der Verein eine Vorfeldorganisation der Volkspartei sei. Die Ex-Landwirtschaftsministerin erklärt, warum der Eindruck dennoch entstehen kann: "Es gibt wenige Parteien, die wirklich konsequente Politik für den ländlichen Raum machen", sagt sie.

Land und Landjugend, die beiden sind kaum zu trennen.
Foto: heribert corn

Die Nähe der Landjugend zur ÖVP sei "wirklich inhaltlich geprägt": Man setze sich eben oft für dieselben Dinge ein. Dass sämtliche Führungspositionen von der Ortsgruppe aufwärts streng mit einem Mann und einer Frau besetzt werden, habe sie auch politisch geprägt.

Segen für die Sensen

Ganz losgelöst voneinander sind ÖVP und Landjugend aber dennoch nicht, gibt Köstinger zu: In Vorarlberg und Tirol firmiert die Landjugend als offizielle Jugendorganisation der dortigen Bauernbünde – das macht sie zu Teilorganisationen der Volkspartei.

Vor dem Wettkampf werden die Sensen gesegnet.
Foto: heribert corn

Da wie dort wird die Tugend des frühen Aufstehens hochgehalten, wie sich am Morgen des Wettbewerbstages zeigt. Die Jugend lässt auch nach einer sehr, wirklich sehr langen Nacht bei der heiligen Messe im Freien nicht aus. Gut, manche sitzen auf den für die große Mäherparade geschmückten Traktoranhängern und trinken schon wieder Bier, als Pfarrer Moses Chukwujekwu die Sensen für den Wettbewerb segnet.

Segen mit Bier

"WIE MOCHT DA PFORRA IN DER KIRCHEN?"
Foto: heribert corn

Als sich die Zeremonie gegen Ende etwas zieht, murrt ein aus Großbritannien angereister Mäh-Fan: "Catholics really know how to spend a day, huh?" Doch nach dem letzten Segen dauert es nur wenige Minuten, bis die gut organisierten Landjugend-Funktionäre alle Sitzgelegenheiten zusammengeklappt und verstaut haben. Bald darauf trinken die Mitglieder eines Mäher-Fanklubs schon gemeinsam Bier aus einem großen Krug mit etlichen Schläuchen und kündigen jeden neuen Krug mit zeremoniellen Schreien ("WIE MOCHT DA PFORRA IN DER KIRCHEN?", gefolgt von segensartigem Verspritzen von Bier) an.

Natur und Tradition

"HOPP, HOPP, HOPP!" schreien am Nachmittag die zahlreichen und lauten Fans von Elisabeth Schilcher. Sie ist Landjugend-Mitglied aus Salzburg und mäht um die Wette auf dem Feld, an dessen Umzäunung hunderte Zuschauer lehnen. Die Arbeit in der Natur und das Bewahren der Tradition "taugen mir voll", sagt sie nachher. Sie erreicht den zweiten Platz hinter der Traunviertlerin Karin Kronberger.

Elisabeth Schilcher (im orangen Dress) hat ihren lautstarken Fanclub mitgebracht.
Foto: heribert corn

Für Titelverteidiger Sellinger hat es diesmal nur für den sechsten Platz gereicht. Er erhielt zwar Bestnoten, mähte seine Wiese aber 24 Sekunden langsamer als Christian Irsara, der neue Handmäh-Europameister aus Südtirol. (Sebastian Fellner, 17.8.2019)