Am frühen Morgen des 8. August registrierte das Seismografennetzwerk der in Wien beheimateten Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) eine Explosion in der Nähe des russischen Dorfs Njonoxa.
Die Erschütterungen um 9 Uhr Ortszeit (8 Uhr MESZ) waren so heftig, dass die Messinstrumente in vier skandinavischen Stationen anschlugen. Angesichts des großen Medieninteresses entschloss sich die CTBTO, die sonst auf Journalistenanfragen eher zugeknöpft reagiert, bereits zwei Tage später, diese Aufzeichnungen zu veröffentlichen.
Da die russischen Behörden bereits Tage zuvor die Zone vor dem Testgelände im Weißen Meer zum Sperrgebiet erklärt hatten, beobachteten natürlich Aufklärungssatelliten die Vorgänge auf dem Testgelände.
Auf einer Aufnahme des kommerziellen Anbieters Planet Labs sind mehrere Schiffe und eine schwimmende Plattform vor dem Testgelände zu erkennen. Bis auf das Spezialschiff Serebrjanka, das für den Transport radioaktiver Substanzen ausgestattet ist und bereits mehrmals in der Nähe von Waffenversuchen gesichtet wurde, haben alle Wasserfahrzeuge ihre Transponder ausgeschaltet.
Die internationalen Nachrichtenagenturen berichteten erstmals um 12:15 MESZ über einen fehlgeschlagenen Test eines Raketentriebwerks, knapp eine Stunde später meldete die russische Tass unter Berufung auf örtliche Behörden einen Strahlungsanstieg in der 192.000-Einwohner-Stadt Severodwinsk, und um 15:47 wurde erstmals erwähnt, dass die vor dem Versuch ausgerufene Sperre des Gebiets vor dem Testgelände für die Schifffahrt um einen Monat verlängert wurde.
Bis heute schweigen die russischen Behörden darüber, welches Waffensystem am 8. August getestet werden sollte. Anfangs sprach das Verteidigungsministerium von einem mit Flüssigbrennstoff betriebenen Raketenmotor, der explodiert sei, zwei Tage später konkretisierte die Atombehörde Rosatom diese Angaben: eine Energiequelle, die auf Basis radioaktiver Isotope basiert, sei bei dem fehlgeschlagenen Test eines Antriebssystems beschädigt worden, darauf habe der Raketentreibstoff Feuer gefangen.
Dass es sich dabei um eine simple Radionuklidbatterie, wie sie zur Stromversorgung von Weltraumsonden verwendet wird, handelt, ist auszuschließen. Diese Strom- und Wärmequellen funktionieren zwar ohne bewegliche Teile und sind damit kaum störanfällig, sie sind allerdings im Vergleich zu anderen Energiequellen ineffizient und schwer: Ein Gramm Ruthenium gibt beim Zerfall lediglich 33 Watt ab – viel zu wenig, um eine Rakete oder einen Marschflugkörper auf Startgeschwindigkeit zu beschleunigen.
Auch nuklear betriebene Staustrahlantriebe sind nie über das Teststadium hinausgekommen: Von 1957 bis 1964 forschten die USA am Marschflugkörper Pluto und errichteten dazu auf 21 Quadratkilometern das Testgelände Jackass Flats. Um auch auf dem Prüfstand ausreichende Strömungsgeschwindigkeiten erreichen zu können, wurde in einem 40 Kilometer langen Rohrsystem 450.000 Kilo Pressluft gespeichert, mit denen das Tory-Triebwerk angeblasen wurde.
Länger als fünf Minuten lief der "Nuclear Ramjet" aber nie, und auch das Nasa-geführte Programm Nerva zur Entwicklung einer nuklear angetriebenen Raketenstufe für den bemannten Flug zum Mars kam nicht über einige Bodentests hinaus.
Ob es den russischen Technikern gelungen ist, wie von Präsident Waldimir Putin in seiner Rede im März 2018 angekündigt, einen funktionierenden Nuklearantrieb zu konstruieren, der klein und leicht genug für den Einsatz an Bord eines Flugkörpers ist, bleibt also unklar. Forscher warten gespannt auf Strahlungsmessungen oder Proben aus der Umgebung des Testgeländes, um aus den gefundenen Isotopen Rückschlüsse auf die Funktionsweise des am 8. August getesteten Systems zu ziehen.
Messstationen senden nicht mehr
Vier Radionuklid-Messstationen, die Russland im Rahmen seiner CTBTO-Verpflichtungen betreibt, hörten nach dem gescheiterten Versuch allerdings plötzlich auf, Daten zu senden. Dass alle vier gleichzeitig wegen technischer Probleme den Betrieb einstellen, ist äußerst unwahrscheinlich – auch die eingebauten Ferndiagnosesysteme hatten zuvor keine Störungen gemeldet, wie DER STANDARD erfuhr.
Laut Wall Street Journal senden die Anlagen in Kirow und Dubna, die vom Unglücksort in Richtung des damals wehenden Windes liegen, nicht mehr. (bed, 19.8.2019)