Foto: Subterranean Press

Besuchen wir doch kurz mal wieder ein Universum, das tatsächlich noch immer existiert – wenn auch nur mehr in einer parallelen Dimension (der Anglosphäre). Jüngere deutschsprachige Leser kennen die legendäre Miles-Vorkosigan-Saga von Lois McMaster Bujold ja womöglich gar nicht mehr! Im Original in den 80ern gestartet, läuft diese SF-Reihe bis heute ungebrochen weiter. Auch hierzulande war sie lange Zeit ein Eckpfeiler des Genres: Übersetzungen ins Deutsche gab es von den frühen 90ern bis Mitte der 2000er Jahre, danach rissen sie aber leider ab.

Adel im All

Kurze Orientierung für Neueinsteiger: Die Vorkosigan-Saga ist in der mittleren Zukunft angesiedelt, nachdem die Menschheit einen Teil der Galaxis besiedelt und nirgendwo andere Intelligenzformen entdeckt hat. Hauptschauplatz ist der lange Zeit isoliert gewesene Planet Barrayar, der sich nach seiner Wiederentdeckung inmitten mächtiger Nachbarn behaupten muss. Hauptfigur Miles Vorkosigan, der seine körperlichen Nachteile mit seinem Verstand mehr als wettmacht und als Tyrion Lennister der Science Fiction bezeichnet werden könnte, spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Den diversen Planeten ihres Universums hat Bujold ganz unterschiedliche Gesellschaftssysteme auf den Leib geschrieben. Da aber sowohl Barrayar als auch sein Erzrivale Cetaganda feudal bzw. imperial organisiert sind, bietet die Reihe jede Menge Möglichkeiten, SF-Tech mit Prunk, Intrigen und Machtspielen zu kontrastieren. Sie mag damit durchaus ein Template für Ian McDonalds aktuelle "Luna"-Reihe geliefert haben.

Einstieg jederzeit möglich

Jüngster Beitrag zur Reihe ist die Novelle "The Flowers of Vashnoi", die sich einmal mehr um eine Schattenseite der Gesellschaft von Barrayar dreht: nämlich deren Umgang mit "mutierten" respektive genetisch geschädigten Kindern – ein Erbe der Zeit der Isolation, als der Genpool auf Barrayar ungesund klein war. Handlungschronologisch ist die Novelle in etwa auf dem Stand der jüngsten Romane "Cryoburn" und "Gentleman Jole and the Red Queen", die nicht mehr ins Deutsche übersetzt wurden.

Im Anhang der Novelle schlägt die Autorin übrigens die beste(n) Lesereihenfolge(n) der einzelnen Romane und Novellen vor, was auf den ersten Blick etwas komplex wirkt. Aber da muss man sich zum Glück keinen Kopf machen: Bujold legt Wert darauf, dass jedes ihrer Werke für sich allein gelesen werden kann, und das gilt auch für dieses hier.

Zur Handlung

In "The Flowers of Vashnoi" tritt Dauerprotagonist Miles Vorkosigan zur Abwechslung mal ins zweite Glied zurück und überlässt seiner ebenbürtigen Gattin Ekaterin die Bühne. Sie ist maßgeblich am Projekt beteiligt, die Region Vashnoi, die vor Jahrzehnten durch einen nuklearen Angriff Cetagandas verwüstet wurde, zu sanieren. Dafür hat man künstliche Insekten entwickelt, die sich durch den belasteten Boden wühlen, die aufgenommenen radioaktiven Stoffe in ihren Körpern konzentrieren und so leichter abtransportierbar machen. Im Prinzip eine gute Idee – doch leider wurde in der Region auch "Abfall" ganz anderer Art abgelagert, und plötzlich steht Lady Ekaterin vor einem menschlichen Drama.

Es ist eine Geschichte der leisen Töne, sie enthält Tragik ebenso wie Witz (etwa in Ekaterins lieber Not mit ihrem Projektpartner, dem verschrobenen Wissenschafter Enrique Borgos, der alles und jeden als Laborexperiment in spe betrachtet ) – aber immer nur in kleinen Dosen. Bujold-typisch gibt es für das entworfene Dilemma auch keine Ideallösung. Ihre Protagonisten müssen einmal mehr versuchen, den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Perfektion ist im "Vorkosiversum" nicht zu finden, dafür aber viel ehrliches Bemühen.

Jederzeit wieder

"The Flowers of Vashnoi" ist kein Spektakel von einer Erzählung, aber genau das, was ich mir vor der Lektüre erhofft hatte: ein bestandener Geschmackstest. Die Novelle weckt Appetit darauf, sich (wieder) in die Vorkosigan-Saga einzulesen und sich von Bujolds reifer Erzählweise auch durch Geschehnisse von zentralerer Bedeutung tragen zu lassen. Mittlerweile bedaure ich, dass ich für den probeweisen Wiedereinstieg auf ein kürzeres Werk gewartet und nicht schon die Romane "Cryoburn" oder "Captain Vorpatril's Alliance" gelesen und rezensiert habe.

In Enriques Sinne nach all dem Lob aber noch eine sachliche Anmerkung: Ich würde empfehlen, diese Novelle wenn, dann als E-Book zu erwerben. Es ist nämlich alles andere als selbstverständlich, dass Subterranean Press überhaupt eine E-Book-Version eines Titels herausgibt – während gleichzeitig für die gedruckten Exemplare geschmalzene Preise verlangt werden. Das ist hier also ein Schnäppchen.