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Premier Jüri Ratas könnte ein Misstrauensvotum drohen.

Foto: AP/Raul Mee

Tallinn – In Estland will die oppositionelle Reformpartei ein Misstrauensvotum gegen Regierungschef Jüri Ratas ins Parlament einbringen. Dies beschloss der Vorstand der wirtschaftsliberalen Partei einem Rundfunkbericht zufolge am Samstag in Tallinn. Grund dafür ist der fehlgeschlagene Versuch der rechtsextremen Regierungspartei – der Estnischen Konservativen Volkspartei (EKRE) -, den Polizei- und Grenzschutzchef zu entlassen.

"Minister überschreiten ihre Befugnisse, missachten Gesetze und Verordnungen, spucken im Grunde genommen auf die Rechtsstaatlichkeit, und der Ministerpräsident schaut sich das an und sagt, alles ist in Ordnung", sagte Reformpartei-Chefin Kaja Kallas. Estland habe keine funktionierende Regierung und Ratas sei dafür verantwortlich.

"Vertrauensverlsut"

Innerhalb der Regierung hatte es zuvor eine Kontroverse über EKREs Versuch gegeben, den Leiter der Polizei- und Grenzschutzbehörde wegen eines angeblichen "Vertrauensverlust" aus dem Amt zu drängen – ohne das Wissen und die notwendige Zustimmung der Regierung. Initiiert wurde der Schritt von Finanzminister Martin Helme, der seinen Vater und EKRE-Chef Mart wegen dessen Urlaub als Innenminister vertritt.

"Ich glaube, es ist sehr klar, dass dieser Akt völlig inakzeptabel war und dass solche Initiativen nicht wiederholt werden dürfen. Nur dann kann eine weitere Zusammenarbeit der Regierung möglich sein", schrieb Ratas von der linksgerichteten Zentrumspartei am Freitagabend auf Facebook nach einem Treffen mit den beiden Helmes .

Dauerkrise

Die EU- und zuwanderungskritische EKRE gehört seit einem Rechtsruck bei den Parlamentswahlen im Frühjahr der estnischen Regierung an, die sich seitdem in einer Art Dauerkrise befindet – es häufen sich Skandale und Negativschlagzeilen. Ratas muss fast wöchentlich Ausfälle von Politikern der Protestpartei gerade rücken.

Ratas hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Frühjahr nach heftiger Kritik an EKRE ein klares Bekenntnis zur EU abgegeben. Estland habe sich zu 100 Prozent der EU verschrieben. Er könne sich nicht vorstellen, an der Spitze einer estnischen Regierung zu stehen, die sich von der EU abwende. Allerdings ist sein Koalitionspartner von EKRE sowohl EU- als auch zuwanderungskritisch. Auf EU-Ebene gehört Ratas Zentrumspartei den Liberalen (Alde) an.

Anfang August hatte indes der rechtsextreme EU-Abgeordnete Jaak Madison von der EKRE auf Facebook, in deutscher Sprache, eine "endgültige Lösung" der Migrationsfrage gefordert. Als die "endgültige Lösung der Judenfrage" bezeichneten die Nazis den Mord an Millionen von ihnen als Juden definierten Personen, der Ausdruck steht wörtlich in einer "Denkschrift" an die Dienststellen des Reichssicherheitshauptamts vom 21. Jänner 1941. Er wolle keine Konzentrationslager und keinen Holocaust, sondern lediglich eine definitive Lösung für die "Migrationskrise, die Europa, seine Geschichte und Kultur" zerstöre, sagte Madison später. (red, APA, 17.8.2019)