Wohlfühl-Rap von Stammgast Macklemore zum Abschluss des Frequency-Festivals in St. Pölten.

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Am Boden im Campingbereich liegen noch die Reste eines malträtierten A4-Zettels. Das Wort "Hug" lässt sich ausmachen. Es lässt darauf schließen, dass hier einmal "Free Hugs" stand. Gleich wenn man die unendlichen Weiten des Frequencys betritt, stehen da ein paar junge Menschen, die via Zetteln mit dieser Aufschrift Umarmungen anbieten, ohne Gegenleistungen einzufordern.

Hier in St. Pölten ist die Welt noch in Ordnung. Man unterhält sich im Bus über den Angebeteten und warum die Situation kompliziert ist und die Gefühle durchwachsen sind, man trägt Neonfarben, Plateauschuhe und Mesh, also süße, enge Netzhemdchen. Man ist pubertätsbedingt dagegen, aber "aufgeweckt" – und das ist jetzt nicht nur ein Euphemismus für "betrunken". The kids are all right, muss man schon sagen. Insgesamt – so scheint es – wird noch vom donnerstäglichen Billie-Eilish-Konzert gezehrt. Sie ist der Grund dafür, warum die meisten gekommen und geblieben sind.

Ein Einhorn schwimmt in der Traisen

Die übrige Musik scheint jedenfalls in den wenigsten Fällen ausschlaggebend zu sein, das Frequency zu besuchen – eine kurze, eher unrepräsentative Umfrage im Campingbereich ergibt, dass man die Reise hierher eher wegen der Freunde, der Party und des gemeinschaftlichen Trinkens angetreten hat. Ein aufgeblasenes Einhorn wartet darauf, am Abreisetag noch einmal die Traisen zu bereiten.

Der Samstag, also der letzte Tag des diesjährigen Festivals, ist, was das Line-up betrifft, wohl der schwächste. Wenn sich das Lesen des Headliner-Line-ups eines Festivals so anfühlt, wie wenn man nach Jahren Volksschulfreunde auf Facebook wiederfindet, ist das tatsächlich suboptimal. "Mah, den Macklemore gibt's noch, hihi, The Offspring, was die wohl heute so machen." Mit Eilish war den Organisatoren ein Glücksgriff gelungen. Zu dem Zeitpunkt, als sie gebucht wurde, war wohl noch nicht abzusehen, dass sie die neue große Pophoffnung werden wird. Somit wurde sie zur unabsichtlichen Headlinerin des Donnerstags und des ganzen Festivals, dessen restliches Line-up keinerlei Stringenz aufweist. Kraut und Rüben ist da noch eine Untertreibung. Der Stimmung in St. Pölten – und hier darf man durchaus loben – tut das Fehlen relevanter und aktueller Acts aber keinen Abbruch.

Ein kapitaler Hirsch auf der Hauptbühne

Der ein oder andere ist dann ja doch dabei: Der Countdown zählt bedeutungsschwanger runter. Auf der Hauptbühne erscheint Capital Bra, der sich zuvor mittels Einspieler als erfolgreichster deutscher Rapper ankündigen hat lassen. Nicht ganz zu Unrecht, immerhin hatte der junge Mann innerhalb eines Jahres 13 Nummer-eins-Hits in den deutschen Charts untergebracht. Dollar-Zeichen tapezieren die Videowalls, während Capital seine "Bratans" und "Bratinas" darum bittet, die Handylichter anzumachen. Dann folgen einige Songs, die exakt gleich klingen (Marimba!) und die von den jungen Fans ab Sekunde eins brav mitskandiert werden. Capital Bra muss sich wenig bemühen, die Gunst der Stunde ist auf seiner Seite.

Interessante Musik ist schlecht fürs Kuscheln

Ein paar hundert Meter weiter tut sich die britische Avant-Pop-Größe Charlotte Aitchison, bekannt unter ihrem Künstlernamen Charli XCX, deutlich schwerer. Die Musik kommt vom Laptop, Tänzer oder sonstige Unterhaltungsmaßnahmen waren offenbar nicht drin. Zwar zieht sie ihre Show professionell-distanziert ab, für Charlie XCXs Musik ist das Festivalsetting aber schlicht nicht das richtige. Schade, hätten bei entsprechender Leistung doch gerade Acts wie sie das unspannende Line-up aufwerten können.

Apropos gestrig: Macklemore hatte bereits im Vorjahr einen Headliner-Slot am Frequency übernommen. Offenbar hat sich der Wohlfühl-Rapper dabei passabel geschlagen und durfte auch heuer wieder seine politisch äußerst korrekten Botschaften auf EDM-lastigen Beats kundtun. Das finden natürlich alle herzerwärmend – Free Hugs scheint am Frequency auch musikalisch das Motto zu sein. Interessante Musik umarmt vielleicht einfach nicht so gut. (Amira Ben Saoud, 18.8.2019)