Srinagar / New York – Mindestens 4.000 Menschen sind im indischen Teil Kaschmirs nach Angaben von Regierungsvertretern seit der Aufhebung des Sonderstatus der Region festgenommen worden. Aus Angst vor Unruhen hätten die Behörden tausende Menschen inhaftiert, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag. "Die meisten wurden aus Kaschmir ausgeflogen, weil die Gefängnisse hier belegt sind", sagte ein Beamter. Die Regierung äußerte sich bisher nicht offiziell zur Zahl der Festnahmen.

Indien hatte vor rund zwei Wochen den in der Verfassung festgelegten Sonderstatus mit Autonomierechten für den Unionsstaat Jammu und Kaschmir, den indischen Teil Kaschmirs, gestrichen und eine Ausgangssperre verhängt. Der Unionsstaat soll zudem aufgeteilt und der unmittelbaren Kontrolle der Zentralregierung unterstellt werden.

Die Menschen würden im Namen des "Gesetzes für öffentliche Sicherheit" festgehalten, berichtete der Beamte. Dabei handelt es sich um eine umstrittene Regelung, die es den Behörden erlaubt, Bürger ohne Anklage oder Gerichtsverfahren bis zu zwei Jahre zu inhaftieren.

"Vorbeugende Maßnahmen"

Mehrere Behördenvertreter, auch von Polizei und Sicherheitskräften der Stadt Srinagar, bestätigten AFP die Zahl. Ein Polizeivertreter sprach sogar von "rund 6.000 Menschen", die nach ihrer Festnahme in Srinagar medizinisch untersucht worden seien. Sie würden zunächst in das Zentralgefängnis von Srinagar gebracht und später mit Militärflugzeugen ausgeflogen. Die indischen Behörden weigern sich bisher, die Zahl der Festnahmen anzugeben. Sie bestätigten lediglich, dass in den ersten Tagen nach Aufhebung des Sonderstatus mehr als hundert Lokalpolitiker, Aktivisten und Akademiker inhaftiert worden waren.

Die "wenigen vorbeugenden Festnahmen" seien notwendig gewesen, um den Frieden in der Region zu wahren, teilten die Behörden mit. Eine "zusammenfassende Zahl" der Inhaftierungen gebe es nicht, erklärte ein Sprecher der Regierung des Unionsstaats Jammu und Kaschmir.

Zusammenstöße

Indische und pakistanische Soldaten haben sich am Wochenende an der Grenzlinie beider Länder in der umstrittenen Himalaya-Region Kaschmir zudem schwere Gefechte geliefert. Dabei wurde nach Angaben der indischen Armee am Samstag ein indischer Soldat getötet.

Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei im indischen Teil Kaschmirs seien nach Behördenangaben am Samstag zudem acht Menschen verletzt worden. Der pakistanische Premierminister Imran Khan begrüßte unterdessen Beratungen des Uno-Sicherheitsrats über den Konflikt, auch US-Präsident Donald Trump schaltete sich ein.

Immer wieder Gefechte

Kaschmir ist seit der Unabhängigkeit Britisch-Indiens und einem Krieg zwischen Indien und Pakistan 1947 geteilt. Die Region im Himalaya wird aber bis heute sowohl von Indien als auch von Pakistan zur Gänze beansprucht. An der De-facto-Grenze kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen den beiden Atommächten.

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Menschen schwenken die Flagge Asad Kashmirs, einer teilautonomen pakistanischen Provinz in der umstrittenen Region Kaschmir während Protesten am Wochenende.
Foto: REUTERS/Akhtar Soomro

In der vergangenen Woche hatte die indische Regierung den Konflikt neu angeheizt, als sie den Sonderstatus mit Autonomierechten für den indischen Teil Kaschmirs aus der Verfassung gestrichen hatte. Der Unionsstaat Jammu und Kaschmir soll zudem aufgeteilt und der unmittelbaren Kontrolle Neu-Delhis unterstellt werden. Der hindunationalistische Premierminister Narendra Modi will mit der Aufhebung des Sonderstatus das Kaschmir-Gebiet stärker in das mehrheitlich hinduistische Indien integrieren. Bisher hatte die Region unter anderem eine eigene Verfassung und weitgehende politische Kompetenzen. Viele Kaschmiris sind gegen die Neuregelung.

Zusätzliche Soldaten

Um Proteste zu unterbinden, hatte die Regierung zehntausend zusätzliche Soldaten in die Region geschickt und eine Ausgangssperre verhängt. Auch die Telefon- und Internetverbindungen wurden gekappt. Die Auflagen waren vor kurzem gelockert worden. Nach erneuten schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei am Samstag wurden sie jedoch offenbar in einigen Orten wieder verschärft, wie die Nachrichtenagentur Press Trust of India berichtete.

Mehrere tausend zusätzliche Sicherheitskräfte wurden in Srinagar stationiert.
Foto: APA/AFP/TAUSEEF MUSTAFA

So nahmen im Kaschmir-Tal am Wochenende zahlreiche Festnetzzentralen ihren Betrieb wieder auf, wie Regierungssprecher Rohit Kansal mitteilte. Allerdings waren in dem Tal und in der größten Stadt Srinagar Mobilfunk und Internet weiter blockiert. Autos, Busse und Rikschas durften in Srinagar am Sonntag wieder fahren, wie auf Aufnahmen der staatlichen TV-Sender und auf dem Twitter-Konto der Polizei von Jammu und Kaschmir zu sehen war. Die Innenstadt von Srinagar blieb aber weiter gesperrt – dort hatte es am Freitag und Samstag vereinzelt Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften gegeben, wie Kansal bestätigte. Das Kaschmir-Tal gilt als Hauptstätte muslimischer Proteste, die seit den 1980er-Jahren eine Abspaltung vom hinduistisch geprägten Indien zum Ziel haben. In Jammu ging das Internet wieder.

Bereits am Freitag war es im indischen Teil des vorwiegende von Muslimen bewohnten Kaschmir zu schweren Zusammenstößen gekommen. Mehrere tausend Menschen versammelten sich nach dem Freitagsgebet in Srinagar. Sie warfen mit Steinen und benutzten Latten und Wellblech als improvisierte Schilde. Die Polizei setzte Tränengas und Schrotmunition ein. Auch aus anderen Städten in Kaschmir wurden Zusammenstöße gemeldet.

Erste Sondersitzung seit 50 Jahren

Der Uno-Sicherheitsrat beriet unterdessen zum ersten Mal seit fast 50 Jahren in einer Sondersitzung über den Kaschmir-Konflikt. Pakistans Premier Khan schrieb nach den Beratungen auf Twitter, der Uno-Sicherheitsrat habe die "Pflicht", sich mit dem "Leid" der Menschen in Kaschmir zu befassen und eine Lösung zu finden.

Indien besteht dagegen darauf, dass der Status der Region eine interne Angelegenheit sei. "Wir brauchen keine internationalen Wichtigtuer, um uns sagen zu lassen, wie wir unser Leben führen sollen. Wir sind mehr als eine Milliarde Menschen", sagte der indische Uno-Botschafter Syed Akbaruddin nach der Sicherheitsratssitzung.

US-Präsident Trump appellierte an die beiden verfeindeten Atommächte, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Der US-Präsident betonte nach Angaben des Weißen Hauses am Freitag in einem Telefonat mit Khan, wie wichtig es sei, dass Indien und Pakistan die Spannungen "durch bilateralen Dialog" abbauten.

Der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi zeigte sich am Samstag jedoch unnachgiebig. Das pakistanische Militär sei zu einer "eindrucksvollen Reaktion" bereit, sagte er bei einer Pressekonferenz mit dem Militärsprecher Asif Ghafoor. (APA, 18.8.2019)