Maja Schöne (Julie) und Jörg Pohl (Liliom) auf der Pernerinsel in Hallein: große Gesten, feine Töne.

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Im Himmel gibt es Erdbeereis und knackfrische Butterkekse, alle sind divers und gegen das repressive Patriarchat. Fantastisch! Doch Liliom, der gewaltbereite Ringelspielausrufer aus Ferenc Molnárs gleichnamigem Stück, hat keine Lust auf zuckersüße Lügen. Das Leben da unten auf Erden spielt nicht immer Erdbeereis. Liliom, vor der Himmelstür mit Aufschrift "Safe Space" wartend, will seine irdischen Taten nicht einfach so heuchlerisch bereuen. Schließlich war sein Verhalten nie grundlos, wie er sagt: Er hat seine Frauen geschlagen, weil er "nicht anders konnte". Er hat einen Raubüberfall verübt, weil er "nicht anders konnte".

Dass der proletarische Stadtwäldchenkünstler aus dem 1920 uraufgeführten Stück irgendwann in den Sog von MeToo gezogen werden würde, war abzusehen. Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó lässt den übergriffigen Hutschenschleuderer (Jörg Pohl) nun bei den Salzburger Festspielen auf der Pernerinsel – eine Koproduktion mit dem Thalia-Theater Hamburg – auf zynische Weise mit der politischen Korrektheit der Gegenwart Tuchfühlung aufnehmen.

Weil er seine Frauen schlug, die Liebhaberin Frau Muskat (Oda Thormeyer) ebenso wie die von ihm schwangere Julie (Maja Schöne), muss er zur Läuterung hundertmal "Ich bin Teil des repressiven Patriarchats" an die Wand schreiben (erweitertes Textmaterial von Kata Wéber). MeToo-Verulkung? Die ist leider missraten.

Geheimnis und Härte

Wer das Drama Liliom moralisch einzuordnen versucht, begibt sich ohnehin auf den Holzweg. Die Besonderheit des Dramas ist ja die rätselhafte Tatsache, dass eine Frau (das Dienstmädchen Julie) den rabiaten und reuelosen Rummelplatzgrapscher über alles liebt, sodass sie sehenden Auges die fatale Ehe eingeht. Sie findet den Mann attraktiv, interessiert sich für seine Heftigkeit, versteht ihn samt seiner stets auflodernden Gewalt und spürt, wie sie in einem diskutierenswerten Satz einmal einbekennt: seine Schläge gar nicht.

Diesen tragischen Glutkern des Dramas erspielen Jörg Pohl und Maja Schöne voller Geheimnis und Härte: Anziehung, die Gewalt in Kauf nimmt. Die beiden lassen eine zwiespältige Inszenierung, die formal einige hohle Ideen verkauft, immer wieder abheben.

Clou des zweistündigen Abends sind zwei aus der Autofabrik geliehene Roboterarme (Bühne: Monika Pormale), die mit der fern gesteuert-poetischen Herbeischaffung von Requisiten zur Hand gehen. Einmal wird ein romantischer Mond über ein Akazienwäldchen hereingehoben, ein andermal eine schnöde Leinwand, die häusliche Szenen und ihre intensive Anspannung nach außen überträgt. Der Maschinenhallencharme gibt der Märchenatmosphäre eine ideale Rahmung.

Anrührende Kraft

Abgesehen vom fragwürdigen MeToo-Beitrag befrachtet Mundruczó seine Inszenierung aber auch mit Illustrationskitsch. Manche Motive, etwa zwei herein gehobene Laufbänder im Schnee (Szene Raubüberfall) oder ein Pool, in den früher oder später alle effektvoll plumpsen, bleiben als willkürliche Einfälle im Raum hängen. Ein andermal wieder kratzt Mundruczó die Kitschkurve und entlockt den schrägsten Märchenbildern (Roboterarme halten den Sargdeckel wie einen Baldachin über der Trauergesellschaft) eine anrührende Kraft. Das Zuschauen gleicht einer Achterbahnfahrt.

Mundruczó drückt immer noch auf die Tube, auch wenn er vom Schocktheater, mit dem er vor knapp zehn Jahren bei den Wiener Festwochen in Österreich erstmals vorstellig wurde, mittler weile schon weit weg ist. Der Widerstreit von großen Gesten und feinen Tönen durchdringt auch diesen Salzburger Liliom. Das ist seine Schwäche und Stärke zugleich. (Margarete Affenzeller, 18.8.2019)