Mitte letzter Woche war an der Wall Street der Bär los: Alle drei US-Indizes rutschten deutlich ins Minus, nachdem die Anleihemärkte Erinnerungen an vergangene Rezessionen geweckt hatten.

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Stellen Sie sich vor, Sie kauern in der Startposition bei einem Sprintwettbewerb. Normalerweise fällt der Startschuss binnen weniger Sekunden. Nun ist schon eine halbe Minute vergangen, und der Starter hat noch immer nicht abgedrückt, das gab es noch nie. Jetzt fühlt sich jede Sekunde wie eine Ewigkeit an; auf der Tribüne platzt ein Luftballon, und Sie jagen los – Fehlstart!

Eine vergleichbare Situation spielte sich in der vergangenen Woche auf den globalen Aktienmärkten ab, als ein seltenes Ereignis an den Zinsmärkten eine Rezessionspanik auslöste und die Börsen auf Talfahrt schickte. Konkret warfen am Donnerstag zweijährige US-Bonds mehr ab als zehnjährige.

Zwei Jahre zwischen Inversion und Einbruch

Das letzte Mal geschah diese bestimmte Inversion der Zinskurve im Vorfeld der Finanzkrise. Sie ging jeder US-Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg voraus. Im Schnitt vergingen aber knapp zwei Jahre zwischen Inversion und Wirtschaftseinbruch.

US-Ökonomen haben sich optimistischer zu einer drohenden Rezession in den Vereinigten Staaten geäußert. Eine Mehrheit von 226 befragten Ökonomen gab an, sie rechneten erst 2020 oder 2021 mit einem Wirtschaftsabschwung, wie der Nationale Verband für Betriebswirtschaft (Nabe) am Montag mitteilte.

Höchste Zeit für Abschwung

Gleichzeitig bewegt sich ein psychologisch nicht zu unterschätzender Indikator in neues Territorium: Zeit. Zehn Jahre und zwei Monate sind seit der letzten US-Rezession vergangen. Das ist der längste Aufschwung seit der großen Depression der 1930er.

Die kurzfristige Inversion der Zinskurve hat Anleger aufgeschreckt. Doch zum Wochenende hin hatten die Märkte einen Teil der Verluste wieder gutgemacht. War das nur ein Fehlstart im Rennen hin zu sicheren Häfen, oder steht eine Rezession unmittelbar bevor?

Die Zinskurve ist als Vorbote eines Abschwungs beliebt, weil sie Erwartungen abbildet. Normalerweise gilt: Je länger man Geld verborgt, desto höher muss der Aufschlag sein, den der Schuldner in Form von Zinsen zurückzahlen muss. Schließlich steigt mit der Zeit das Risiko, dass etwas schiefläuft, und vor allem knabbert die laufende Inflation an der Rendite der Gläubiger. Wenn aber die Zinsen für zweijährige Anleihen über jenen für zehnjährige liegen, wurde diese Logik umgedreht.

Konsumenten lassen aus

Ökonomen der Federal Reserve in St. Louis erklären das mit den Konsumerwartungen der Investoren. Eine boomende Wirtschaft geht mit fleißigem Konsum einher. Wer glaubt, dass sein Einkommen in den kommenden zwei Jahren weiter wächst, wird weniger davon zur Seite legen und mehr ausgeben. Anleihen müssen also höhere Renditen abwerfen, um trotzdem Abnehmer zu finden.

Die Renditen reflektieren demnach die Wachstumserwartungen für die Wirtschaft im jeweiligen Zeithorizont. Die Inversion der Zinskurve verrät den Anlegern, dass die Wirtschaft anfällig für einen Schock ist, aber nicht ob und wann dieser kommt, argumentieren die Notenbanker.

Weder der Golfkrieg noch das Platzen der Dotcomblase oder der Immobilienblase – die Auslöser der letzten drei Rezessionen – seien de facto durch die Zinskurve vorhergesagt worden. Aber als diese Schocks kamen, wurde eine schwächelnde Wirtschaft in den Abschwung gezogen.

Die US-Regierung will etwaige Sorgen um eine schrumpfende Wirtschaft nicht wahrhaben: "Es ist keine Rezession in Sichtweite. Die Konsumenten haben Arbeit. Ihre Löhne steigen. Sie geben Geld aus und sie sparen welches", sagt Wirtschaftsberater von US-Präsident Donald Trump, Larry Kudlow.

Jetzt ist alles anders

Nur weil inverse Zinskurven früher einem Abschwung vorausgingen, muss es diesmal nicht wieder so sein, argumentieren die beiden letzten Chefs der US-Notenbank Fed, Janet Yellen und Ben Bernanke, in den Medien. Zumal die großen Notenbanken mit Anleihekäufen die Welt der Zinsen auf den Kopf stellen, sei auch ein früher verlässlicher Indikator heute überbewertet.

Die Argumente der Notenbanker haben jedoch zwei Haken: Erstens beschwichtigten sie auch vor vergangenen Rezessionen nervöse Reaktionen auf die Zinskurve. Zweitens verneinen die Notenbanker nur einen direkten Zusammenhang zwischen einer inversen Zinskurve und einer Rezession, räumen aber die steigende Anfälligkeit der Wirtschaft nicht aus.

Investoren brauchen keine große Fantasie, um einen möglichen Rezessionsauslöser zu finden, wie jüngste Entwicklungen zeigen: Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat sich weiter verschärft, die Stimmung der US-Verbraucher ist so schlecht wie seit Jahresbeginn nicht mehr, und ein chaotischer Brexit ist nicht weniger wahrscheinlich geworden. In diesem Umfeld dürften auch die nächsten bösen Omen zu ungewöhnlich starken Marktreaktionen führen. (Leopold Stefan, 19.8.2019)