Ein bisschen heruntergerockt, aber immer eine "bella figura" machen. Im römischsten aller Stadtteile, in Trastevere, ist das Programm. Man sieht es an den karmesinroten Häusern, von denen Putz bröckelt, an dem Pflaster, das sich über Jahrhunderte zu einem wellenförmigen Straßenparkett eingetreten hat, und manchmal sieht man es an den Betrunkenen, die nachts durch die Gassen streichen und so tun, als sei ihr Spritzgetränk nur Sodawasser gewesen. Jahrhundertelang waren es nur Arbeiter und Tagelöhner, die den Stadtteil belebten. Auf der "falschen" Seite des Tiber befand sich Trastevere einst vor den Toren Roms. Daher auch der Name: jenseits des Tiber.

Rom jenseits des Tiber: In Trastevere gibt es sie noch, die engen Gassen, in die nur Fiat 500 und Vespa passen.
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10 Uhr: Bei einem Spaziergang durch das Herz des Viertels spüren Besucher noch die Beengtheit: am besten von der Piazza Trilussa kommen, entlang der Via del Moro an den kleinen Geschäften entlanggehen, hinein in die Gassen rechterhand, die auf magische Weise alle zur Via della Scala führen.

11.30 Uhr: pünktlich an der Kirche Santa Maria della Scala eintreffen. Am Samstagvormittag beginnt dort nach Voranmeldung die Führung durch die erste Apotheke Roms. Die Antica Spezieria (Piazza della Scala 23) liegt in der ersten Etage über der modernen Farmacia im Erdgeschoß, 1954 wurde sie aus hygienischen Gründen geschlossen und dient heute als Museum.

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Santa Maria della Scala
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Seit dem 16. Jahrhundert versorgten die Mönche des Karmeliter-Ordens von hier aus die Päpste und Adeligen mit Salben, Tinkturen und Mittelchen. Von 40 Brüdern sind drei übrig geblieben, einer von ihnen ist Padre Deepak Joseph. Er führt durch den Verkaufsraum. Was wie das schlimmste Quacksalberlabor unter der Sonne aussieht, galt einst als modernster Ort der Pharmazeutik. Im Hinterzimmer lässt der Padre die Besucher an Kräutern riechen, die seit Jahrzehnten lagern. Er zieht eine Schublade mit Hirschholzpulver auf, "bei Impotenz", sagt er. Aha, Viagra antica.

13 Uhr: Es ist kurz nach eins, ein paar Gehminuten von der Speziera entfernt. Roberto Polica steht schon seit acht Stunden hinter dem Tresen des Feinkostgeschäfts Antica Caciara (Via di San Francesco a Ripa 140 A/B), einer Institution im Viertel. Der 70-jährige Römer lächelt unaufhörlich, als handle es sich um eine Samstagabendfamilienshow und nicht die Wochenendeinkaufshölle. "Come sta, signora?" Darf's ein bisschen mehr sein?

Guanciale
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Polica schneidet Pecorino an und reicht Guanciale, den guten Schweineschinken, über die Theke. Die Neonröhre an der Decke surrt leise, auf dem Steinfußboden hallen die Schritte der Hausfrauen nach. Alles wirkt wie aus der Zeit gefallen. Amerikanische Touristen schauen verwundert in das schmucklose Geschäft, römische Hausfrauen gehen ihnen resolut nicht aus dem Weg. Sie wollen bei Roberto ihren Cacio kaufen, so heißt der Pecorino auf Römisch. Für die Einheimischen sei der Käse das "Herz des Lebens", wie der alte Besitzer hinter der Theke sagt, und hier bekommen sie ihn noch, "il vero", den echten aus einer Meierei an der Ponte Galeria, einige Kilometer außerhalb der Stadt.

14 Uhr: Musik anstellen und über die Kopfhörer das Mundharmonika-Thema aus dem Film "Spiel mir das Lied vom Tod" hören. Nicht weil die Gentrifizierung das Viertel plagt und viele Wohnungen inzwischen Airbnb-Apartments geworden sind, sondern weil Ennio Morricone in den 1930er-Jahren hier zum ersten Mal auf der Trompete seines Vaters gespielt hat.

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Ennio Morricone ging in Trastevere zur Schule.
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Der Oscar-prämierte Komponist wuchs in einem der Häuser neben der Caciara auf, es ist mehr als wahrscheinlich, dass er bei Policas Vorfahren seine Lebensmittel gekauft hat. Ein Mitschüler aus der Schule in Trastevere wurde später einer der wichtigsten Wegbegleiter von Morricone: Regisseur Sergio Leone. Er inszenierte Italo-Western wie "Spiel mir das Lied vom Tod".

17 Uhr: Das Zentrum des Viertels ist die rechteckige Piazza di Santa Maria in Trastevere. Die Kirche existiert seit dem 4. Jahrhundert. Das goldfarbene Fresko an der Fassade leuchtet grell in der Sonne. Am Brunnen vor der Kirche lungern Punks, während sich geführte Radtouren durch die Menschengruppen klingeln. Afrikaner verkaufen an provisorischen Ständen Designschnickschnack, eine Wahrsagerin bietet an einem Klapptisch ihre Tarotkünste an. Bei Bedarf – sprich: wenn die Polizei Stichproben macht – können die Tische und Stände schnell abgebaut werden.

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Trotz Fahrverbots knattert immer wieder die eine oder andere Vespa durch das Zentrum Trasteveres.
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Die verwinkelten Straßen sind schlecht für Verfolgungsjagden geeignet. Motorisierte Gefährte sind fast überall im Zentrum Trasteveres verboten, aber Rom wäre nicht Rom, wenn nicht doch ein paar ehrgeizige Vespa-Fahrer an Fußgängern vorbeikurven und der Kakofonie von Zurufen eine Tonspur Motorenheulen hinzufügten.

21 Uhr: Auf der anderen Seite der Viale Trastevere, dort, wo sich der Tiber nach Süden krümmt, versteckt sich ein weiterer alter Teil des Viertels. Einige der besten Restaurants befinden sich in den Gassen, zum Beispiel das Le Mani in Pasta (Via di Genovesi 37). Als die Schriftstellerin Taiye Selasi vor einigen Jahren ihren Bestseller Diese Dinge geschehen nicht einfach so in Rom zu Ende schrieb, gehörte die kleine Osteria zu ihren Lieblingslokalen. Die Spezialitäten: frische Meeresfrüchte mit Spaghetti oder das Seebarsch-Carpaccio mit Trüffeln.

9 Uhr: Am Sonntagmorgen pilgern die Römer nicht mehr in die Kirche, sondern auf den Flohmarkt an der Porta Portese. Der größte Trödelmarkt der Stadt liegt im neuen Teil von Trastevere. Es ist ein bisschen wie überall in Rom: sinnliche Überforderung. Die Menschen drängen sich aneinander vorbei, Verkäufer schreien Preise heraus, und man kann sich bei den Möbeln, Kleidern oder Accessoires nicht entscheiden, ob das nun Schrott oder Gold ist.

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Flohmarkt an der Porta Portese
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12 Uhr: Ursula Prügger wohnt seit knapp 30 Jahren in Rom, sie kam einst als Juristin in die italienische Hauptstadt und blieb als Fremdenführerin. Die Österreicherin kennt noch die alten Sprüche. "Ich gehe in die Stadt", sagten die Einwohner Trasteveres, wenn sie meinten, dass sie über die Brücke ins historische Zentrum mussten.

Nun wohnt die gebürtige Grazerin selbst in Trastevere und erklärt kleinen Gruppen die Geheimnisse des Stadtteils (zu buchen unter localike-roma.com). Sie weiß, dass man an der Piazza Trilussa, wo abends die Mofa-Burschen auf die Gucci-Mädchen starren, eine Alternative zur Pizza hat: das Trapizzino (Piazza Trilussa 46). Urrömische Gerichte wie die Polpette al sugo, Fleischbällchen in Tomatensauce, landen als Füllung in einem dreieckigen Weißbrot.

14 Uhr: Sie wollen lieber bei einem Glas Wein entspannen? Kein Problem. Ursula Prügger schickt Reisende zu Barbara Enzinger, die in der Latteria Trastevere (Vicolo della Scala 1) Naturweine aus Italien serviert und eine kleine kuratierte Speisekarte anpreist. Rindertatar, Burrata, Schinken-Bruschetta. Die Gastgeberin war früher Krankenschwester im berühmtesten Kinderkrankenhaus der Stadt, dem Bambini Gesú, seit ein paar Jahren achtet sie auf die Qualität des Essens in der Latteria. Am besten im Freien sitzen und die Römer an sich vorbeiziehen lassen.

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Blick über Rom vom Gianicolo aus
Foto: Getty Images/mammuth

18 Uhr: Kein Rom-Besuch ist komplett, ohne den Hügel Gianicolo erklommen zu haben. Er liegt gleich hinter Trastevere, Bergsteiger erreichen ihn über eine steile Treppe, gehen zuerst am Palast der spanischen Botschaft entlang und genießen dann das beste Panorama auf die Ewige Stadt. Pantheon, Kolosseum, das Kapitol, alles liegt den Besuchern zu Füßen. Die Monumente haben nur einen Makel: Sie liegen alle auf der falschen Tiber-Seite, jenseits von Trastevere. (Ulf Lippitz, 28.8.2019)