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Sudans Bevölkerung sieht der mehrjährigen Übergangsphase zumeist mit Freude entgegen.

Foto: REUTERS/Mohamed Nureldin Abdallah

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Feierstimmung in Khartum, 17. August 2019.

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Stellt man sich die sudanesische Revolution als Oper vor, dann sind Ouvertüre und die ersten beiden Akte inzwischen gespielt. Sie begann Ende 2018, als Tausende in allen größeren Städten auf die Straße gingen, um gegen Machtmissbrauch und Misswirtschaft durch das Baschir-Regime zu protestieren.

Die Reaktion war brutale Gewalt und politische Winkelzüge. Doch sie nützten nichts. Omar al-Baschirs Gegenspieler, die Bevölkerung, hatte aus seinen Niederlagen gelernt: Statt sich mit einer längst verschlissenen Oppositionspartei oder Rebellengruppe zu verbünden, organisierte die Bürgerbewegung ihren eigenen Widerstand: streng geheim, hochgradig diszipliniert, kompromisslos friedlich und kommunikationstechnologisch auf dem letzten Stand. Baschirs Kettenhunde vom Geheimdienst wurden dieses Mal überrumpelt.

Beginn mit Paukenschlag

Dann der erste Akt: Er begann mit einem Paukenschlag. Mit einem mutigen Zug vor das Hauptquartier der Streitkräfte gelang es den friedlichen Demonstranten, die Sympathie zumindest der niederen Rängen der Soldateska zu gewinnen. Der Offiziers-Chor geriet in Panik: Um einen radikalen Umsturz zu verhindern, opferten sie ihren Chef, der seitdem offiziell hinter Gittern, inoffiziell im Hausarrest sitzt. Das Thema des ersten Aktes, der friedliche Umsturz, kam zu seinem Höhepunkt: Fortissimo, der Vorhang fällt.

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Im zweiten Akt dann das, was man in der Musiktheorie die Umkehrung nennt. Das Thema ging auf die Gegenspieler über: Die im Amt verbliebenen Protagonisten des Regimes, die zu retten suchen, was zu retten ist. Ihr Thema war der Fortbestand staatlicher Ordnung: Das Land musste vor dem angeblich drohenden Chaos geschützt werden, wozu – leider! – auch hartes Durchgreifen nötig war. Die Miliz von General Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemiti) versuchte den Widerstand des Volks zu brechen: Das Kalkül der Bulldozer ging allerdings nicht auf: Das Volk ging zu Hunderttausenden auf die Straße. Forte fortissimo, der Vorhang fällt.

Der dritte Akt: die Durchführung. Den Militärs wird klar, dass sich das Problem nicht mit Panzern aus dem Weg räumen lässt. Die Afrikanische Union schließt das Militärregime aus ihren Reihen aus, das Ausland beginnt sich um das sudanesische Drama zu kümmern. Auch die Opposition erkennt, dass sich die Maschinengewehre nicht aus der Welt singen lassen: Der einzige Ausweg sind Verhandlungen, lange Nächte, langwierige Gespräche, mezzopiano.

Das Wunder der sudanesischen Staatsoper: Die Durchführung beginnt tatsächlich harmonisch. Beide Seiten erreichen eine Einigung, wie die nächsten drei Übergangsjahre gestaltet sein sollen. Militärs und zivile Opposition sollen sich die Macht teilen, der paritätisch besetzte "Souveräne Rat" wird zunächst von einem Militär geführt, die unter ihm angesiedelte Regierung von einem Zivilisten, dem erfahrenen UN-Ökonomen Abdalla Hamdok.

Wäre Sudans Umsturz eine Sonate, würde jetzt alles zu einem glücklichen Ende kommen. Doch Sudans Drama ist eine Oper – und die zieht sich bekanntlich hin.

Das Finale steht noch aus

Was noch alles passieren kann: Noch immer zieht die Miliz der grauen Eminenz Hemiti in Sudans Städten herum: Wird sie nicht aufgelöst oder in die reguläre Armee integriert, geht von ihr ständige Gefahr aus. Auch sind die Verantwortlichen des von ihnen angerichteten Blutbads noch immer frei: Darunter Hemiti selbst, der inzwischen behauptet, ein undisziplinierter Kommandant seiner Miliz habe das Massaker angerichtet.

Al-Baschir hatte am Montag seinen ersten Gerichtstermin: Ihm wird allerdings nur vorgeworfen, Geld veruntreut zu haben – eine Anklage wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen wie in Den Haag hat er nicht zu befürchten.

Vor allem aber muss der "deep state", das seit der Unabhängigkeit wuchernde wirtschaftlich-politische Wurzelwerk der Militärs, gejätet werden: Anders wird sich auch der ökonomische Ruin des Staates nicht verhindern lassen.

Bis es in drei Jahren mit freien und fairen Wahlen zur großen Coda der Oper kommen kann, wird aus Khartum noch mancher Paukenschlag zu hören sein. Bleibt zu hoffen, dass der uniformierte Kontrabass nicht die Kadenz zersägt. (Johannes Dieterich, 20.8.2019)