Wien – Andrea Ferretti und Leonida Fusani haben in ihrer Forscherkarriere schon etliche Gartengrasmücken gesehen. Diese eher unauffälligen Singvögel brüten in ganz Mitteleuropa; den Winter allerdings verbringen die spatzengroßen Vögel in Zentralafrika und legen dafür im Herbst rund 5.000 bis 6.000 Kilometer zurück.

Einen der Zwischenstopps auf der langen Reise machen die Vögel auf der italienischen Insel Ponza südlich von Rom. Und auf diesem Eiland haben Ferretti, Fusani und ihre Kollegen in den letzten Jahren mehr als 11.000 Gartengrasmücken gefangen, um sie auf ihren physiologischen Zustand zu untersuchen – und dann natürlich wieder freizulassen.

Ein Nebenresultat dieser aufwendigen Untersuchungen ist eine neue Studie im Fachblatt Current Biology. Dafür hat das Team um Fusani und Ferretti, die beide am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung (Veterinärmedizinische Universität Wien) arbeiten, die Rastgewohnheiten der Zugvögel genauer unter die Lupe bzw. Wärmebildkamera genommen.

Untersuchte Schlafpositionen

Dabei zeigte sich, dass die Schlafhaltung der Grasmücken von ihrer physiologischen Kondition abhängt. Jene Vögel, die bereits die meisten ihrer Fettreserven aufgebraucht hatten, zogen es vor, mit unter einem Flügel verstecktem Kopf zu schlafen, während fette Vögel ihr nächtliches Nickerchen lieber mit aufrechtem Kopf machten. Messungen mit einem Respirometriesystem zeigten, dass Vögel in der versteckten Schlafposition ihren Energieverbrauch reduzierten, um so Kräfte für ihre Weiterreise zu sparen.

Eine Gartengrasmücke im Wachzustand.
Foto: Getty Images / iStock

Die eigenwillige Schlafposition kommt auch bei vielen anderen Vogelarten und sogar bei Pinguinen vor, die nicht fliegen können. Fossilfunde deuten wiederum darauf hin, dass Vögel dieses Schlafverhalten von ihren gefiederten Dinosaurier-Vorfahren geerbt haben. Mehrere Studien zeigen, dass Vögel durch das Verstecken des schlecht isolierten Kopfes und Schnabels den Wärmeverlust reduzieren und damit Energie sparen.

Verlangsamte Reaktionszeit

Aber warum sollten das nicht alle Gartengrasmücken bei ihren Zwischenstopps so machen? Die Antwort ermittelten die Forscher mittels eines Verhaltensexperiments: Als sie den Vögeln das Geräusch von knisterndem Laub vorspielten, um die Annäherung eines Beutegreifers zu imitieren, reagierten Vögel in der versteckten Schlafposition langsamer als jene, die in aufrechter Position schliefen.

Die Gartengrasmücke im Flug, in der "sicheren" Schlafposition und in der besonders erholsamen – aber potenziell tödlichen – Ruhehaltung.
Foto: Ferretti et al./Current Biology 2019

Die Zugvögel stecken also während ihrer Zwischenstopps in einem schwerwiegenden Dilemma: Schlafen sie mit verstecktem Kopf, sparen sie Energie. Zugleich erhöhen sie dadurch jedoch ihr Risiko, einem Beutegreifer zum Opfer zu fallen. Es gilt also, zwischen beiden lebenserhaltenden Alternativen zu wählen.

Laut den Forschern bedeuten die neuen Erkenntnisse nicht nur eine neue Sicht auf die Funktion der Schlafposition von Vögeln. Sie werfen auch neues Licht auf die ökologischen und physiologischen Herausforderungen, denen Zugvögel ausgesetzt sind. (Klaus Taschwer, 20.8.2019)