Keine Angst, das wird jetzt keine Verlängerung der Eliud-Kipchoge-Hauptallee-Geschichte von letzter Woche. Und ich bin auch nicht so anmaßend, die Relevanz dieser Kolumne und ihrer Poster dermaßen zu überschätzen, dass ich jetzt behaupte, dass es eine/r von Ihnen war, der die Arbeit der Asphaltierer vor bösen Pferdehufen und Kutschenreifen "gerettet" hat.

Foto: thomas rottenberg

Denn vermutlich wäre das Schild mit dem Fiaker-Fahrverbot auch dann aufgestellt worden, wenn hier kein Poster darauf hingewiesen hätte, dass der neue, brettelebene und flache Straßenbelag nie und nimmer bis in den Oktober neu, bretteleben und flach bleiben würde, wenn da zweimal täglich ein paar Dutzend Fiaker drüberfahren.

Dass das Schild an der Strecke eineinhalb oder zwei Tage nach dem Leserhinweis zur letztwöchigen Kolumne hier kam, habe ich so gar nicht mitbekommen. Aber falls es den Poster oder die Posterin freut zu glauben, die Strecke "gerettet" zu haben, dann möge es so sein. Tut ja keinem weh.

Foto: thomas rottenberg

Was angesichts mancher Postings und Reaktionen auf PHA-Text aber auch auffiel, war, dass es allem Anschein nach tatsächlich immer noch eine Menge Leute – sogar Wienerinnen und Wiener – gibt, die "Prater" mit "Hauptallee" (bei NichtläuferInnen: "Wurstelprater") gleichsetzen.

Dass die dann irgendwann fragen, wie langweilig es oder wie einfallslos man sein muss, ein ganzes Läuferleben auf einem 4,2 Kilometer langen, schnurgeraden Stück Beton zu vertraben, ist nachvollziehbar. Aber eben auch ein Irrtum: Der Prater ist ein ziemlich weitläufiger und vielfältiger Spielplatz – und wenn man nicht verlernt hat zu sehen, verzaubert er immer wieder mit neuen, wunderschönen Bildern und Eindrücken.

Foto: thomas rottenberg

Wer will, kann hier schier endlos laufen (oder spazieren gehen), ohne ständig an ein und demselben Baum vorbeizukommen. Ganz locker auch zu weit über 80 Prozent asphaltfrei – also den "offiziellen" Trailrun-Kriterien entsprechend.

Etwa so wie bei diesem lockeren Longjog am Sonntag. Dass die letzten Kilometer am Track nach 1a-Asphalttraben aussehen, täuscht: Es gibt ja neben der Piste die Reitallee. Die "kostet" zwar – so wie jeder Waldweg – Tempo, freut aber die Sprung- und Kniegelenke. Und nebenbei arbeitet man auch – so wie auf jedem nicht ganz ebenen Untergrund – zumindest ein bisserl an Stabilität und Technik.

Foto: thomas rottenberg

Aber: Ja, nur die Reitallee rauf und runter zu rennen wäre irgendwann genauso fad, wie ausschließlich über den "Strip" zu pendeln – aber nach 17 oder 18 Kilometern wurde dann die Nähe zum Wasser doch zum stärkeren Argument: Es war nicht nur ein kleines bisserl drückend und schwül – und an der PHA steht eben alle 900 Meter ein Hydrant.

Ganz nebenbei dampft der neue Belag auch noch aus. Beim lockeren Trab spürt man das kaum oder gar nicht. Aber bei Intervallen oder wenn die Sonne so richtig auf die Straße knallt, eben doch.

Foto: thomas rottenberg

Aber keine Frage: Abseits ist es spanender. Insbesondere dann, wenn man mit Leuten unterwegs ist, die das nicht schon 2.000-mal gesehen haben und Wien nur als Stadt-Stadt kennen. Die staunen ziemlich, wenn 30 Meter neben der Hauptstrecke auf Wald- und Uferwegerln die stark bevölkerten Hauptrouten nebenan in der Sekunde wie weggezaubert wirken.

Mit das Gute an solchen Läufen ist, dass man als "Local" dann plötzlich wieder die Augen aufmacht und Alltägliches bewusst wahrnimmt.

Foto: thomas rottenberg

Es sind die Details, die aus einer Stadt oder Gegend Heimat machen. Große Parks, gerne auch so naturnah-urwaldig wie die einstige Au in vielen Ecken, gibt es andernorts auch. Ein Heimatfilm, im positiven Sinn, wird aber erst draus, wenn man im großen Bild auch die kleinen sieht. Oder eben wieder sehen übt.

Foto: thomas rottenberg

Doch auch alleine sieht man manchmal mehr. Oder anderes. Am Samstag etwa hatte ich einen Tempodauerlauf auf dem Plan. Zwei K locker ein- und auch wieder auslaufen, dazwischen zehn – für mich – flotte Kilometer. Nicht ganz, aber doch beinahe auf Anschlag. Das geht solo besser.

Samstag ist Hochzeitstag. Auch in Wien. Im Prater gibt es eine ziemlich hübsche, bei Hochzeitern recht beliebte Kapelle: Maria Grün. (Auch etwas, was nicht einmal alle Wiener wissen).

Verschwitzt dort mitten durch eine Hochzeitsgesellschaft zu brettern wäre ein No-Go – man kann ja auch ganz easy außen rum. Aber manchmal wollen dann auch die Hochzeitspaare kurz durchatmen – und stehen dann irgendwo im Wald auf dem Weg. Super aufgebrezelt trifft komplett verschwitzt. Aber alle sind glücklich und lachen: Mazal-Tov und alles Gute.

Foto: thomas rottenberg

Wenn ich nicht irre, gab es hier in den letzten Wochen dann auch schon das erste, im Sommer unvermeidliche Oben-ohne-geht-doch-gar-nicht-Posting. Doch, das geht. Für mich zumindest: im unverbauten Gebiet auf alle Fälle.

Dort, wo Frauen mit Sport-BH und bauchfrei laufen, darf auch ich mein Shirt ausziehen. Und ebenso, wie es niemandem (egal ob Mann oder Frau) zusteht, einer Frau mit dem Hinweis auf Alter, Beine, Po, Bauch oder Hüften irgendwelche Kleidung zu verbieten oder zu verordnen, ist das auch bei Männern: Das hier ist Sport im Freien, kein Model- oder Ästhetikcontest. Auch der dickste, schwabbeligste, ganzkörperbehaarteste Megaschwitzer darf so und unkommentiert unterwegs sein, wie er will. Hier draußen – auf Tuchfühlung und in der Stadt ist das was anderes.

Foto: thomas rottenberg

Das tatsächlich Spannende an der Shirtless-Debatte ist aber, dass sie gar keine ist – und dennoch "funktioniert". Und zwar alle Jahre wieder. Lediglich die Frage, ob Männer sich beim Sport (oder auch sonst) die Beine rasieren sollen, geht – klickzahlen- und kommentarintensitätsmäßig – meist noch besser.

Verwunderlich ist das aber in Wirklichkeit eh nicht: Kann man bei anderen Themen Kompromisse diskutieren oder finden, kennt "Shirt oder nicht Shirt" keine Graustufen. Ist so binär wie "Rapid oder Austria", "Bortolotti oder Zanoni" oder "schwanger?": Da hat jeder eine, seine/ihre Meinung. Und sobald wer eine andere als die eigene und somit natürlich einzig gültige postet, geht es rund.

Wohlan, das Spielfeld ist hiermit freigegeben.

(Nachsatz: Dieses Click- und Kommentarbaiting funktioniert nur, solange man genau das nicht dazuschreibt. Poster lieben es nämlich gar nicht, gesagt zu bekommen, wie vorhersag- und berechenbar ihre Reaktionsweisen mitunter sind. ;-) )

(Thomas Rottenberg, 21.8.2019)

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