Über 20 Jahre nach Kriegsende ist es möglich geworden, Ausstellungen über den Bosnien-Krieg zu machen. Der aufgeschlitzte Bauch einer bosnischen Muslimin und darin eine Babyleiche sind auf dem ersten Foto übergroß zu sehen, das man im privat finanzierten "Museum der Verbrechen gegen die Menschheit und des Genozids 1992–1995" in Sarajevo sieht. Im weiteren Verlauf der Ausstellung über Srebrenica und die Belagerung von Sarajevo durch die bosnisch-serbische Armee setzt sich dieser Stil fort: blutige Kinderleichen und verstümmelte Körper. Was durch diese Bilder des Grauens übertönt wird, sind die Zeugnisse der Opfer, die Gegenstände, die ihre Geschichten erzählen, hinter denen die blutigen Schädel immer wieder die Blicke auf sich ziehen und zum fluchtartigen Weitergehen zwingen. Diese Pädagogik des Grauens ist noch aus hiesigen Gedenkstätten bekannt.

Eine andere Ausstellungsstrategie dieses Museums ist die Gleichsetzung des Schicksals bosnischer Opfer des Krieges der 1990er-Jahre mit jenem der Jüdinnen und Juden im Holocaust. Das zweite Bild, das man beim Betreten der Ausstellung sieht, zeigt einen jüdischen Jungen im Warschauer Ghetto mit Davidstern-Armbinden – und daneben einen Mann mit einer weißen Armbinde. Dazu heißt es, 1992 seien in der Stadt Prijedor erstmals seit dem NS-Dekret, das polnischen Juden weiße Davidstern-Armbinden vorschrieb, Angehörige einer ethnischen oder religiösen Gruppe "für die Vernichtung" markiert worden. Dabei wird nicht etwa auf den Holocaust im kroatischen Ustaša-Staat und in Sarajevo selbst verwiesen, sondern auf Warschau, was zeigt, wie sehr der Holocaust zu einem enthistorisierten Sinnbild für Verbrechen geworden ist. Doch wenn man Bosniaken als "neue Juden" und "die Serben" pauschal als "neue Nazis" darstellt, kann man kaum friedlich in einem gemeinsamen Staat zusammenleben.

Im Museum der Verbrechen gegen die Menschheit und des Genozids von Sarajevo.
Foto: Ljiljana Radonić

Kinderopfer

Im Gegensatz zu obigem 2016 eröffneten Museum steht das ebenfalls in Sarajevo 2017 eingerichtete "Museum der Kriegskindheit". Es versammelt Zeugnisse und Gegenstände von Kindern während der Belagerung von Sarajevo und des Bosnienkrieges. Über einen Metallteller schildert der 1986 geborene Damir: "Eines meiner Lieblingsrituale im Krieg war das Eismachen. Manchmal habe ich von der humanitären Hilfe Kakao- oder Saftpulver bekommen. Diese Pulver habe ich in diesem kleinen Teller mit Wasser gemischt und sie dann, falls es Strom gab, in den Tiefkühler gestellt. Wenn keine Granaten fielen, habe ich das Eis stundenlang genüsslich auf dem Balkon unserer Wohnung gegessen." Manchmal ist es der Gegenstand selbst, der einen erschaudern lässt. Etwa die beiden Hälften eines Spielplatz-Klettergerüsts, von dem der 1978 geborene Haris berichtet. Es wurde von einer Granate in zwei Hälften gerissen, die 1992 Azmir, Sanela, Aldina und Admir tötete und Haris verletzte. Das Grauen des Krieges wird hier ganz ohne Gruselpädagogik greifbar.

Museum der Kriegskindheit in Sarajevo.
Foto: Ljiljana Radonić
Entzwei gesprengtes Klettergerüst.
Foto: Ljiljana Radonić

Nur an einer Stelle wird in dieser auf Bosnisch und Englisch gestalteten Ausstellung etwas für die internationalen Besucher "verdeutlicht": Azra schreibt über den Brief ihres Vaters, er habe ihn ihr nach zwei Jahren in einem Lager (bosnisch: logor) zum Geburtstag geschickt. In der Übersetzung ist dann aber von "concentration camp" die Rede. Offenbar als "Hilfestellung" für ausländische Besucher wird also auch hier einmal auf die Nazi-KZ angespielt. Als ob es nötig wäre, die von den bosnischen Serben betriebenen Lager in die Nähe von Gaskammern und Krematorien zu rücken. So einem Museum gelingt es, durch individuelle Geschichten Empathie mit den Getöteten, Verletzten und Davongekommenen zu wecken.

Die Gräuel von Srebrenica

Im Unterschied dazu versucht die ebenfalls 2017 eröffnete ständige Ausstellung an dem Ort, der für den Mord an über 8.000 bosniakischen Männern und Jungen im Juli 1995 steht, dem Gedenkzentrum Srebrenica-Potočari, auch die politischen Zusammenhänge zu ergründen. Sie wurde in Zusammenarbeit mit der niederländischen Gedenkstätte für das NS-Durchgangslager Westerbork errichtet. Trotzdem, oder vielmehr genau wegen dieser Zusammenarbeit, vermeidet die neue Srebrenica-Ausstellung jegliche Gleichsetzung mit dem Holocaust.

Stattdessen wird auf das zurückgegriffen, was wir aus der Musealisierung des Holocaust nach Jahrzehnten gelernt haben: etwa, dem Versuch zu widerstehen, dem Opfertod etwas Heldenhaftes einhauchen zu wollen. Die Ausstellung thematisiert die sinnlose Leere, die den Verwandten statt ihrer Lieben bleibt. Auch der Trend, individuelle Schicksale statt anonymer Leichenberge auszustellen, stammt aus Holocaustmuseen. So begleitet hier das Schicksal des jungen Riki und seiner Mutter, die schließlich ihren Sohn nie wiedersah, die Besucher von Raum zu Raum. Dies ist aber eben eingebettet in die Schilderung der politischen Zusammenhänge, der Verbrechen, der Tätergruppen und Prozesse gegen sie.

Weg zur Ausstellung in der Gedenkstätte Srebrenica-Potočari.
Foto: Ljiljana Radonić
Dauerausstellung.
Foto: Ljiljana Radonić

Unterschiedliche Zugänge

Auch der Ort selbst wird hier thematisiert: Die Graffiti der damals in der ehemaligen Batteriefabrik stationierten niederländischen UN-Blauhelme, auch wenn sie sexistische und rassistische Inhalte haben, wurden als Zeitzeugnisse erhalten. Die Ausstellung verweist auch auf die Begräbnisstätte auf der anderen Straßenseite, wo jedes Jahr die neu identifizierten Leichen der Opfer begraben werden, welche die Täter zu Verschleierungszwecken zum Teil in "Sekundär- und Tertiärgräbern" verscharrten.

Grabsteine der Opfer von Srebrenica.
Foto: Ljiljana Radonić

Die Bandbreite dieser unterschiedlichen Zugänge ist dabei überraschend. Von Museen über frühere Verbrechen, insbesondere den Holocaust, zu lernen, erweist sich aus meiner Sicht eindeutig als fruchtbarer als verfälschende Gleichsetzungen. (Ljiljana Radonić, 21.8.2019)