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Bringt wildes Leben mit ehrlicher Tönen: James Carter

Foto: Getty

Ekstatiker James Carter am Sopransaxofon. Der US-Musiker beherrscht allerdings auch den Rest der Saxofonfamilie zwischen Bass und Sopran. Ein Ausnahmetyp auch in diesem Punkt.

Bei James Carter findet sich die übliche Konzertdramaturgie bisweilen auf den Kopf gestellt. Gerne serviert der US-Saxofonist die hitzige Zugabe zum Einstand. Carter hebt dann ekstatisch ab, zu vernehmen sind emotional aufgeladene instrumentale Grenzgänge, die der Mann auch erklären kann: "Du musst erkennen, wenn dich Inspiration überkommt. Du weißt nie, wann sie sich manifestieren wird. Also höre zu und sei bereit, im Augenblick ehrlich zu reagieren." Wann immer es eben nötig ist.

Turbulente Reise

Ein Livealbum ist insofern das ideale Medium für das Multitalent, das die gesamte Saxofonfamilie beherrscht: Live from Newport Jazz (Blue Note) enthält zwar Stücke des Gitarristen Django Reinhardt. Nach Sinti-Jazz klingt es allerdings nicht.

Auf Basis eines Sounds, der etwa von Organist Jimmy Smith bekannt ist, lässt Carter die Kollegen Alex White (Schlagzeug) und Gerald Gibbs (Orgel) eine Welt aufbauen, die bisweilen souljazzig tönt und zumeist dem eleganten Mainstream der 1960er-Jahre huldigt.

Die Soli des Amerikaners sind allerdings eine turbulente Reise durch Jahrzehnte der Jazzgeschichte. Da steigen die gelassenen Hauchsounds von Coleman Hawkins und Ben Webster aus der Geschichte auf. Im nächsten Augenblick sind schnittiger Hardbop und die "Schmerzen" des freien Spiels zu vernehmen, die auch John Coltrane erlitt. Bisweilen dringt allerdings auch jene Kauzigkeit durch, die an Pianist Thelonious Monk gemahnt.

Junger Löwe, gereift

In Carter rumort also die Jazzhistorie; sein individueller Zugang ist denn auch unter dem Begriff "Modern Creative" aktenkundig. Vor einigen Jahren ist Carter (Jahrgang 1969, geboren in De troit) zwar unter dem Klischee "Junge Jazzlöwen" international bekannt geworden. Neben Leuten wie Joshua Redman stand er für Neotraditionalismus im Windschatten eines Wynton Marsalis, mit dem Carter auch gespielt hat. Allerdings war die Klassifizierung schon damals falsch. Statt Normerfüllung geht es bei Carter um einen Ausdruck, der Unmittelbarkeit sucht und auch in riskante Regionen der Dekonstruktion von Tradition führt – also weg vom reinen Bewahren eines Stils.

Ellington und Basie

Es ist nicht verwunderlich: Daheim hörte Carter Funkiges von Sly and the Family Stone ebenso wie Barry Manilow, Parliament Funkadelic und Hendrix. Mit dabei waren auch Big-Band-Größen wie Duke Ellington und Count Basie. Zudem spielte "Mutter Violine, Klavier und sang. Das ist es, woher meine Musik kommt", so Carter, der sogar den Opernsänger Caruso schätzt. "Ich habe die Integrität in seinem Gesang bewundert. Ich versuche, diese Integrität, Überzeugung und Intensität auf mein Spiel zu übertragen." Nur etwas anders.

Bis zur Livebegegnung mit dem Caruso-Fan dauert es. Carter wird am 17. Oktober im Porgy & Bess zu hören sein. Die aktuelle Live-CD bietet jedoch ausreichend Stoff, um hitzige Konzertatmosphäre ins Wohnzimmer zu wuchten. ( Ljubiša Tošić, 20.8.,2019)