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Staatspräsident Sergio Mattarella (links) muss eruieren, ob Giuseppe Conte (rechts) eine zweite Chance bekommt.

Foto: AP / Ital. Präsidentschaftsbüro / Paolo Giandotti

Die Häme und die Erleichterung nach dem Sturz der Regierung waren vor allem bei den linken Medien Italiens groß: "Das schöne Leben ist vorbei", titelte der Manifesto und zeigte den zerknirschten Innenminister Matteo Salvini an der Seite von Premier Giuseppe Conte. Seinen Slogan vom "schönen Leben" hatte Salvini auf die Flüchtlinge gemünzt, vor deren Nase er die italienischen Häfen schloss. "Der letzte Kuss" lautete die Überschrift von "La Repubblica" – eine Anspielung auf die höhnischen Kussmünder, mit denen Salvini auf Facebook seine politischen Gegner zu ärgern pflegt.

Das politische Harakiri Salvinis ist beispiellos – selbst in der italienischen Politik, die für ihren Hang zum Melodram und zur Tragikomödie berüchtigt ist. Aufgepeitscht von sagenhaften Umfragewerten, die ihn und seine Lega bei bis zu 38 Prozent sahen, wurde Salvini größenwahnsinnig: Er stürzte seine eigene Regierung, um sich bei Neuwahlen an die Stelle von Regierungschef Conte zu setzen – und zwar ausgestattet "mit vollen Machtbefugnissen", wie er selber phantasierte. Dabei hat Salvini übersehen, dass er im aktuellen Parlament nur über 17 Prozent der Sitze verfügt – und dass praktisch alle anderen Parteien nicht das geringste Interesse an Neuwahlen haben.

"Jede Regierung, die aus dieser Krise entsteht, wäre ein Anti-Lega-Kabinett", wetterte Salvini am Mittwoch in Rom.

Auf der Suche

Die Angst vieler Senatoren und Abgeordneten vor dem Verlust ihres gut dotierten Parlamentssessels wird Präsident Sergio Mattarella bei der Suche nach einer alternativen Regierung zweifellos behilflich sein. Das Staatsoberhaupt begann Mittwochnachmittag mit Sondierungsgesprächen; am Donnerstag, soll die erste Konsultationsrunde abgeschlossen werden.

Am wahrscheinlichsten erscheint zurzeit eine Koalition aus den bereits bisher regierenden Fünf Sternen mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico, die eventuell von außen durch Silvio Berlusconis Forza Italia unterstützt würde. Eine solche Regierung hätte zwar in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit – aber kaum einen gemeinsamen politischen Nenner. Es wäre ein Anti-Salvini-Pakt, der ausschließlich dazu dient, Neuwahlen zu verhindern – und damit einen sehr wahrscheinlichen klaren Wahlsieg der Lega. Die Südtiroler Volkspartei plädiert jedenfalls für eine zweite Regierung unter Conte.

Was Italien unter einem Premier Salvini blühen könnte, hat der gestrauchelte Innenminister am Dienstag im Senat bereits angekündigt: Er würde Italien aus der Knechtschaft der "Brüsseler Bürokraten" führen und dem Land einen heilsamen finanziellen Schock in der Höhe von 50 Milliarden Euro in Form von Steuererleichterungen und Investitionen verpassen. Das italienische Staatsdefizit würde damit auf über fünf (!) Prozent des BIP schnellen. Mit den Vorgaben der EU-Kommission wäre dies freilich völlig unvereinbar. Die Gefahr eines fahrlässig oder auch mutwillig herbeigeführten Austritts aus der Eurozone würde akuter, als es den europäischen Partnern lieb sein kann.

Euro gefährdet

Mit Salvini als Regierungschef würde aber nicht nur die Zukunft des Euro gefährdet, sondern auch die bisherige Positionierung Italiens innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Bisher hat noch keine italienische Regierung die Nato-Mitgliedschaft infrage gestellt; Salvini dagegen machte noch nie einen Hehl aus seiner Bewunderung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Wie groß die Nähe Salvinis zum Kreml ist, hat ein vor wenigen Monaten aufgeflogener Skandal vor Augen geführt: Engste Vertraute des Lega-Chefs hatten in einem Moskauer Hotel mit Personen aus Putins Umfeld Verhandlungen über illegale Parteispenden an die Lega geführt und im Gegenzug eine russlandfreundliche Politik der italienischen Regierung in Aussicht gestellt. Die alten und neuen Salvini-Gegner hätten also gute Gründe, sich zusammen zuraufen und zu hoffen, dass sich die Popularität Salvinis bis zum regulären Wahltermin 2023 irgendwie von selbst verflüchtigt.

Pro und contra Conte

Doch das Unterfangen ist kompliziert – schon allein die Person des künftigen Premiers entzweit die Grillini und den PD: Die Fünf-Sterne-Bewegung möchte Conte neuerlich an der Spitze der neuen Regierung sehen, PD-Chef Nicola Zingaretti fordert dagegen eine "Diskontinuität": Man könne nicht mit einem Mann zusammenarbeiten, der 14 Monate lang treuer Gehilfe Salvinis gewesen sei und der sich erst in letzter Minute von diesem distanziert habe – in der durchschaubaren Hoffnung, sich mit einem anderen Koalitionspartner in eine zweite Amtszeit zu retten.

Das Zustandekommen des Anti-Salvini-Pakts ist also noch keineswegs ausgemachte Sache. Staatspräsident Mattarella wird sich jedenfalls nicht mit einer wackeligen Pseudolösung zufrieden geben und auf einer stabilen Koalition mit einem klaren Programm für den Rest der Legislaturperiode bestehen. Ansonsten wird er das Parlament auflösen und doch noch Neuwahlen für den kommenden Herbst oder Frühling ansetzen. Bis zur Entscheidung des Staatspräsidenten, der den Parteien noch einige Tage Zeit geben wird, sich zu einigen, bleibt Italien und Europa nur eines: Hoffen und Bangen. (Dominik Straub aus Rom, 21.8.2019)