Keine Frage: Es war notwendig und richtig von Giuseppe Conte, als Regierungschef Italiens zurückzutreten. Nur so konnte er Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini endlich Einhalt gebieten. Es war ebenso notwendig und richtig, dem eigenen Stellvertreter die Leviten zu lesen und ihn in aller Öffentlichkeit über Wert und Sinnhaftigkeit der demokratischen Institutionen aufzuklären sowie ihm sein demokratiepolitisch oft fragwürdiges Verhalten an den Kopf zu werfen.

Contes Abrechnung mit Salvini war für viele ein Befreiungsschlag. Medialer Applaus brandete auf: Der parteiunabhängige Premier habe das Format eines Staatsmannes bewiesen und schonungslos, ruhig – ohne den Tremor des Zornes in der Stimme – gesagt, was gesagt werden musste.

Ein Befreiungsschlag

Doch der scheidende Premier hat längst nicht alles gesagt, was gesagt werden musste. Er ist so gut wie gar nicht auf seine eigene Verantwortung in dieser, mit 14 Monaten viel zu lang gewesenen Regierungsposse eingegangen. Man kann nicht zuerst alles mittragen, was Salvini anzettelt – eine beispiellos harte Migrationspolitik, eine gefährliche Herausforderungshaltung gegenüber der EU – und ihn dann plötzlich als verantwortungslos, autoritär, machtgierig und gefährlich abkanzeln. Das ist zu billig.

Wahre Größe hätte Conte dann an den Tag gelegt, wenn er von selbst eingeräumt hätte, dass er nicht so lange dem Treiben der Lega – und mit Einschränkungen auch der Fünf-Sterne-Bewegung unter Luigi Di Maio – hätte zusehen dürfen. Wahres Format hätte er bewiesen, wenn er die sehr magere Bilanz dieser Regierung und die Verantwortung für die Wirtschaftsflaute auf die eigene Kappe genommen hätte, statt sie allein mit dem Wüten und Poltern Salvinis zu erklären. Allerdings – und das muss man Conte hoch anrechnen – hat er es gleich zweimal geschafft, Italien und der EU ein Defizitverfahren zu ersparen. Da übte er sich geradezu in Bescheidenheit.

Kandidatur für ein erneutes Mandat

In ihrer Gesamtheit war Contes Demissionsrede im italienischen Senat weniger ein Abschied vom Amt des Ministerpräsidenten als eine Kandidatur für ein erneutes Mandat als Anführer einer Regierung – freilich mit teils anderen Partnern. Sollte es tatsächlich so weit kommen, hätte Conte – vielleicht unverdient – eine Chance zu beweisen, dass er tatsächlich staatsmännisches Format besitzt. Bisher blitzte dieses bloß in einer Rede auf, in der er ohnehin nichts zu verlieren hatte. (Gianluca Wallisch, 21.8.2019)

Giuseppe Conte, (abgetretener) Regierungschef Italiens, liest Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini die Leviten.
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