Im Gastkommentar erklärt Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger, dass die Lehre für Asylwerber nicht nur ökonomisch und integrationspolitisch sinnvoll ist, sondern auch taktisch klug.

Als die ehemalige Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck dieser Tage damit aufhorchen ließ, das geltende Arbeitsverbot für Asylwerbende "neu beurteilen" zu wollen, erfuhr sie auch in den eigenen Reihen breite Unterstützung. Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer, dem der Fachkräftemangel in seinem Bundesland hinreichend bekannt ist, sprach sich für eine rasche Lösung aus, ebenso wie prominente ÖVP-Unterstützer der Initiative Ausbildung statt Abschiebung des grünen Landesrats Rudi Anschober. Nun gibt es auch einen Schwenk an der ÖVP-Spitze: Sebastian Kurz unterstützt eine "pragmatische Lösung".

Aus integrationspolitischer Sicht ist der Vorstoß bekanntlich sinnvoll. Arbeit ist eine zentrale Triebfeder für Integration. Auch der Spracherwerb klappt nirgendwo schneller als direkt am Arbeitsplatz, im regelmäßigen Kontakt mit Kollegen und Vorgesetzten. Traumatische Erfahrungen, die viele Geflüchtete im Heimatland oder auf ihrem Weg nach Europa gemacht haben, können bei sinnvoller Tätigkeit im Aufnahmeland rascher und besser verarbeitet werden, weil das Gefühl von Selbstwirksamkeit, ein soziales Netz und ein strukturierter Tagesablauf wichtige Resilienzen schaffen. Gerade für junge, arbeitsfitte und -willige Menschen ist das wesentlich und kann hohe volkswirtschaftliche Folgekosten in Form von Sozial- und Gesundheitsausgaben abfedern. Auch die öffentliche Sicherheit und das subjektive Sicherheitsgefühl der österreichischen Wohnbevölkerung werden durch die sinnvolle Beschäftigung jugendlicher Geflüchteter gestärkt.

Ökonomisch motivierte Migrationsängste der Österreicher nahmen zuletzt ab.
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Betriebe profitieren

Vor allem aber würden betroffene Betriebe – vorrangig im ländlichen Raum – von einer Lockerung des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerbende profitieren, denn der vielzitierte Fachkräftemangel kann wiederum Arbeitslosigkeit und somit Abwanderung erzeugen, und zwar dann, wenn dadurch Produktion und somit andere, davon abhängige Jobs wegfallen. Gleichzeitig erodiert das mitgebrachte Humankapital geflüchteter Menschen, wenn es über einen längeren Zeitraum hinweg nicht sinnstiftend eingesetzt werden kann. Österreich verliert somit wertvolles Arbeitskräftepotenzial. Können Fachkräfte jedoch rasch und niederschwellig ausgebildet sowie eingesetzt werden, belebt das den gesamten Arbeitsmarkt, über die Fachbranche hinaus.

Erst kürzlich hat eine Studie der Universität Stanford und der ETH Zürich eindrucksvoll gezeigt, wie hoch die Kosten restriktiver Arbeitsmarktpolitik sind: Hätte Deutschland in den 1990ern den Arbeitsmarkt für Geflüchtete aus Ex-Jugoslawien nur sieben Monate früher geöffnet, wären durch weniger Sozialausgaben und mehr Steuereinnahmen pro Jahr 40 Millionen Euro gespart worden. Das lässt sich durch den sogenannten Narbeneffekt erklären: Je länger ein Mensch nicht arbeiten darf, desto stärker und nachhaltiger sinkt die Motivation – und diese steigt auch nach erfolgtem Arbeitsmarktzugang nicht wieder so rasch an. Deshalb sind die ersten Monate im Aufnahmeland ganz besonders entscheidend für die spätere Integration von Geflüchteten. Alles, was in dieser Phase falsch läuft, wirkt überproportional lange nach.

Breite Akzeptanz

Parteipolitisch betrachtet ist eine Unterstützung des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerbende aber nicht nur ökonomisch, sicherheits- und integrationspolitisch sinnvoll, sondern auch taktisch klug. Denn neueste Daten legen nahe, dass die Österreicher zwar weiterhin eine differenzierte, in Teilen stark polarisierte Einstellung zum Themenkomplex Migration und Asyl hegen, jedoch zunehmend die Möglichkeit zur Integration durch Arbeit einfordern. Die kürzlich erschienene Europäische Wertestudie zeigt, dass die kulturelle Skepsis gegenüber Einwandern in den letzten Jahren stärker wurde, gleichzeitig aber ökonomisch motivierte Ängste abnahmen: Während 2008 noch die Hälfte der Österreicher der Meinung war, Zuwanderer würden Einheimischen Jobs wegnehmen, ist dieser Anteil 2018 auf 32 Prozent gesunken. Ähnliche Veränderungen zeigt die landesweit gesunkene Zustimmung zur Aussage, dass Zuwanderer heimgeschickt werden sollen, wenn Jobs knapp werden oder dass Arbeitgeber Österreicher bevorzugen sollen. Zugleich wird Integration, allen voran durch den Erwerb der deutschen Sprache und die Anpassung an den hiesigen Lebensstil, stärker denn je eingefordert.

Rasche Lösung

Es scheint, als wäre das von Kurz damals als Staatssekretär ausgelobte Mantra "Integration durch Leistung" in den Köpfen der Österreicher angekommen: Zuwanderung wird zunehmend als gegeben wahrgenommen – immerhin hat mittlerweile knapp ein Viertel aller in Österreich lebender Menschen Migrationshintergrund -, solange Migranten ihren Beitrag leisten, vor allem wirtschaftlich. Das gelingt natürlich nur dann, wenn sie das auch rechtlich dürfen, was bei Asylwerbenden, selbst wenn sie jahrelang in Österreich aufhältig sind, bisher nur sehr beschränkt und zuletzt gar nicht mehr möglich war.

Für die rund 900 Lehrlinge, die derzeit auf einen Asylbescheid und somit eine potenzielle Abschiebung warten, wäre nun eine rasche, endgültige Lösung wünschenswert. Für die Betriebe, die viel Zeit und Energie in ihre Ausbildung investieren, ist endlich Rechtssicherheit zu schaffen. Sollte die Politik dennoch nicht rechtzeitig handeln können oder wollen, kommt ihr vielleicht wieder einmal die Justiz zuvor: Laut EU-Aufnahmerichtlinie, der auch Österreich zugestimmt hat, ist Asylwerbenden nach längstens neun Monaten Aufenthalt ohnehin Arbeitsmarktzugang zu gewähren. Eine diesbezügliche höchstgerichtliche Entscheidung ist wohl nur mehr eine Frage der Zeit. (Judith Kohlenberger, 22.8.2019)