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Andreas Kalbitz, AfD-Spitzenkandidat in Brandenburg, will eine neuerliche Wende erleben.

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Ist er das wirklich? Man kann es nicht genau erkennen von hinten. Also geht es ein paar Schritte vor auf dem Marktplatz von Brandenburg an der Havel, vorbei am Würstelstand, dem Kinderschminktisch, bis zur Bühne der AfD-Wahlveranstaltung.

Tatsächlich: Unter dem Rednerpult, dort, wo alle gleich hinschauen werden, hängt ein Plakat mit dem Bild des deutschen Altkanzlers Willy Brandt (SPD). "Mehr Demokratie wagen", steht darauf – jener legendäre Satz, den Brandt im Jahr 1969 in seiner ersten Regierungserklärung sprach. Darunter findet sich auf dem Plakat der Hinweis, dass man am 1. September AfD wählen möge.

"Den Brandt hätte ich nicht gewählt, der war ja doch ein Linker", sagt ein Mittfünfziger, aber dass die AfD den Altkanzler im Wahlkampf einsetzt, findet er gut: "Klar, wir haben formal eine Demokratie in Deutschland. Aber man kann nicht wirklich alles sagen." Er etwa verschweigt in seinem Kfz-Betrieb, dass er die AfD wählen wird – weil sie die einzige Partei ist, "die sich um uns Deutsche kümmert".

Später, als der brandenburgische AfD-Landeschef und Spitzenkandidat Andreas Kalbitz auf die Bühne tritt, applaudiert der Mann wie viele andere auch, als Kalbitz sagt, man wolle natürlich nicht die DDR mit der Bundesrepublik vergleichen, jedoch gleich hinzufügt: "Viele Menschen überlegen sich wieder: was sage ich wem – in der Arbeit, im Verein. Das ist eine Situation, die die Menschen im Osten nie wieder erleben wollten."

"Vollende die Wende"

"Wende 2.0." und "Vollende die Wende!" steht auf den Wahlplakaten der AfD in Brandenburg und in Sachsen. Aufgerufen wird zur "friedlichen Revolution mit dem Stimmzettel". Und das kommt bei vielen gut an. In Brandenburg, das seit 30 Jahren von der SPD regiert wird, liegt die AfD in Umfragen auf Platz eins. In Sachsen, wo seit 1990 die CDU an der Macht ist, könnte sie ebenfalls als Erste durchs Ziel gehen.

Natürlich dürfen im AfD-Wahlkampf die üblichen Themen nicht fehlen. Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland beklagt, dass die Regierung lieber die "Interessen der Migranten, des Weltklimas und der Eisbären" vertrete als die der Wähler. Er nennt es "närrisch", aus Braunkohle und Atomenergie auszusteigen, weil so viel Ökostrom zu teuer werde für die Konsumenten, und fordert, deutsche AKWs wieder hochzufahren.

Aus dem Unrechtssystem befreien

Doch hauptsächlich versucht die AfD in diesen Ost-Wahlkämpfen, den Menschen das Gefühl zu geben, sie müssten sich – so wie 1989 beim Fall der Berliner Mauer – heute genau wieder so aus einem Unrechtssystem befreien. "Wir wollten die Freiheit und bekamen Masseneinwanderung", steht im Wahlkampffolder. Viele Wahlhelfer tragen Westen mit der Aufschrift "Dissident".

Und Gauland betont: "Wir haben 1989 die Freiheit erkämpft, aber die Westdeutschen haben erklärt, wo es langgeht, und uns zu Bürgern zweiter Klasse gemacht."

Er verschweigt, dass er selbst jahrzehntelang in der westdeutschen (hessischen) CDU aktiv war. Auch Kalbitz ist kein "Ossi", sondern stammt aus München. Gemeinsam mit dem Thüringer Landeschef Björn Höcke, der ebenfalls im Westen aufwuchs, steht er an der Spitze der Rechtsaußen-Gruppierung "Flügel".

Früher war es die Linkspartei, die mit der Botschaft auftrat, sie vertrete vor allem die Interessen der Ostdeutschen. Doch diese ist 30 Jahre nach der Wende längst im Establishment angekommen, sie regiert in Berlin und Brandenburg mit, stellt in Thüringen den Ministerpräsidenten.

AfD läuft Linken den Rang ab

"Die AfD hat der Linken den Rang abgelaufen. Jetzt nutzt sie geschickt die Unzufriedenheit vieler Bürger mit dem Establishment aus und zieht Parallelen zwischen der DDR und dem System Merkel", sagt der Dresdner Politologe Hans Vorländer.

Dass sich die AfD in die Tradition der DDR-Bürgerrechtler stellt, sorgt auch für Empörung. Sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich eingemischt und nennt dies eine "perfide Verdrehung der Geschichte". Denn während die friedlichen Revolutionäre von einst die Grenzen überwunden hätten, ginge es "politischen Gruppen" von heute darum, sich abzuschotten und neue zu errichten.

In einem offenen Brief protestieren zahlreiche Bürgerrechtler der Wendezeit sowie Kulturschaffende gegen den "Missbrauch" der friedlichen Revolution des Jahres 1989. "Die DDR war eine kommunistische Diktatur, und die Bundesrepublik ist eine freiheitliche Demokratie", heißt es darin. "Wer diese Unterschiede nicht anerkennt, verharmlost die SED-Diktatur. Deutschland braucht keine Revolution 2.0, wir werden nicht unterdrückt, wie es die Staatssicherheit im Auftrag der SED praktizierte", steht in dem Schreiben, das unter anderem von Marianne Birthler, Wolfgang Thierse und dem Schauspieler Jan Josef Liefers unterzeichnet wurde. Und weiter: "Für die Demagogen der AfD sind wir 1989 nicht auf die Straße gegangen."

Apropos Straße. Gauland hat, angesichts des erwartbaren AfD-Triumphes, noch eine Botschaft. Niemand müsse sich vor der AfD fürchten. "Wenn wir in die Ministerien einziehen, wird es keine Fackelzüge geben." Das seien bloß "feuchte Angstträume von linken Spinnern". Der Traum von AfD-Ministern wird sich aber auch nicht erfüllen. Weder in Sachsen noch in Brandenburg will jemand mit der AfD koalieren. (Birgit Baumann aus Brandenburg an der Havel, 22.8.2019)