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22. September 1946: Die Vienna besiegt die Austria vor 56.000 Zusehern auf der Hohen Warte mit 2:0 – ein ewiger Heimbesuchsrekord.

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Mario Kempes gab 1986/87 20 Spiele für die Vienna.

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Jetzt, da man die Angelegenheit beinahe schon rückschauend, bilanzierend beschreiben kann, lässt sich erst so richtig ermessen, welcher Zauber dem Anfang innegewohnt hat. Der Wiener Fußball ist zwar nicht vom Himmel gefallen. Aber vielen schien es genau so. Denn plötzlich war es da, das schöne Spiel um und mit dem Ball. Und die Buben sind ganz wurlert geworden.

Erst ungeregelt auf den Stadtwiesen. Durch sanften oder weniger sanften Druck von Ordnungshütern gedrängt, organisierte man sich in Vereinen. Auf der Hohen Warte war der Ordnungshüter der Eigentümer. Nathaniel Meyer von Rothschild, ein nicht armer Bankier, warf seine ballbesessenen Gärtner – teils Engländer, teils angelernte heimische Ballesterer – aus seinen weithin gerühmten Gartenanlagen, stellte ihnen aber die Kuglerwiese zur Verfügung. Zum Dank spielten die Burschen in des Barons Farben, Blau-Gelb. Das schöne Logo hat einer der ballverrückten Gärtner, ein gewisser William Beale, entworfen – mit der Triskele als Gruß an seine Heimat, die Isle of Man in der Irischen See.

Am 22. August des Jahres 1894 wurde von der k. k. Statthalterei Niederösterreich der Antrag auf Vereinsgründung genehmigt. Der Verein sollte den Namen First – das "First" war sehr wichtig – Vienna Football Club tragen und in weiterer Folge sechsmal Österreichischer Meister werden (1931, 33, 42, 43, 44, 55), dreimal Cupsieger (29, 30, 37), 1931 gar Mitropacup-Sieger. Die Vienna – einer der ganzen Großen im österreichischen Fußball.

Zweite Sieger Cricketer

Zeitgleich mit dieser Vienna reichten auch die ausschließlich englischen Praterbuben um den kaiserlich-königlichen Sanctus ein. Der kakanische Aktenlauf war, warum auch immer, den Döblingern gewogener. Erst am 23. August erhielten die Cricketer den Stempel, nannten sich "First Vienna Cricket and Football Club". Die Vienna beeinspruchte erfolgreich das "First". Und Wien hatte somit von Anbeginn an eine herzerfrischende, oft auch schienbeinschmerzliche Rivalität. Das erste offizielle Fußballspiel Wiens im November 1894 gewannen die Cricketer auf der Kuglerwiese mit 4:0. 300 Menschen schauten zu.

Die Zuschauerzahlen sollten sich bald ändern. 1896 übersiedelten die Blau-Gelben auf die Hohe Warte, wo sie heute noch daheim sind. 1921 eröffnete dort das größte Fußballstadion auf dem Kontinent. Eine beeindruckende, amphitheatrale Naturarena, in der sich manchmal bis zu 90.000 Menschen gedrängt haben. Oder noch mehr. Im April 1923 – beim 0:0 gegen Italien – waren es so viele, dass es sogar, begünstigt durch Regen, nach Abpfiff zu einem Erdrutsch kam.

Wunderteam

Zu dieser Zeit war der Fußball längst schon ein Geschäft. Und die Vienna mittendrin. In der Hochzeit des Wiener Fußballs – mit einem 5:0 über Schottland kam am 16. Mai 1931 auf der Hohen Warte das Wunderteam auf die Welt – setzten sich die Döblinger an die Spitze der Nahrungskette. Der von vielen als eigentlicher Spielführer des Wunderteams gesehene Rechtsverbinder Fritz Gschweidl war bis 1948 bei der Vienna aktiv.

Im Krieg setzte die Vienna – Fritz Gschweidl war nebenher auch der sportliche Leiter – zu einem Höhenflug an. Dreimal war sie Ostmark-Meister, 1943 gewann sie den Cup. Der Preis dafür war freilich hoch. Der durchs Wohlwollen Rothschilds zur Welt gekommene Sportverein verlor seine jüdischen Mitglieder. Sektionsleiter Rudolf Grünwald etwa wurde am 15. Juni 1944 in Maly Trostinec ermordet.

Als Hans Menasse 1947, 17-jährig, aus dem englischen Exil zurück nach Wien kam, hatte der Vater – ein glühender Vienna-Fan, der den Krieg wie durch ein Wunder in Wien überlebt hatte – ihn schon bei der Vienna gemeldet. Dort also, wo der Wunderteam-Star Karl Rainer gekickt hat. 1938 hatte Rainer ungeniert die Menasse'sche Wohnung arisiert.

Hans Menasse wurde zu einem blau-gelben Nachkriegsstar, spielte in jener legendären Mannschaft, die zum letzten Mal Meister geworden ist. Im Mittelfeld zangelten neben Menasse Karl Koller und Joschi Walter, der spätere Team- und Austria-Chef; vor ihm unter anderen Hans Buzek. Ihr Trainer war Leopold Hofmann. Jener Hofmann, dem einst Wunderteam-Chef Hugo Meisl mit erhobenem Stock nachgelaufen ist mit den Worten "Sie Verbrecher!", weil er ein Dribbling gewagt hatte, anstatt zu passen.

Mutation zum Aufzugsgast

Damals, 1955, hatte der Wiener Fußball noch ein bisserl Kontakt mit dem Zauber des Anfangs. Wie sehr der abgerissen ist, zeigt beispielhaft auch die Vienna. Es war dann ein stetes So-lala. Phasen leidvoller Plagen wurden von schönen Erfolgen abgelöst. Die Döblinger mutierten zum Aufzugsgast: einmal oben, einmal unten. Unter Trainer Ernst Dokupil, der um sich viele Talente versammelte – von Andreas Herzog bis Ivica Vastic -, erreichte man 1988 und 1989 den Uefa-Cup und dort jeweils die zweite Runde.

Der größte Erfolg dieser neuzeitlichen Vienna war allerdings ein Transfer: Mario Kempes, der argentinische Heimweltmeister 1978, wechselte 1986 auf die Hohe Warte. Es war, kann man wohl sagen, das letzte Mal, dass Wien – ganz Österreich – kopfstand wegen der Vienna. Danach stand in der Hauptsache die Vienna kopf. 2017 musste Insolvenz angemeldet werden, die Vienna wurde in die zweite Wiener Stadtliga verbannt. Und nun, in der Wiener Stadtliga, feiert sie das 125. Gründungsjubiläum.

Als ein Schatten ihrer selbst. Aber dieses Schicksal teilt der First Vienna FC 1894 mit der ganzen ballesterischen Stadt, von der Österreichs ältester Fußballverein sich den Namen geborgt hat. (Wolfgang Weisgram, 22.8.2019)