Wien – Es klingt zu schön, um wahr zu sein: ein Energieträger, der fast unumschränkt zur Verfügung steht, in der Industrie für Prozesswärme sorgt, Pkw, Lkw und Flugzeuge antreibt, darüber hinaus aber auch noch mehr kann, und vor allem – keine Rückstände hinterlässt, weder Asche noch klimaschädliches CO2.

Wasserstoff (H2) kann viel. Aber zu glauben, mittels zweier H-Atome könnten Unternehmen wie Haushalte à la longue energieautark werden, sei doch ziemlich naiv. Das ist der Sukkus einer Studie der Boston Consulting Group (BCG), die dem STANDARD vorliegt.

"Wasserstoff hat ein großes Potenzial, aber man muss genau abwägen, für welches Anwendungsgebiet. Denn man kann auch rasch sehr viel Geld verlieren", sagte Frank Klose, Mitautor der Studie und Senior Partner von BCG im Büro in Düsseldorf.

Industrie, Lkw, Fliegerei

Großes Potenzial sehen die Studienautoren, wenn grüner, sprich mittels erneuerbarer Energien gewonnener Wasserstoff verstärkt dort zur Anwendung kommt, wo er sich absehbar rechnen kann. Das sei insbesondere in der Industrie der Fall, aber auch im Schwerlast- und Schiffsverkehr beziehungsweise in der Fliegerei. Das seien Bereiche, wo die Batterietechnologie wegen beschränkter Reichweiten an Grenzen stoße, Wasserstoff aber auch hinsichtlich Convenience besser sei. Der Nachteil der höheren Kosten falle dadurch weniger ins Gewicht.

Wenn Politik und Industrie sich auf diese Anwendungen fokussieren würden, könnte der Markt für grünen Wasserstoff schon im Jahr 2050 rund 1000 Milliarden Dollar schwer sein, das sind umgerechnet mehr als 900 Milliarden Euro.

"Wir wollten eine Indikation geben, auf welche Größenordnung der Markt für grünen Wasserstoff in den kommenden Jahrzehnten anwachsen könnte", sagte Klose. Zu diesem Zweck habe man die weltweit größten Wirtschaftsräume genau studiert und analysiert, was an CO2-Vermeidung möglich und wo Wasserstoff gegenüber anderen Technologien wettbewerbsfähig sein könne.

Günstiger Strom gesucht

Klose warnt allerdings angesichts von Protesten gegen den Bau neuer Stromtrassen in Deutschland und Österreich – Stichwort Salzburg-Leitung -, auf diese zu verzichten. Wasserstoff erzeugen, dem Gas beimischen und über bestehende Leitungen distribuieren sei erheblich teurer und um nichts effizienter. Zudem müssten die Flächen für Onshore-Windkraft um den Faktor vier bis acht vergrößert werden. Selbst da seien Widerstände programmiert, sagte Klose. Die Industrie sei insofern ein vielversprechendes Einsatzgebiet, als Wasserstoff dort bereits in der Erzeugung etwa von Ammoniak oder Methanol eingesetzt werde, ebenso im Raffineriebereich. Klose: "Da gibt es kaum günstigere Alternativen zur Dekarbonisierung."Die Kosten müssten aber noch deutlich runter.

Damit grüner Wasserstoff zu vertretbaren Kosten erzeugt werden könne, brauche es günstigen Strom und deutlich größere Elektrolysen.

"Heute haben wir es meist mit Elektrolyse-Anlagen zwischen fünf und zehn Megawatt (MW) zu tun. Um grünen Wasserstoff in großem Stil zu produzieren, benötigen wir Anlagen von 100 MW und mehr", sagte Klose. Solche Anlagen, die kapitalintensiv seien, müssten zumindest 5000 Stunden im Jahr laufen, was mit Überschussstrom allein nicht möglich sei. Europaweit gibt es derzeit rund 150 Projekte rund um Wasserstoff, alle gefördert. Eines davon wird von Voestalpine, Siemens und Verbund vorangetrieben. In Linz soll bis Jahresende die weltweit größte Elektrolyse zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Betrieb gehen. Ziel ist es, Stahl langfristig CO2-neutral herzustellen.

Für die türkis-blaue Regierung in Österreich war Wasserstoff eines der Steckenpferde. Am Mittwoch hat Kanzlerin Angela Merkel für Deutschland eine Wasserstoffstrategie angekündigt, sie soll bis Jahresende vorliegen. (stro, 22.8.2019)