Halte dich fest, richtig gut fest! Denn wenn du Gas – sorry: Strom – gibst, hast du Drehmoment und Beschleunigung, dass du nur so schaust. Mit knapp mehr als drei Sekunden von null auf 100 und mit einer Sekunde von 60 auf 100 Stundenkilometer hängt die Zero SR/F sehr, sehr viele handelsübliche Motorräder locker ab – ohne Brüllen, ohne Schalten. Nur der Elektromotor jault, und der Antriebsriemen surrt, bis die Windgeräusche die Klangkulisse bestimmen.

Das kleine, bronzefarbene runde Ding ist der Motor. Und dort, wo normalerweise der Motor ist, ist der Tank. Und im Tank das Ladekabel.
Foto: Gianluca Wallisch

Willkommen in der motomotiven Zukunft, sie hat schon längst angefangen. Und sie macht Spaß, kein Kunststück bei 190 Newtonmeter Drehmoment. Zum Vergleich: Amtliche Sportler wie die Honda Fireblade, die Yamaha YZF-R1, die Kawasaki Ninja H2 oder die Ducati Panigale V4 grundeln irgendwo zwischen 110 und 125 Newtonmeter herum und wollen dafür auf 11.000 und mehr Umdrehungen hochgejagt werden.

Nehmen Sie sich zum Tanken mindestens eine Stunde Zeit.
Foto: Gianluca Wallisch

Die elektrisch angetriebene Zero stellt sie in den Schatten – und zwar immer, nicht nur innerhalb eines schmalen Drehzahlbandes – an der Ampel genauso wie beim Spurwechsel auf der Stadtautobahn oder beim Heizen auf der Passstraße. Kurz am rechten Griff gezupft, und es geht ab wie auf der Carrera-Rennautobahn unserer Kindheit.

Top Speed? Uninteressant, angeblich 200 km/h; wer will, kann das ja einmal auf der Rennstrecke ausprobieren. Die Zero gibt ein ganz anderes Statement ab: großer Fahrspaß in jeder Lage innerhalb und am Rande der Straßenverkehrsordnung.

Erwachsen geworden

Im Vergleich zu ihrer kleinen Schwester (Model S) wirkt die Zero SR/F deutlich erwachsener. Sitzposition, Abmessungen, Gewichtsklasse: passt. Bloß fürs Garagenhandling könnte der Lenkwinkel größer sein. Auch auf der Straße wirkt die SR/F viel ausgereifter als das vom STANDARD im Vorjahr getestete Model S.

Mit der Bremserei von J. Juan und den Reifen von Pirelli steht die Zero den konventionellen Radln um nix nach.
Foto: Gianluca Wallisch

An das eigentümliche, weil fast gänzlich fehlende Motorengeräusch des E-Triebwerks gewöhnt man sich sehr, sehr schnell. Bei langsamer Fahrt erinnert es an das Säuseln eines Science-Fiction-Raumschiffs. Im Warp-Modus, also beim beherzten Beschleunigen, kreischt der Motor wie ein Weißkopfseeadler, das stolze Wappentier der USA, der auf der Suche nach Beute hoch am Himmel seine Runden dreht.

Kuppeln und Schalten fallen weg, denn der Z-Force 75-10 E-Motor treibt das Hinterrad via Riemen mit 110 PS (eigentlich müsste man sagen: 81 Kilowatt) direkt an. Erstaunlich, wie schnell man das Verbrennungszeitalter hinter sich lässt, technisch, aber auch mental. Auch die restliche Ausstattung – voll einstellbares Fahrwerk von Showa, Bremserei von J. Juan, Reifen von Pirelli – beweist: Das hier ist ein zeitgemäßes Serienmotorrad, keine Prototypenspielerei.

Rennsport? Warum nicht!

Dass diese Komponenten durchaus für die hurtige Art der Fortbewegung geeignet sind, bewies vor wenigen Wochen Profi-Biker Cory West, der mit einer nur mäßig umgebauten Zero SR/F beim Pikes-Peak-Rennen in Colorado respektabler Fünfter seiner Klasse wurde. Dabei kam ihm zupass, dass seine Elektrische nicht mit jenem Leistungsverlust zu kämpfen hatte, der hingegen in dieser Höhenlage (bis mehr als 4000 Meter ü. M.) für Verbrennungsmotoren mangels Sauerstoffgehalt in der Luft charakteristisch ist.

Doch zurück auf Wiener Normalniveau, wo man bald mit den Motoren-Mappings zu spielen beginnt. "Sport" und "Street" sind für den Spieltrieb, "Eco" ist zur Reichweitenmaximierung gedacht, und im "Rain" -Modus fährt man plötzlich eine arg übergewichtige 125er spazieren. Die Traktionskontrolle kann natürlich auch deaktiviert werden.

Lichtstrom reicht, zum Laden der Zero, einen Wallbox braucht man nicht extra anschaffen.
Foto: Gianluca Wallisch

Tagestouren mit der SR/F sind machbar, verlangen aber umsichtige Planung. Die angepriesenen 320 Kilometer bleiben unrealistisch, eher werden es 200 sein – höchstens. Dann ist Zeit für eine Stunde Pause – vorausgesetzt, es gibt die optimale Ladeinfrastruktur. Am herkömmlichen 230V-Anschluss dauert es rund vier Stunden, bis der Akku wieder voll ist. Da haben die Freunde ihren Topfenstrudel schon längst aufgegessen, bezahlt und sind über alle Berge. Es wird schon noch ein paar Jahre dauern, bis entweder die Energiedichte von Akkus ausreichend hoch für eine Tagestour oder die Ladezeit wesentlich kürzer wird. Oder man fährt solo und wird so Herr über die eigene Zeit.

Bleiben also der Nahbereich und die Pendelei. Für diese Sorte von Spaß sind 20.690 Euro für das Basismodell bzw. 25.890 Euro für das Spitzenmodell ein stolzer Preis. Allerdings auch ein Statement: Hier kommt die Zukunft. (Gianluca Wallisch, 26.8.2019)