Immer mehr Stadtbewohner sehnen sich nach einem eigenen Beet – in Wien fehlt der eigene Balkon dafür oft. Mittlerweile gibt es jedoch zahlreiche Ausweichmöglichkeiten.

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Zwischen dem Porzellanmuseum, der Sängerknaben-Schule und der Oberen Augartenstraße wächst Lauch. Und nicht nur das: Auch Kürbis, Tomaten und Mangold sprießen in den Sommermonaten im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Bereits zum fünften Mal wurden vor den Toren des Augartens Selbsternteparzellen für Städter zur Verfügung gestellt. "Urban Gardening" nennt sich das Projekt der österreichischen Bundesgärten. Die rund zehn Quadratmeter großen Beete werden im Frühjahr verlost und die ganze Saison über bepflanzt. Das Interesse ist groß: Im Vorjahr gab rund 4000 Bewerbungen – für wesentlich weniger Anbauflächen. Auch heuer konnten nicht alle Kleingärtner, die sich für eines der 120 Beete beworben haben, einen Platz ergattern.

Wer sich den Wunsch nach einem eigenen Garten in der Stadt dennoch erfüllen möchte, hat in Wien mittlerweile zahlreiche andere Optionen. Eine davon ist der Biohof Radl im 22. Bezirk. 190 Euro zahlen Mitglieder dort pro Jahr für eine 40 Quadratmeter große Selbsternteparzelle, die – zumindest im Sommer – zwei bis vier Personen mit Gemüse versorgen kann.

Wissen über Anbau fehlt häufig

Die Arbeit für Neogärtner bleibt dabei überschaubar, erzählt Biobauer Manfred Radl junior. Der Landwirt bepflanzt die Ernteparzellen im Frühjahr mit 13 verschiedenen Gemüsesorten. Ein Viertel der Fläche bleibt frei, hier können Mitglieder selbst nach Lust und Laune Gemüse und Obst pflanzen – nur bio muss es sein, sagt Radl, "das ist für die Kontrolle wichtig". Auch sonst hält sich der Aufwand in Grenzen: Die Parzellen werden bewässert, Kunden sollten aber zumindest einmal pro Woche vorbeikommen, meint der Landwirt.

Nicht immer glückt der Eigenanbau – oft fehlt das Wissen.
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Die Selbsternteanteile seien vor allem für junge Familien interessant. "Eltern wollen ihren Kindern zeigen, dass das Gemüse nicht im Supermarkt wächst und wie viel Arbeit dahintersteckt." Ausreichend Wissen sei aber sogar bei den Großen nicht immer vorhanden, erzählt Radl. "Manche haben wirklich überhaupt gar keine Ahnung vom Gemüseanbau." Künftig soll es am Hof daher zusätzliche Schulungen geben.

Der Trend zum privaten Gemüsebeet zeigt sich auch hier: Als Radl vor fünf Jahren erstmals Selbsternteparzellen vermarktete, startete er mit zehn Anteilen. Heute sind es mehr als 200, im kommenden Jahr soll die Fläche weiter wachsen. "Die Leute interessieren sich wieder viel mehr für ihr Gemüse und wollen Zeit draußen verbringen."

Ackeranteil zu kaufen

Wer selbst keinen grünen Daumen hat, kann über Ernteanteile an Radls Äckern mitnaschen – ganz ohne erdige Hände zu bekommen. "Im Prinzip ist es das gleiche System, nur mache ich die Arbeit", sagt Radl. Kunden erwerben einen Anteil am Gemüsefeld, die Ernte wird durch die Mitglieder dividiert. Bis Mittwoch müssen Kunden online angeben, ob sie den Wochenanteil beziehen möchten, geerntet wird je nach Nachfrage. Freitags und samstags können die Mitglieder das Gemüse am Hof oder im Geschäft in der Seidengasse im siebenten Wiener Gemeindebezirk abholen.

Bei einer einjährigen Mitgliedschaft liegt der Preis bei rund 21 Euro pro Woche, bei einem kürzeren Abschluss ist der Beitrag um ein paar Euro höher. "Mindestens zwölf Kilo Gemüse" warten nach Angaben des Biobauern auf die Kundschaft. Im Sommer spazieren die Mitglieder mit bis zu 15 Kilogramm pro Woche nach Hause. Produziert wird alles im 22. Bezirk: "Viel regionaler geht es für Wiener nicht mehr."

Ein Ernteanteil bringt bis zu 15 Kilogramm Gemüse pro Woche.
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Hinter den Ernteanteilen steckt die Idee der solidarischen Landwirtschaft: Noch vor der Ernte garantieren die Kunden, dass alles gekauft wird, was produziert wird. Fällt die Ernte aufgrund von Hagel, Sturm oder Schädlingen aus, tragen die Abnehmer das Risiko mit. "Ich kann die Fruchtfolge so viel besser planen, als wenn ich alles nur im Geschäft verkaufen würde." Der Vertrieb erfolgt direkt und ohne Zwischenhändler. Der Biobauer muss so kaum Gemüse wegwerfen und kann kostengünstiger produzieren, wie er sagt. Was übrig bleibt, wird zu Pesto und Co verarbeitet und in den Wintermonaten an Mitglieder ausgegeben.

Biogemüse auf der Fußmatte

Wem der Weg auf das Feld oder zum Bioladen zu weit ist, kann sich seit Jahren auf eine bequemere Art mit Gemüse versorgen lassen: Mittlerweile werden in sämtlichen Bundesländern Biokistln angeboten, die direkt zum Kunden nach Hause geliefert werden. Im Wiener Stadtgebiet ist der Biohof Adamah der größte Anbieter.

Vor rund 20 Jahren hat Geschäftsführer Gerhard Zoubek mit seiner Frau Sigrid den Biohof im niederösterreichischen Glinzendorf gegründet. Bio war damals noch ein Nischenprodukt, erinnert sich der Landwirt, "vor allem im Marchfeld". Mittlerweile ist er überzeugt: "Die Biolandwirtschaft muss nicht nur klein und schnuckelig sein, sie kann auch die Welt ernähren." Das tut sie zwar noch nicht, in Wien gibt es aber ein wachsendes Interesse daran. Das zeigen auch die Zahlen: 2001 belieferte der Betrieb 60 Kunden, mittlerweile sind es zwischen fünf- und sechstausend.

800 Meter zwischen den Kunden

Die Kistln, die mit Gemüse, Obst, Brot, Milch- und Fleischprodukten gefüllt sind, werden bis vor die Haustüre geliefert. "Im Schnitt liegen 800 Meter zwischen unseren Kunden." Ökologischer sei nur der Weg zu Fuß zum Markt, meint der Landwirt.

Bequeme Gemüseliebhaber können sich in allen Bundesländern sogenannte Biokistln vor die Haustüre liefern lassen.
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21 Euro kostet ein mittleres Biokistl, das zwei bis drei Personen eine Woche lang mit Gemüse versorgt. Die Lebensmittel stammen entweder vom Hof selbst oder von Produzenten aus einem Radius von 300 Kilometern Entfernung. Eine Ausnahme ist das "Regional-Kistl", in dem nur Produkte landen, die gerade im Marchfeld Saison haben. Dass die Abwechselung dabei für viele Kunden gerade im Winter zu gering ist, weiß der Biobauer durchaus. Eine wöchentliche Bestellung sei daher keine Voraussetzung: "Das Kistl soll Freude machen und keine Belastung sein."

Konsumenten wollen immer öfter wissen, woher ihr Essen kommt, glaubt Zoubek. Viele würden außerdem der "Allmacht des Handels" misstrauen, erklärt sich der Landwirt das wachsende Interesse an seinen Biokistln. "Wir brauchen wieder mehr Ehrlichkeit und Wissen über die Lebensmittelproduktion."

Manche seiner Kunden würden Gemüseraritäten nicht kennen, sagt Zoubek und erzählt schmunzelnd von einer Frau, die ihr Biokistl kündigen wollte, weil die Karotten lila waren. Mit den Kistln und Ackertouren am Hof will Zoubek das verlorene Wissen über Biolandwirtschaft und regionale Lebensmittel wieder aufleben lassen. (Nora Laufer, 23.8.2019)