Verschimmeltes gehört mit zum Köstlichsten, was man essen kann. Cremig-süßer Gorgonzola oder samtiger Camembert, würzige Salami und gereifter Speck verdanken ihr verführerisches Aroma (und ihre weiße Haut) Schimmelpilzen. Weil Pilze so nützlich sind, hat jede Kultur in den vergangenen Jahrtausenden ihre eigenen Stämme entdeckt und kultiviert. Und wie so oft, wenn es ums Essen geht, scheint es, dass die Japaner die Nase vorne haben.

Der wichtigste japanische Schimmelpilz ist Aspergillus oryzae, im Westen besser als Koji bekannt. So wie viele andere Schimmelpilze zerlegt A. oryzae Proteine und Stärke in Lebensmitteln, auf denen er wächst, und verdaut sie quasi vor – dabei entstehen köstliche Aromastoffe und jede Menge Glutamat. In Japan wird er meist auf Reis, Weizen oder Hülsenfrüchte losgelassen – diesem Prozess verdanken wir solche Köstlichkeiten wie Miso, Sake oder Sojasauce. Seit ich mit dem Herrn Fink vor ein paar Jahren selbst Miso gemacht habe, frage ich mich, was passiert, wenn man den Schimmel auf frisches Fleisch loslässt.

Foto: Tobias Müller

Nun bin ich endlich dazugekommen, das etwas umfangreicher auszuprobieren. Der Lukas Mraz (einer der allerbesten, experimentierfreudigsten Köche dieses Landes, so was wie der David Chang Österreichs) und ich haben A. oryzae in drei verschiedenen Formen auf sechs verschiedene Fleischarten angesetzt und uns dann durchgekostet. Der Pilz hat definitiv einen Effekt: Nachdem wir mit all den Stücken durch waren, hat unser Mund gekribbelt, die Lippen waren leicht ausgetrocknet, ganz so, als ob wir gerade herzhaft von einem Parmesanlaib abgebissen oder einen großen Löffel pures Glutamat gegessen hätten.

Wir sind weder die Ersten noch die Einzigen, die mit Koji und Fleischreifung experimentiert haben. A. oryzae ist erstaunlich anspruchslos: Er wächst im Grunde auf allem, was etwas Protein und Stärke enthält, also auch auf vielen Gemüsen und Fleisch. Das machen sich westliche Köche und Miso-Produzenten gerade vermehrt zunutze. Weil sie nicht durch lange Traditionen und ziemlich strenge Regeln eingeschränkt sind (das ist zumindest meine Theorie), lassen sie den Pilz auf alles los, was ihnen unterkommt.

In Deutschland tut sich da gerade der Markus Shimizu mit seinem Mimi Ferment in Berlin hervor, der die halbe Berliner Sternegastronomie mit vergorenen Würzpasten versorgt. In einem kleinen Geschäft in Moabit fermentiert er ganz traditionell Miso und Sojasaucen in großen Holzfässern und macht Experimentelles mit Koji wie Aalsauce, Brot- und Ei-Miso. In Österreich experimentiert Fischsauce-Pionier Lukas Nagl schon länger mit Misos aus lokalen Zutaten wie Mohn. Gemeinsam mit einem Freund hat er jetzt auch eine eigene Koji-Firma, LUVI Fermente, gegründet.

Ein wenig Koji-Theorie

Koji ist strenggenommen nicht der Pilz selbst. Es entsteht, wenn man den Pilz auf einem Nährboden – meist Reis, Weizen oder Bohnen – wachsen lässt, bis er in die Blütephase kommt und sich ein schöner Schimmelpelz darauf bildet. Dieser verschimmelte Nährboden wird dann gedämpft und getrocknet und anschließend zu Pulver gemahlen oder mit Salz und Wasser gemischt und nochmals gären gelassen (das Ergebnis heißt dann Shiokoji).

Je nach Pilzart und Nährboden hat Koji verschiedene Eigenschaften. Manche Arten sind besser darin, Stärke zu zerlegen, andere wandeln eher Proteine effizient um. Weil Fleisch eindeutig mehr Protein als Stärke enthält, haben wir uns für unsere Experimente für diese Art entschieden und mit einem Reiskoji von LUVI Fermente gearbeitet.

Der Fleisch-Koji-Reifer hat prinzipiell zwei Möglichkeiten: Erstens, er kann den Pilz direkt auf dem Fleisch wachsen lassen, ganz so, wie normalerweise Koji mit Reis oder Bohnen hergestellt wird. Das ist zwar offenbar vielversprechend (siehe diesen tollen Artikel), aber auch aufwendig. Genauso wie bei der Koji-Herstellung braucht es dafür gut kontrollierte Temperatur. Wir haben uns daher für die zweite Variante entschieden: das Fleisch mit bereits fertigem Koji zu marinieren.

Das Setup

Insgesamt haben wir unser Fleisch auf vier verschiedene Arten behandelt:

1. Eine Art Shio-Koji, also eine vergorene Mischung aus Koji, Salz und Wasser. Das ergibt einen zähflüssigen, leicht süßlich riechenden Brei, mit dem wir unser Fleisch eingerieben haben.

Foto: Tobias Müller

2. Trockenes Koji, zu Pulver gemahlen, das wir so wie Salz auf das Fleisch gestreut haben.

Foto: Tobias Müller

3. Den Trester der Sojasauceproduktion, also jene Reste, die übrig bleiben, nachdem man die Flüssigkeit abgepresst hat (ganz ähnlich wie der Trester, der beim Rotweinmachen nach dem Gären auf den Schalen übrig bleibt). Der Luki Mraz hatte zufällig welchen von Markus Shimazu aus Berlin rumliegen, also haben wir ihn ausprobiert.

Foto: Tobias Müller

4. Eine Fleischkontrollgruppe haben wir einfach nur gesalzen.

Wir haben insgesamt sieben verschiedene Fleischarten verkostet: Huhn (Brust), Schwein (Schopf), zweimal Rind (Rostbraten und Schnitzel), Fisch (Wolfsbarsch) und Wild (Rehfilet). Die mit Koji behandelten Stücke haben wir 48 Stunden im Kühlschrank reifen lassen, die Salz-Kontrollgruppe haben wir erst kurz vor der Verkostung gesalzen. Alle haben wir dann in der Pfanne nur mit etwas Öl gebraten.

Foto: Tobias Müller

Damit wir auch ja genug zu essen haben, haben wir aus Hühnerbeinen und -flügeln noch zusätzlich Koji Fried Chicken gemacht.

Wir haben sie 48 Stunden in Shiokoji mariniert, dann in gemahlenem Reiskoji gewälzt und herausgebacken. Der Luki Mraz hat es sich dann nicht nehmen lassen, vor dem Servieren noch Lauchöl-Majo und getrocknete Habaneros drüberzugeben.

Das Verkostungsergebnis

Die Koji-Behandlung hat so ziemlich alles am Fleisch verändert – Geschmack, Konsistenz, Saftigkeit und auch, wie schnell es in der Pfanne bräunt. Generell finde ich auch nach diesem Test immer noch, dass richtig gutes (oder richtig gut gereiftes) Fleisch mit nichts außer Salz am besten schmeckt. Bei nicht so perfekter oder zu kurz abgelegener Ware ist die Methode aber durchaus interessant.

Mit Shio behandeltes Fleisch bräunt superschnell, wahrscheinlich wegen all dem Zucker, der in dem Brei aus der Stärke freigesetzt wird. Die Konsistenz wird etwas fester und trockener, gleichzeitig aber auch zarter. Am auffälligsten war das beim Schnitzelfleisch: Ohne Behandlung war es kurz gebraten etwas zäh, dank Koji wurde es herrlich mürb. Das macht es sehr interessant zur Behandlung von Teilen, die zwar geschmacklich super sind, aber bei falscher Behandlung zu Zähigkeit neigen, etwa ein Hanger oder Flanksteak.

Foto: Tobias Müller

Die geschmacklich stärkste Änderung hat der Sojapresskuchen gebracht: Alle Fleische bekamen davon ziemlich funkyge Blauschimmelnoten und ein Aroma wie sehr lang trocken gereiftes Rindfleisch – uns war es in allen Fällen zu kräftig.

Shio hat sich bei Fleischstücken mit kräftigem Ausgangsgeschmack bewährt: Es sorgt für Reifetöne und eine merkbare Süße, ist aber weniger aufdringlich als der Trester. Vor allem mit dem Fisch hat es geschmacklich super harmoniert (Miso wird nicht ohne Grund in Japan gern und oft zum Fischmarinieren verwendet). Es macht das Fleisch fester und trocknet es ein wenig aus – ein Effekt, der bei sehr gut durchzogenen Stücken nicht stört, bei zarten Stücken wie Hühnerbrust oder Rehfilet aber unangenehm auffällt.

Die Trockenkojibehandlung hat sich für milde Fleischteile bewährt – es war unser Sieger bei Reh und Hühnerbrust. Es unterstützt geschmacklich im Hintergrund und gibt beim Braten ein wenig Extraknusper, ein bisserl wie eine Panier. Das war vor allem beim Fisch ein willkommener Effekt.

Das Koji Fried Chicken war unser Favorit: superknusprig, superzart, mit einer angenehmen Süße und ordentlichem Umami-Boost. Bloß die Säure, die etwa Buttermilch einem guten Backhendl verleiht, hat ein bisserl gefehlt. Der Herr Mraz hat dafür eine Limette dazu gereicht. Vielleicht kann man es bei einem weiteren Experiment auch mit Joghurt in der Marinade kombinieren.

Koji Fried Chicken

Erst das Shiokoji ansetzen (oder beim Japaner kaufen): 200 Gramm Reiskoji mit 250 ml Wasser und 50 Gramm Salz mischen und in ein möglichst sauberes Glas mit Deckel füllen. An einem warmen Ort 1 bis 2 Wochen stehen lassen. Jeden Tag zweimal umrühren, damit sich oben kein Schimmel bildet. Danach im Kühlschrank lagern.

Hühnerbeine und Flügel mit der Masse ordentlich einreiben und 48 Stunden im Kühlschrank marinieren.

Öl oder noch besser eine 1:1-Mischung aus Schweineschmalz und Rinderfett zum Frittieren erhitzen. Etwas Koji fein mahlen und die marinierten Flügel und Beine in dem Mehl wälzen.

Foto: Tobias Müller

Frittieren, bis es goldgelb und knusprig ist.

Foto: Tobias Müller

Achtung: Es wird schneller Farbe nehmen als normales Backhendl. Eventuell noch im heißen Backrohr bei 120 Grad nachziehen lassen, falls es zu schnell dunkel wird.

Mit Limette oder saurem Joghurt oder, wenn Sie grad welche zur Hand haben, Lauchöl-Majo und getrockneten Habaneros servieren und heiß genießen.

Foto: Tobias Müller

Eine kurze Schlussbemerkung

Natürlich sind nicht alle Schimmelpilze gut, einige sind sogar ziemlich gefährlich. Wer sich aber generell vor jedem Schimmel graust, sollte das noch einmal überdenken. Der Pilz verändert nicht nur den Geschmack und die Konsistenz von Lebensmitteln, er sorgt auch dafür, dass sie viel haltbarer werden und nicht verderben. Er bildet ein stabiles Ökosystem und hält unerwünschte Bakterien und Pilze von den Lebensmittel fern.

Das ist auch der Grund, warum Hygiene, die mit Edelstahl und Desinfizieren gleichgesetzt wird, oft kontraproduktiv und viel gefährlicher ist, als nicht zu putzen. In japanischen Sojasauce- und Miso-Gärräumen sind die Wände und Decken oft zentimeterdick mit flauschigem Schimmelpilz überzogen. Auch alte Weinkeller, Speckreiferäume oder gute Käsekammern sind voller Bakterien und Pilze. Die Mikroorganismen sorgen gerade dafür, dass die Produkte hier nicht verderben, sondern besonders gut reifen.

Der Markus Shimizu von Mimi Ferment vergleicht das mit dem Unterschied zwischen einem gesunden Wald und einem gepflügten Feld: Auf dem Feld wächst, was zuerst dort landet, meistens Unkraut. In einem Wald hingegen wird ein zufällig hineingetragener Samen nicht einfach sprießen – er hat zu wenig Licht, Wasser oder wird einfach von den Pflanzen, die bereits da sind, klein gehalten. Soll heißen: Unerwünschte Eindringlinge, in dem Fall gesundheitsschädliche Bakterien oder Schimmelkulturen, haben hier keine Chance. (Tobias Müller, 25.8.2019)