"Galliges Porträt einer Sippe, die ein Land korrumpiert und ruiniert hat": Rafik Schami.

Foto: Arne Wesenberg

Es ist Mitte November im Jahr 2010 in Damaskus. Kommissar Zakaria Barudi hat keine drei Monate mehr bis zur Pensionierung. Seit vierzig Jahren ist der Mittsechziger im Polizeidienst. In seinem von Hand zusammengeklebten Spezialkalender hat er über Jänner und Februar "Die Tage vor der Befreiung" geschrieben. Und dann kommt das Fass an.

Am 15. November wird ein schweres Fass der italienischen Botschaft in der Ata-al-Ayubi-Straße angeliefert. Als es der Koch öffnet, entdeckt er darin einen festen schwarzen Kunststoffsack. In diesem befindet sich ein weiterer Kunststoffsack, in dem Öl hin- und herschwappt. Und in dem Öl liegt eine Leiche, die des Kardinals Angelo Cornaro, der erst vor kurzem Gast der Botschaft war.

Der Vatikan hatte Cornaro nach Syrien entsandt, um zwei Fälle von Wunderheilern unter die Lupe zu nehmen und ein Urteil zu fällen. Den einen Fall tat er rasch als Betrug ab. Der andere jedoch, der eines Bergheiligen, der in einem Dorf in der Nähe von Aleppo Kranke durch Handauflegen kuriert haben soll, rief starken Widerhall aus. Und dort, im nördlichen Syrien, wurde er auch, begleitet von einem sprachkundigen Jesuiten, zuletzt gesehen.

Nun löst seine Ermordung eine Krise aus. Barudi, einsam, da lange verwitwet, und seit vielen Jahren sich durchlavierend, bewegt sich auf einem Minenfeld zwischen opportunistisch glattem Vorgesetzten, Innenministerium, Geheimdienst und Außendiplomatie. Sein guter Freund Schukri, der leitende Kriminaltechniker, ist einer der ganz wenigen in seiner Umgebung, der sich traut, offen seine Meinung zu äußern, Grund: Er ist weitläufig mit der Präsidentenfamilie verwandt.

Schneisen der Verwüstung

Aus Rom wird ein fließend Arabisch sprechender Kommissar eingeflogen, Marco Mancini, der als Journalist unter dem Pseudonym "Mastroianni" auftritt. Die beiden verstehen sich glänzend und brechen dann in die Umgebung von Aleppo auf, wo Barudi einem Mann wiederbegegnet, der einst fast sein Adoptivsohn geworden wäre und mittlerweile eine radikalislamistische Kämpfereinheit kommandiert, die den Landstrich rings um das Dorf des Bergheiligen kontrolliert.

Am Ende, nach Aufklärung und einer desillusionierenden konspirativen Rolle rückwärts, rollen Assads Schützenpanzerkohorten gen Norden. Und Schukri begegnet ersten Schneisen der Verwüstung, des Tötens und des Massenabschlachtens.

Es geht Rafik Schami, das offenbart bereits das Buchmotto, um Aberglaube, Lüge und Betrug, um Ignoranz, Religion und extremistischen Fundamentalismus, um Fanatismus, soziale Explosion, die Zerrüttung einer Zivilgesellschaft und die lang vor sich hin simmernden Gründe für den syrischen Bürgerkrieg.

So explizit politisch wie hier war Schami, der 1971 25-jährig aus Syrien zum Studium der Chemie nach Deutschland kam und bei seiner Ankunft vier deutsche Wörter kannte, "jawohl" und "ich liebe dich", selten zuvor. So verzweifelt politisch ebenfalls nicht.

Gern erzählte er vor Jahren von dem kosmopolitisch-toleranten Syrien der 1950er-Jahre. Damals wurde ein Christ zum Ministerpräsidenten des Landes berufen. Heute unvorstellbar! Das von ihm gezeichnete Porträt eines Landes, das eine Sippe, die sich vor fast einem halben Jahrhundert an die Macht geputscht hatte, ruiniert, korrumpiert und tyrannisiert hat, ist gallig und bitter.

Im Großen wie im Kleinen. Daher auch die vielen eingestreuten Vignetten, die Barudi in seinem Tagebuch festhält, über gewalttätige Männer und zerrüttete Ehen, Leid und Schrecken im Privaten.

Freundliches Tableau

Was Rafik Schami gänzlich abgeht, ist jeglicher Zynismus. Das macht ja auch einen Großteil seiner Popularität aus. Doch eine Prise davon wäre hier nötig, selbst wenn man dabei nicht gar so weit gehen muss wie in seinen besten Büchern etwa der Kalifornier Don Winslow mit seiner grimmig-brutalen Darstellung von moralischer Korruption und anthropologischer Verheerung oder wie dessen Vorgänger und Anreger Elmore Leonard und George V. Higgins mit Düsternissen und Abgründen.

Schamis Personentableau allerdings ist gar zu freundlich gezeichnet. Die Dialoge streifen des Öfteren das Behagliche. Hinzu kommt die immer wieder durchbrechende Tendenz zum märchenhaft dahinflatternden Fabulieren. Was sich in Ausschmückungen niederschlägt und einer zumindest in Barudis Privatleben optimistischen Grundvolte.

So ist es auch alles andere als zufällig, dass beispielsweise in den ersten fünf Zeilen des 47. Kapitels "herrlich" gleich zweimal als Adverb auftaucht. "Es war ein eiskalter, aber herrlich sonniger Tag." Und das Panorama der Stadt zu genießen ist ebenfalls etwas aussageleer, nämlich "herrlich". Auch das gehört zu Rafik Schami. Dass sich das sanft Klischeeartige hie und da, wenn er auszuholen beginnt, Bahn bricht.

So ist Die geheime Mission des Kardinals am Ende ein angenehm zu lesender Roman, der jedoch nicht zur Gänze zu überzeugen vermag. Es verwundert nicht, dass das Buch mitten im Hochsommer erscheint. (Alexander Kluy, 24.8.2019)