Archivbild aus dem Jahr 1952: Erika Mann gemeinsam mit ihrem Vater Thomas Mann, dessen "Adjutantin" sie zeitlebens blieb.

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Nach der Machtergreifung der Nazis tat sich Thomas Mann zunächst schwer mit einer unmissverständlichen Verurteilung der "nationalen Erhebung im Namen von Rasse und Volksgemeinschaft". Es dauerte geraume Zeit, bis ihn seine Familie vom Ernst der Lage überzeugt hat.

Erika, die Älteste der Mann-Kinder, hat Anfang Januar 1933 gewissermaßen unter den Augen der nebenan im Münchner Hofbräuhaus Bier trinkenden Braunhemden ihr literarisch-politisches Kabarett "Die Pfeffermühle" gegründet, und zwar im Theater Bonbonniere.

Sie trat dort mit ihrer Freundin, der Schauspielerin Therese Giehse, als Ansagerin auf, schrieb die meisten Texte selbst. Die vielen satirischen Beiträge zielten mit deutlicher Schärfe auf die Nazis, die auch regelmäßig bei den Aufführungen erschienen und Krawall schlugen.

In der Pfeffermühle ging es hoch her, wie sich Erika Mann erinnerte: "Sogar in München waren in den letzten beiden Tagen Dutzende von Menschen verhaftet worden. Warum ich nicht unter ihnen war, wußte ich nicht. Aber die Menschenjagd ging weiter, und allein der Gedanke, die Pfeffermühle solle weitermachen, war selbstmörderischer Irrsinn."

Blitze überm Ozean

Erika Manns Erinnerungen an die Jahre der Emigration und die Kriegszeit zeigen sie ("Ich bin die Tochter meines Vaters") als hellsichtige Beobachterin des Zeitgeschehens. Sie leidet an Deutschland und dem Weg, den es unter Hitler eingeschlagen hat: Sie geht in die Schweiz, nach Frankreich. Sie ist so oft auf Reisen, mit Klaus, ihrem Bruder, oder auch allein, in Amerika, in Indien, durch ganz Europa. Schließlich das Exil in den Staaten.

Hier sieht sie die "Blitze überm Ozean", das langsame, aber entschiedene Eintauchen der Amerikaner in das Kriegsgeschehen, die Entschlossenheit der westlichen Demokratien, nach der Zeit der Appeasement-Politik Nazi-Deutschland nun endlich Einhalt zu gebieten. In ihren Texten aus den Kriegsjahren kann man regelrecht das Aufatmen hören: Endlich, endlich rappelt sich das demokratische Amerika zum Eingreifen auf.

Erika Mann bereist als Kriegsberichterstatterin die wichtigsten Schauplätze in Europa und im Nahen Osten, hält Vorträge über die Zukunft Deutschlands, versucht aufzurütteln, aufzuklären über das Wesen des Nazitums. Allerdings wird sie ein über das andere Mal enttäuscht, wenn man ihr nicht glauben, nicht abnehmen will, dass es sich beim braunen Führungspersonal um eine gewissenlose Verbrecherclique handelt.

Als der Krieg vorbei ist, wird Erika Mann nach Nürnberg zu den Kriegsverbrecherprozessen geschickt. Sie erlebt aus nächster Nähe das Auftreten der Hauptangeklagten, sie beobachtet ihre Physiognomie, nimmt die Verrenkungen wahr, mit denen Einzelne sich ihre Verteidigungslegenden zurechtzimmern.

Unersetzbare Hilfe

In den letzten Lebensjahren von Thomas Mann war sie dem Vater eine unersetzbare Hilfe. Schon während des Exils in Kalifornien war der "Zauberer" nicht nur wegen seiner schlechten Englischkenntnisse auf die Unterstützung der Tochter angewiesen.

Später hat sie sich um seine Korrespondenz gekümmert, nach der Übersiedlung in die Schweiz war sie vollends darauf eingestellt, ihre Arbeitskraft dem "Zauberer" zur Verfügung zu stellen.

Im Grunde blieb sie zeitlebens die "Adjutantin" des Vaters Thomas Mann, den sie nur um 14 Jahren überlebte. Eigene Projekte hat sie am Ende nicht mehr verfolgt. Sie pflegte dann zu spotten: "Ich bin nur noch ein bleicher Nachlaßschatten ..."

1964 wird sie an der Hüfte operiert. Bis zu ihrem Tod im April 1969 bleibt sie an den Rollstuhl gefesselt. Sie selbst sah sich als eine "militante Liberale", als "konservativ mit sozialem Gewissen".

Oft war sie die "Gefangene ihrer krankhaft übersteigerten Stimmungen". Unberechenbare Wutausbrüche wurden auf ihren Drogenkonsum zurückgeführt. Was die meisten nicht wußten – Erika Mann litt jahrelang an einem Gehirntumor.

Bei ihrer Bestattung in Kilchberg sagte der Schriftsteller Martin Gregor-Dellin: "Wer könnte sie sich auch anders vorstellen als jugendlich elastisch, von unverdüstertem Geist, ironisch, schrill, hell, behende, vielseitig und unermüdbar." (Wolf Scheller, 24.8.2019)