Helmut Kramer gegen den "Solutionismus" – alles via klick, klick lösen – wirklich?

Foto: Heribert Corn

The greatest country in the world". "God's own country". "America First" . Was andere Staatenlenker mit mehr oder weniger Erfolg dem Wahlvolk einreden, könnte vielleicht auch Österreich beeindrucken. "Österreich wird zur Nation Nummer eins ... in Wasserstofftechnologie." Immerhin. "Austria First" kündigt Sebastian Kurz den Landsleuten an, die sich bisher mit Medaillen im Riesenslalom und mit dem Jahresbeginn im Neujahrskonzert zufriedengeben mussten. Manchen, die Wasserstoff bisher mit schrecklichen Bomben in Verbindung brachten, könnte vielleicht ein bisschen mulmig werden.

Die noch unverbindliche Festlegung mag durch Überlegungen des Klima- und Umweltfonds ausgelöst worden sein. Sie könnte auch durch strategische Perspektiven zwei großer Energieunternehmen mit Staatsbeteiligung Substanz bekommen – falls sie nicht eher der Ablenkung von den tatsächlich verfolgten Unternehmensstrategien dient. Nation Nummer eins zu werden würde zumindest einmal voraussetzen, den Forschungsstand der Fraunhofer-Gesellschaft und von Jülich zu überholen.

Viel mehr als die vollmundige Ankündigung irritiert jedoch, was nicht angekündigt wurde.

Schnell abarbeiten?

Erstens: Der Klimawandel scheint als politischer Tagesordnungspunkt aufgefasst zu werden, wie viele andere auch. Ein solcher würde wie üblich technokratisch gelöst: Fachkommissionen werden eingesetzt, Aufträge an Experten und Konsulenten erteilt, begleitet von den zeitgemäßen PR-Worthülsen "Vorreiter", wahlweise auch "frontrunner", "wissenschaftlich", "nachhaltig" sowieso, und ein paar Millionen werden zusammengekratzt, wobei noch offen ist, wer zahlt.

Tatsächlich ist die Klimaveränderung aber nicht "ein Problem, das auf eine 'Lösung' wartet. Sie ist ein ökologisches, kulturelles und politisches Phänomen, das die Weise ändert, wie wir über uns selbst, über unsere Gesellschaft und über den Platz der Menschheit auf der Erde denken" (Mike Hulme, 2009). Ein neues Weltbild entsteht.

Auch dieses neue Weltbild – der Mensch als Verursacher des Klimawandels – beschränkt sich nicht auf den Beweis komplexer ökologischer Zusammenhänge. Die Reaktionen der Menschheit darauf werden die Zukunft wahrscheinlich entscheidender gestalten als die Warnungen des Klimapanels. Unvermeidlich schließt das neue Weltbild soziale, ökonomische, psychologische, nicht zuletzt ethische Zusammenhänge ein. Umbrüche in Inhalten und Methoden von Bildung und Wissenschaft dürfen nicht von "althergebracht" gebremst werden.

Unfaires Steuersystem

Der Herausforderung durch den Klimawandel kann auch nicht ohne Weiteres Nachrang hinter fiskalischen Zielvorstellungen ("keine neuen Steuern") eingeräumt werden. Aber sie steht selbstverständlich in engem Zusammenhang mit der unhaltbar gewordenen Grundstruktur unseres Steuersystems, mit Fairness der Einkommens- und Vermögensverteilung und mit den auf uns zukommenden Lasten der Generationenpolitik.

Zweitens: Vielleicht bin ich ein wenig überempfindlich geworden gegen die Suggestion nationaler Ambitionen in Schicksalsfragen. Klimapolitik geht über nationale Dimensionen weit hinaus. Sie ist ein Menschheitsproblem. In der Wissenschaft ist Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg einigermaßen gut entwickelt. Und "Europa" spielt beim globalen Interessenausgleich in Klimafragen eine historische Rolle als ursprünglicher Verursacher und als intellektuelles Potenzial. Bisher hat sich Österreich im Kreis der EU-Partner trotz anspruchsvoller Wortwahl nicht besonders hervorgetan. Seine Interpretation der in Paris übernommenen strategischen Verpflichtungen landete ziemlich unauffällig im hinteren Mittelfeld des (übrigens ziemlich fragwürdigen) Rankings durch ECF (Mai 2009).

Drittens: Zur gleichen Zeit, da die enorm komplexen Herausforderungen der Klimaveränderung immer drohender werden, ist die Menschheit mit einer epochalen technologischen Zeitenwende konfrontiert. Beide lösen Alarm, Verunsicherung und apokalyptische Ängste einerseits, fantastische Heilserwartungen andererseits aus. Unter den Internetgiganten breitet sich die Überzeugung von der technologischen Machbarkeit und der Lösung bisher unlösbarer Probleme aus. Diese verengte Denkweise mit Epizentrum im Silicon Valley ironisiert E. Morozov als "Solutionismus": "To solve every problem, click this button. Given enough apps and data, you may fix even problems that don't exist." (E. Morozov: "To solve everything", 2013).

Die Erbsünden der Ökonomie

Die Wissenschaft von der Ökonomie, deren uralte Erbsünden nicht wenig zu der heutigen Orientierungslosigkeit beigetragen haben, näherte sich der epochalen Erfahrung des fortschreitenden Umweltverbrauchs zunächst mit unangebrachtem Selbstvertrauen: Ökonomisch rational wäre, gerade so viel in den Erhalt der Umwelt zu investieren, dass der heutige Aufwand die vermiedenen Schäden auf längere Sicht nicht übertrifft. Selbst hochgezüchtete ökonometrische Klimamodelle haben nur leider den Nachteil, dass das Ausmaß der Schäden nicht messbar und nur subjektiv schätzbar ist, schon gar nicht zu heutigen Tageswerten.

Uralte Maschinenängste werden zudem wieder akut: Wie damit fertigwerden, wenn dir ein Roboter deinen Job wegnimmt? Publizistisch und politisch ist es höchst erfolgreich, Studien zu veröffentlichen, die fast die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze bis 2030 durch Eindringen von Cyber-Technologies gefährdet sehen (C. B. Frey, M. A. Osborn 2013. E. Brynjolfsson, A. McAfee 2014), unterstützt von der immer weiter gesteckten Reichweite künstlicher Intelligenz. Eine "tiefe Transformation" komme in Gang: Ergänzung und Ersatz menschlicher Aktivität, künstliche Intelligenz, lernende Maschinen, Gewinnbarkeit von (näherungsweisen) Lösungen durch Verarbeitung ungeheurer Datenmengen, Einfluss auf Lebensauffassungen, auf Rang und Fairness in der Gesellschaft und auf die Machtverhältnisse nicht nur in nationalen Demokratien, sondern weltweit. Die Auffassungen von Lebenszielen, von Aufgaben, von Werten und Rang in Gesellschaft und Demokratie würden sich tiefgreifend verschieben. Die Grenzen zur Transhumanität scheinen zu verschwimmen.

Jeder für sich?

Die Welt steht vor großen Problemen, sagt ein altes Sprichwort, aber die Universitäten haben Departments. Das Zusammenwirken von neuen Technologien und ökologischen Bedrohungen ist weder von der Ökologie noch von der herkömmlichen Makroökonomie ausreichend zu analysieren.

Immerhin gibt es vielversprechende Ansätze. Mittlerweile kommen Psychologie und Verhaltensforschung, Soziologie und Politikwissenschaft, Systemanalyse und Kommunikationswissenschaft den schon sehr steril gewordenen und von überholten Dogmen belasteten ökonomischen Standardmodellen zu Hilfe. Undogmatisches Denken hat sich im Rahmen von New Economics Bahn gebrochen. Dabei wird zunehmend klar, dass das Zusammenspiel menschlicher Werte mit Technik und seine oft undurchschaubaren Mechanismen nicht einzelnen Stakeholdern überlassen bleiben dürfen. Ein sehr aktuelles Beispiel ist die Verwendung großer Mengen individueller Daten durch einen Algorithmus, der grundlegende Rechte auf Privatheit, Sicherheit und wirtschaftliche Möglichkeiten bedroht. Zu entscheiden, ob damit etablierte Menschenrechte an einen scheinbar wissenschaftlich objektiven Algorithmus übertragen werden, liegt hart an der oft ungenügend markierten Grenzlinie zwischen einem auf Humanität oder einem auf technologischer Perfektion gebauten Gesellschaftssystem.

Dazu zwei Literaturtipps (beide mit einem gewissen Österreich-Bezug): Sarah Spiekermann "Digitale Ethik" (WU Wien, 2019) und Sandra Wachter, Brent Mittelstadt "A right to reasonable inferences" (Oxford 2018). (Helmut Kramer, 24./25.8.2019)