"Dagi", wie der Volksmund Dagmar Koller nennt, sagt, sie sei müde dieser Tage. Alle wollen mit ihr sprechen. Anzumerken ist ihr die Müdigkeit nicht, als sie abends die Tür zu ihrer Wohnung in der Wiener City öffnet.

Kredenzt wird ein Piccolofläschchen Rosésekt. Sie selbst nippt nicht an ihrem Glas. Sie möchte nur noch ein heißes Bad nehmen. Doch bevor sie den Hahn aufdreht, beantwortet sie noch ein paar Fragen. Die letzten für diesen Tag.

"Alle wollen nur wissen, wer denn der junge Mann ist, mit dem ich manchmal ins Theater gehe. Ist das denn so wichtig? Also mich nervt das."
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

STANDARD: Was möchten die vielen Menschen, die anlässlich Ihres 80ers hinter Ihnen her sind, denn wissen?

Koller: Alle wollen nur wissen, wer der junge Mann ist, mit dem ich manchmal ins Theater gehe. Dabei ist er ein wirklich guter Freund. Ist das denn so wichtig? Also mich nervt das.

STANDARD: Ist eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann liiert, ziehen große Teile der Gesellschaft noch immer ein Schnoferl.

Koller: Ja, das stimmt. Vor allem Männer sehen es gar nicht gern, wenn Frauen jüngere Männer haben. Ich sehe mich als Vorbild, wenn ich mit einem jüngeren Mann ausgehe. Da bin ich ganz cool.

STANDARD: Wären Sie denn auch gern noch einmal jung, sagen wir 18?

Koller: Nein. Die Mädchen sind heute sehr androgyn. Die haben wenig Taille, haben lange schlanke Beine. Früher stand man auf Frauen wie Ava Gardner oder Lana Turner. Also Busen und Taille und runde Hüften.

STANDARD: Es gibt da diesen Spruch, dass früher alles besser gewesen sei. Stimmt das?

Koller: Aber nein! Früher gab es das Diktat, dass man schön sein muss. Diesen Zwang sehe ich heute nicht mehr. Andererseits schauen sie einmal in die Vogue! Da sehen sie lauter fremd wirkende Gesichter. Hat eine Frau heute einen kurzen Haarschnitt, muss man genau schauen, ob es sich um einen Bub oder ein Mädel handelt. Irgendwie schauen heute alle gleich aus.

"Man sieht so viele finstere Gesichter auf der Straße. Dabei sollte man die Dinge mit kindlichen Augen betrachten, dann bleibt man neugierig und fröhlich."
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

STANDARD: Abgesehen von Schönheitsbildern, was war früher besser?

Koller: Für mich ist jetzt alles besser. Aber das hab ich mir erarbeitet. Außerdem wurde ich nie enttäuscht. Deshalb liebe ich die Männer. Ich klopfe auf Holz, denn es kann ja noch einer in mein Leben kommen, und es könnte sein, dass er wieder geht.

STANDARD: Hatten Sie diese Angst bei Ihrem Mann, Helmut Zilk, auch?

Koller: Niemals! Der Helmut Zilk war Vaterfigur, Freund, Liebhaber und Berater. Und er hat mir sehr gut gefallen. Außerdem hab ich ihn lange geprüft. Neun Jahre lang habe ich ihn nicht geheiratet. Er wollte das gleich am Anfang. Heute wirkt alles viel austauschbarer. Also ich denke, in Sachen Liebe war es früher schöner. Dieses Verliebtsein.

STANDARD: Die Menschen verlieben sich auch heute noch.

Koller: Gott sei Dank, ja.

STANDARD: Auch mit 80?

Koller: So viel sei verraten: Verliebtsein ist ein Glück. Ich bin immer wieder verliebt.

STANDARD: Heute ist immer wieder die Rede von einem neuen Rollenbild des Mannes. Wie sehen Sie dieses Bild heute, diese Rolle? Immerhin kannten Sie Männer wie Frank Sinatra, Tony Curtis oder Oskar Werner.

Koller: Ach Gott, der Oskar Werner, mit ihm pflegte ich eine ganz besondere Freundschaft. Ich glaube, wäre ich seinerzeit nicht nach Portugal gegangen, hätte er sich nicht so versoffen. Früher stand ich auf Marlon Brando, also auf einen Mann mit Muskeln. Das hat sich total verändert. Heute gefallen mir schmale, stille Männer besser. Ein Mann kann auch ruhig Parfum verwenden. Mein Beuteschema hat sich also geändert.

"Karriere zu machen ist eine schwierige Angelegenheit. Sonst würde es ja jeder tun. Ich wäre unglücklich, wenn mich kein Mensch mehr erkennen würde."
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

STANDARD: In einem Buch über Sie steht ein Zitat zu lesen: "Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen."

Koller: Für gewisse Leute stimmt das sicher.

STANDARD: Wie süchtig sind Sie nach dieser Droge?

Koller: Ich? Ich wäre unglücklich, wenn mich kein Mensch mehr erkennen würde.

STANDARD: Ist das Eitelkeit?

Koller: Nein, das ist der Beweis, dass man lange hart gearbeitet hat. Karriere zu machen ist eine schwierige Angelegenheit. Sonst würde es ja jeder tun.

STANDARD: Zurück zur Liebe – Sie sagten einmal: "Ich liebe mich von Herzen!" Was lieben Sie denn an sich?

Koller: Das sage ich mir seit neuestem, weil es mir ja sonst niemand sagt. Dabei war ich es so gewohnt. Helmut hat mir jeden Morgen einen Zettel vor die Schlafzimmertür gelegt. Ich habe meistens etwas länger geschlafen als er. Meistens bis neun.

STANDARD: Was stand auf diesen Zetteln?

Koller: Zum Beispiel "Ohne Dich kann ich nicht leben" oder "Du bist mein Leben!". Ich hab sie gesammelt.

STANDARD: Sie sagten auch einmal, Sie würden Ihr kindliches Gemüt lieben. Hält ein solches Gemüt jung?

Koller: Auf jeden Fall. Man sollte die Dinge mit kindlichen Augen betrachten, dann bleibt man neugierig und fröhlich. Erst heute dachte ich mir wieder, es ist doch furchtbar, wie viele finstere Gesichter man in Wien auf der Straße sieht.

STANDARD: Woran liegt das?

Koller: Ich glaube, die Menschen sind mit Dingen beschäftigt, an denen sie herumkiefeln. Seien es Geldfragen, irgendwelche Wünsche oder sonst etwas. Viele Leute reden sich ihre Sorgen ein. Die ständige Erreichbarkeit per Handy oder Computer trägt auch viel zu diesen Gesichtern bei. In der halben Stunde, bevor sie kamen, habe ich zehn E-Mails bekommen. Muss ich die wirklich alle gleich lesen?

STANDARD: Sie werden am kommenden Montag 80 Jahre alt. Gehören Sie zu den Menschen, für die Alter nur eine Zahl ist?

Koller: Ja, Alter ist nur eine Zahl. Auch weil ich körperlich gut trainiert bin. Wissen Sie, es ist auch so, dass ich mir jede Krankheit sofort wegdenke. Dabei klopfe ich auf Holz. Die Ärzte lachen darüber. Oder sie sagen: "Mach Physiotherapie oder dies oder das." Wann soll ich denn dafür Zeit haben?

STANDARD: Dachten Sie als junge Frau manchmal daran, wie es sein würde, 80 zu werden?

Koller: Nein, diese Zahl war für mich undenkbar. Ich hatte so ein liebes Großmutterl und konnte mir nie vorstellen, einmal in dieses Alter zu kommen.

STANDARD: Hollywoodstar Mae West sagte einst: "Altwerden ist nichts für Feiglinge." Geben Sie ihr recht?

Koller: Das sagt nicht nur sie, ich glaube auch die Knef und andere. Sie haben unrecht. Ich habe erst, als ich älter und reifer war, ich spreche von der Zeit, als ich 60 wurde, verstanden, um was es wirklich geht. Ich finde das Zitat sinnlos.

STANDARD: Frau Koller, was kommt nach dem Tod?

Koller: Ich komme hoffentlich in das Grab, in dem mein Helmut liegt. Auch wenn das gar nicht so leicht wird, denn der Stein ist ganz schön groß und schwer. Was dann passiert, weiß ich nicht. Ich glaube, Helmut liegt noch da unten, in dem wunderschönen Anzug, den ich ihm mitgegeben habe.

STANDARD: Besuchen Sie ihn oft?

Koller: Ja, und ich rufe seit elf Jahren "Ich bin wieder da" und rede mit dem Grabstein und beobachte, wie sich der Granit mit den Jahren verändert.

STANDARD: Sie glauben nicht an ein Wiedersehen im Himmel?

Koller: Nein, das tue ich nicht. Aber ich glaube an Gott, bete und bedanke mich jede Nacht dafür, dass es mir so gut geht. Ich gehe auch gern in Kirchen. Ich trage auch einen Rosenkranz in der Handtasche.

STANDARD: Sie haben mir aber erzählt, dass Sie mit Helmut noch immer sprechen.

Koller: Ja, aber das tue ich ganz automatisch. Wenn ich schon dort bin, kann er ruhig erfahren, wie es mir geht.

STANDARD: Aber im christlichen Glauben glaubt man doch an ein Jenseits.

Koller: So katholisch bin ich dann auch wieder nicht. (Michael Hausenblas, 25.8.2019)