Dass ein "ganz normaler Vorgang" (Altkanzler Sebastian Kurz zum Schredder-Gate) wie die Absage eines der drei Konzerte von Anna Netrebko für die größte Erregung des Sommers sorgte, zeigt, dass die Salzburger Festspiele heuer von besonderer künstlerischer Spannung eher unbehelligt geblieben sind. Hierzu passt auch, dass der am Sonntag nahende Auftritt des von einigen Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigten Plácido Domingo hitziger debattiert wird als etwa Mozarts Idomeneo. Die Oper wurde zu einer Mahnung vor dem Klimawandel umge deutet. Die Inszenierung blieb aber harmloser und reihte sich in eine Abfolge eher nur respektabler Opernpremieren ein. Der Gesamteindruck lässt vermuten, Salzburg hole Luft, um erst im kommenden Jubiläumsjahr (100 Jahre Festspiele) wieder eine prickelnde Ausnahmesituation zu schaffen, die Festspiele ja sein können.

Zu niedlich, um Umweltsorgen Nachdruck zu verleihen: Peter Sellars’ "Idomeneo".
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Sollte die Frage aufkommen, was 2020 wiederaufgenommen werden könnte, würde sich Cherubinis Médée in der Inszenierung von Simon Stone anbieten. Durch Mittel wie Video, Simultanszenen, Stimmeinspielungen und präzise Beziehungsschilderung ist das Werk im Heute angekommen. Eine Entdeckung war Elena Stikhina als Médée. Sie steht für das insgesamt verlässlich gute Musikniveau. Besonders Dirigent Teodor Currentzis zeigte, dass er bei Mozarts Idomeneo hohe Sensibilität walten lässt, die eine gute Balance zwischen pointierter Dramatik und klanglicher Leichtigkeit findet.

Peter Sellars wiederum blieb bei Idomeneo plakativ. Seine Mahnung vor Plastikmüll und Umweltschäden bebildert er putzig mit luftblasenartigen Schwebegeschöpfen, die so niedlich wirkten, dass die Umweltsorgen sich in einem ästhetischen Wohlgefühl auflösten. Da war Sellars’ Eröffnungsrede eindringlicher.

Lichtblick in Salzburg: Simon Stones Inszenierung von Cherubinis "Médée".
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Treue und Kontinuität

Es zeigt sich: Intendant Markus Hinterhäuser setzt auf personelle Kontinuität. Auch diese vermag jedoch nicht zu garantieren, dass ein Regie-Da-capo gelingt – eine Erfahrung, die auch bei Verdis Simon Boccanegra möglich war. Ein von Dirigent Valery Gergiev philharmonisch gediegen betreutes Fest der recht guten Stimmen (Luca Salsi, Rene Pape, Marina Rebeka) schrumpfte szenisch zu einem rampen nahen Arienabend vor eleganter Architektur. Da war Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk (2017) ein subtileres Kaliber.

Christopher Maltman sang toll im seltsamen "Œdipe".
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Immer wieder immerhin die Musik: Bei Œdipe von George Enescu wurde die Interpretation der Wiener Philharmoniker unter Ingo Metzmacher zum edlen Dokument der Spätromantik. Regieveteran Achim Freyer steuert dazu allerdings nur seinen bewährten Kosmos aus farbenreichen Menschenpuppen bei, in dem die Hauptfigur als Mix aus Rocky und Hulk litt. Warum er Superheld sein musste, konnte auch ein grandioser Christopher Maltman nicht vermitteln, der als Gag auch in Offenbachs Orphée aux enfers gepasst hätte. Regisseur Barrie Kosky gönnte sich einen Buffospaß, dessen virtuose Szenenfolge in einer Höllenfete mündete und keine Blödelei ausließ. Es hatte immerhin grellen Charme samt genialer Idee, sämtliche Sprechpassagen Schauspieler Max Hopp zu übertragen.

Regisseur Barrie Kosky machte aus Offenbachs "Orphée aux enfers" einen Buffospaß.
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Zusammen mit den immer gut durchdachten Konzertprogrammen ergibt das einen soliden Jahrgang. Zu welch szenischen Höhenflügen Salzburg eigentlich fähig ist, wird aber die sonntägige Wiederaufnahme der Salome in der Regie von Romeo Castellucci zeigen. Davon darf im Jubiläumsjahr ein bisserl mehr auftauchen.

Pech im Spiel

Castellucci oder Stone hätten auch dem diesjährigen Schauspielprogramm als Zuspitzungsmeister gutgetan. Im Vergleich zu den letztjährigen Höhepunkten mit den Persern von Ulrich Rasche sowie Penthesilea in der Regie von Johan Simons zog dieses heuer insgesamt doch lau vorbei. Auch Pech war mit im Spiel! Die für ihr Salzburg-Debüt erwartete slowenische Regisseurin Mateja Koležnik musste die Arbeit an Maxim Gorkis Sommergästen aus gesundheitlichen Gründen im Mai kurzfristig abgeben. Der 38-jährige Ersatzregisseur Evgeny Titov war eine gute Wahl, konnte in diesem fliegenden Wechsel der konzeptuellen Zwitterlage allerdings nicht wirklich entkommen.

Auch Jörg Hartmann konnte in "Jugend ohne Gott" wenig gegen das schwerfällige Regiekonzept ausrichten.
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Auch blieben vielversprechende Schauspielheroen wie Caroline Peters in Die Empörten oder Jörg Hartmann in Jugend ohne Gott in uninspirierten bis schwerfälligen Regiekonzepten verschüttet. Am besten traf es noch Neo-Buhlschaft Valery Tscheplanowa, die sich in der nunmehr ausgereiften Jedermann-Inszenierung Michael Sturmingers wirkmächtig Raum verschaffte. Tscheplanowa ist für Schauspielchefin Bettina Hering gewiss der Coup dieses Jahres, und man kann davon ausgehen, dass sich das im nächsten Jahr wiederholt.

Im Schauspiel überzeugte immerhin das Maschinentheater in Kornél Mundruczós "Liliom"-Inszenierung.
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Nicht alle Planungsträume gehen derart auf. Das Publikum erwartet Regisseure und Regisseurinnen der ersten Liga, zugleich aber auch neue Gesichter, verschiedene künstlerische Handschriften und auch thematische Diversität. In diesem Dickicht an Begehrlichkeiten schien Herings Saison theoretisch zwar perfekt. Praktisch aber ließ nur das Liliom-Märchen mit den Roboter armen von Kornél Mundruczó Festivalstimmung aufkommen. Dass das Schauspielprogramm im großen Planungsbogen zum Jahresthema Mythos (Médée, Œdipe, Orphée aux enfers, Salome etc.) gänzlich herausgefallen war – warum auch immer –, war nur ein vernachlässigbarer Schönheitsfehler. (Ljubiša Tošić, Margarete Affenzeller, 24.8.2019)