Diese Woche begann mit einem sehr schönen Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein vor einer Leinwand in expressiven Grautönen sitzend, aufgenommen mit einem uralten Fotoapparat aus dem Jahr 1839. Das Foto war ein Geschenk der Wiener Galerie Westlicht: Die Kanzlerin hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass die stark unter Druck stehende Fotogalerie finanziell gerettet wird. Bierleins Initiative ist sehr zu begrüßen – nicht nur, weil ein außergewöhnlicher Ort für Fotokunst unbedingt erhaltenswert ist. Es zeigte sich nebenbei auch, dass Bierlein sehr initiativ sein kann, wenn sie will – etwa im Kulturbereich, der ihr am Herzen liegt.

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Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein übt sich in Zurückhaltung, jedoch wären mehr Wortmeldungen ihrerseits angebracht.
Foto: Reuters/Lisi Niesner

Leider gilt das für viele andere Bereiche nicht. Da bleibt sie stumm, wo sie reden sollte, administriert, wo sie regieren könnte. Das ist eine vertane Chance, Schweigen konnten andere Kanzler vor ihr auch gut. Und angesichts der Dramatik, mit der sich die vorherige Koalition selbst in die Luft gesprengt hatte, und der unabsehbaren Folgen gäbe es einiges zu sagen – und zu tun.

Beamtenkabinett als Übergangsregierung

Dass sie gleich zu Amtsantritt betonte, sich selbst und ihr Beamtenkabinett als Übergangsregierung zu sehen, erschien ja noch logisch. Wer sein eigenes politisches Programm verwirklichen will, muss sich zuerst von den Österreicherinnen und Österreichern wählen lassen. So gehört sich das in einer Demokratie.

Das bedeutet aber nicht, dass man so tut, als fände Politik plötzlich überhaupt nicht mehr statt. Die Kanzlerin schweigt zu aktuellen Ereignissen, das wirkt bisweilen irritierend. Um beim Offensichtlichsten zu beginnen: Nach Ibiza hätte Bierlein bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele punkten können, hätte sie über den Rechtsstaat und/oder die Notwendigkeit von Checks and Balances in der Demokratie parliert. Leider blieb sie in Salzburg vage.

Die Arbeit der Ermittler der Soko Ibiza, die von FPÖ und Peter Pilz ins parteipolitische Zwielicht gerückt wird, der Vorwurf von Exvizekanzler Heinz-Christian Strache, die Razzien in der Casinos-Causa seien Willkür, schließlich die Attacke von Altkanzler Sebastian Kurz, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Ibiza seien ein Schmutzkübelwahlkampf: Hier müsste die Regierungschefin der Justiz den Rücken stärken – oder tätig werden, wenn Zweifel tatsächlich angebracht sind. Auch die üppigen Spenden an die ÖVP, die interessante Genehmigungen, gefällige Gesetzesvorlagen oder sogar Posten in der staatsnahen Wirtschaft nach sich zogen, sollten die amtierende Regierung in die Gänge bringen. Wie wäre es mit der Vorlage eines Spendentransparenzgesetzes, das diesen Namen auch verdient – durchaus aus gegebenem Anlass?

Fehlende Handlungswilligkeit

Bierlein und ihre Minister haben nichts zu verlieren. Im Gegenteil: Handlungswilligkeit und -fähigkeit erhöhten ihre Autorität. Insofern ist auch unverständlich, dass es bis heute kein Gesetz gibt, das Lehrlinge unter den Asylwerbern nachhaltig schützt. Schließlich gibt es, mit Ausnahme der FPÖ, einen breiten Konsens, dass es sinnlos ist, junge Menschen erst auszubilden und danach abzuschieben. Ein politisches Wagnis wäre ein diesbezüglicher Gesetzesvorschlag also nicht.

Wer regiert, kann nicht immer sagen, dass man nur Übergang sei – noch dazu, wo die Verfassung einen solchen Übergang gar nicht kennt. Wenn das Haus jetzt brennt, kann man das Löschen nicht bis nach der Wahl verschieben. (Petra Stuiber, 25.8.2019)