Abgebrannte Gebiete des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien. Das sensible Ökosystem produziert rund 20 Prozent des weltweiten Sauerstoffs.

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Das Video dauert nur 27 Sekunden und zeigt doch die ganze Tragödie. "Schau, was sie mit unserem Gebiet gemacht haben. Sie haben alles getötet." Eine Indigene zeigt auf nur wenige Meter entfernt lodernde Flammen, die ihren Lebensraum im Amazonas-Gebiet zerstören. Mehr als eine Million Indigene leben in dem Becken, ein Teil noch ohne Kontakt zur Außenwelt. Sie gelten als die Wächter des Regenwaldes und werden jetzt Opfer der Flammen. Hochauflösende Satellitenaufnahmen zeigen, dass die verheerenden Waldbrände vor allem an den Außengrenzen der Schutzgebiete ausgebrochen sind und sich immer näher an ihre Dörfer fressen.

"Es ist eine Katastrophe für den ganzen Planeten", sagt Joshua Castellino von der Organisation Minority Rights Group International. Mehr als eine Million Ureinwohner sind in akuter Gefahr und werden ihrer Lebensgrundlage beraubt. In Medien sagt der Kazike Raimundo Praia Belem vom Volk der Mura: "Ich werde bis zum letzten Blutstropfen für den Regenwald kämpfen."

Der Zusammenhang zwischen den massenhaften Bränden und dem Raubbau ist inzwischen für jeden ersichtlich. Experten gehen davon aus, dass die meisten Feuer durch Brandrodung in abgeholzten Gebieten entstanden sind. Es sind die größten Feuersbrünste im Amazonas-Gebiet seit 2010.

Militär gegen die Flammen

Immerhin, so scheint es, lenkt jetzt auch Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nach dem massiven internationalen Druck ein. Er schickte rund 44.000 Soldaten und Löschflugzeuge in die Region. Zusätzlich gab die Regierung rund 8,3 Millionen Euro an Notfallhilfen frei. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf und will klären, warum staatliche Behörden nicht aktiv gegen den sogenannten "Tag des Feuers" vorgegangen sind. Brasilianische Medien hatten schon Anfang August darüber berichtet, dass sich Rinderzüchter in den sozialen Netzwerken zu einer "Operation Feuer" verabreden wollten. Dabei sollen sie sich auf die Unterstützung von Bolsonaro berufen haben.

Die massenhafte Zerstörung des Regenwaldes geht einher mit dem Aufstieg Brasiliens zum weltweiten Fleischexporteur. Für neue Weideflächen wurde immer mehr Regenwald gerodet. Im Jahr 2000 gab es im Amazonas-Gebiet 47 Millionen Rinder, heute sind es 85 Millionen. Davon weiden 80 Prozent auf gerodeten Flächen. Das Exportziel des Rindfleischs sind die USA und Europa.

Illegal gerodete Flächen

Wenige große Fleischexporteure wie die Gruppen Agro SB und JBS haben sich den Markt aufgeteilt. Sie alle verarbeiten Rindfleisch, das auf illegal gerodeten Flächen gezüchtet wurde. Für die Kontrolleure der Umweltbehörde Ibama ist es oft unmöglich, die Herkunft des Fleisches nachzuvollziehen – Nachweise werden ebenso wie Handelspapiere gefälscht. Dennoch mussten beide Unternehmen schon Strafzahlungen in Millionenhöhe leisten. So wurde Agro SB zu Strafen von rund 18 Millionen Euro für Ländereien im Amazonas-Bundesstaat Pará verurteilt. Auch aus Sicht der Kontrolleure war dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Agrarproduzenten gehörten zu den eifrigsten Unterstützern von Bolsonaro. Durch ihre Hilfe konnte der Ex-Fallschirmspringer überhaupt erst in den Präsidentenpalast einziehen. Als Dank gab er nach Amtsantritt riesige Flächen zur Abholzung frei, kürzte die Mittel der Umweltbehörde und will den Bergbau in Schutzgebieten erlauben. Als Erfolg feierte die Agrarlobby vor allem die Unterzeichnung des EU-Mercosur-Handelsabkommens im Juli.

Damit wird die Einfuhr von brasilianischem Rindfleisch auf den europäischen Markt erleichtert. Gleichzeitig freuen sich die deutschen Autobauer über neue Absatzmärkte in zuvor wegen der hohen Zölle schwer zugänglichen Ländern. "Cars for Cows" wird der Deal genannt – auch wenn das Rindfleisch von illegal gerodeten Flächen kommt.

"Hauptmann Kettensäge"

Umso nervöser werden die brasilianischen Agrarproduzenten jetzt. Höchst ungelegen kommt ihnen das weltweite Interesse an ihren Weideflächen. Bestenfalls ungeschickt finden sie das Agieren von "Hauptmann Kettensäge", wie Bolsonaro genannt wird. Mehr Diplomatie aus dem Präsidentenpalast wünscht sich Brasiliens größter Sojaproduzent und Ex-Landwirtschaftsminister Blairo Maggi. Sehr beunruhigend seien die Boykottaufrufe aus Europa gegen brasilianische Produkte, verkündete er. Der Präsident des Verbands der Sojaproduzenten, Bartolomeus Braz Pereira, beruhigt Europa und sieht "keinen Grund für Alarmismus". Die Waldbrände seien "absolut im Bereich des Normalen". Nur durch die sozialen Medien werde jetzt solch ein Hype veranstaltet, meint er.

Doch Europa ist alarmiert. Länder wie Irland und Frankreich wollen ihr Veto gegen das Abkommen einlegen, wenn Brasilien die Waldbrände und illegale Ab- holzung nicht konsequent bekämpft. Auch brasilianische Medien berichten im Minutentakt über die Katastrophe. Zehntausende Brasilianer sind in den vergangenen Tagen auf die Straße gegangen und haben gegen ihre Regierung protestiert. Unter dem Hashtag #PrayforAmazonia haben sie eine Bewegung kreiert, die auch Bolsonaro nicht mehr ignorieren kann. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 25.8.2019)