Kleo lässt sich die Möglichkeit der Abkühlung nicht entgehen. Jochen Stadlers fünfjähriger Flat Coated Retriever wird derzeit zum Wasserrettungshund ausgebildet.

Foto: Christian Fischer

Jochen Stadler und seine Flat-Coated-Retriever-Hündin Kleo sind seit fünf Jahren ein eingespieltes Team. Als begeisterter Hundebesitzer begann sich der Journalist auch beruflich seinem Herzensthema zu widmen. Vor allem, um Kritik zu üben: an der Berichterstattung über Hundebisse und an den Debatten über Hundehaltung. Zuerst schrieb Stadler einen Artikel – nun wurde daraus ein Buch, das dieser Tage erschien: Guter Hund, böser Hund. Es ist hochaktuell, zuletzt wurden wieder Hundebisse – etwa in der Steiermark, in Salzburg oder in Niederösterreich – gemeldet. Auf der Donauinsel trifft DER STANDARD Stadler und Kleo, um über Beißstatistiken, Rasselisten für Kampfhunde und die Voraussetzungen für ein glückliches Miteinander von Mensch und Hund zu sprechen.

STANDARD: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Beißstatistiken alle "Schrott" sind. Woran liegt das?

Stadler: Es gibt kaum vernünftige Daten. Oft wird mit sehr geringen Fallzahlen gearbeitet. Sie stammen entweder aus Tierarztpraxen, aus Krankenhäusern oder aus Polizeistatistiken. Es handelt sich also nur um die Fälle, wo die Polizei gerufen wurde oder jemand danach ins Krankenhaus kam. Beißt der eigene Pudel das Kind und es hat einen Kratzer am Arm, geht man deswegen vermutlich nicht ins Krankenhaus. Passiert derselbe Vorfall aber mit einem Listenhund, dem man zufällig auf der Straße begegnet, fährt man schon eher ins Spital. Es gibt also zwei Vorfälle – aber nur einer kommt in die Statistik.

STANDARD: Wieso sind die Aufregung und das mediale Echo so groß, wenn es um Hundebisse geht?

Stadler: Hunde sind sehr stark emotional besetzt, im positiven wie auch im negativen Sinn. Die absoluten Zahlen von Hundebissen sind in Wahrheit sehr gering, statistisch fast vernachlässigbar. Das Risiko, an einem Biss zu sterben, ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz getroffen zu werden. Vielleicht wird gerade deshalb so groß über die wenigen Fälle berichtet.

STANDARD: Viele Menschen denken zuerst an Listenhunde, wenn sie von Hundebissen hören. Sie schreiben, dass diese Hunde nicht rassebedingt gefährlicher sind. Lässt sich das statistisch belegen?

Stadler: Ja. Das Risiko, von einem Listenhund gebissen zu werden, ist sogar kleiner. Die meisten Statistiken werden mit Respektabstand vom Schäferhund angeführt. Selbst wenn man die Vorfälle durch die große Zahl der Hunde dieser Rasse dividiert, ist er immer noch Spitzenreiter. Die Vorfälle mit Kampfhunden sind Einzelfälle.

STANDARD: Warum liest man dennoch öfter von beißenden Kampfhunden als von beißenden Dackeln oder Pudeln?

Stadler: Da muss ich widersprechen: Voriges Jahr hat ein Dackel ein kleines Kind gebissen, das danach auf die Intensivstation musste. Möglicherweise hätte man darüber aber nicht so groß berichtet, wäre nicht kurz zuvor ein Kleinkind von einem Rottweiler getötet worden. Kampfhunde haben einfach einen schlechten Ruf. Passiert auch nur irgendetwas, steht das sofort in der Zeitung. Beißt ein Schäferhund oder Dackel, sorgt das nie für die gleiche Aufregung.

STANDARD: Wieso wurden die Rasselisten für Kampfhunde eingeführt, wenn sie statistisch gar nicht gefährlicher sind?

Stadler: Die Argumentation des Gesetzgebers war ja, dass diese Hunde gefährlich sind. Das lässt sich aber nicht belegen. Anderswo hat man diese Gesetze wieder abgeschafft. Man hat gesehen, dass sie nichts bringen. Hierzulande verschärft man sie und stigmatisiert Hunde und Besitzer. Kein Experte aus der Hunde- und Verhaltensforschung hält das für sinnvoll. Bei der Einführung der Rasselisten im Jahr 2010 hat die Stadt Wien ein Expertenkomitee einberufen, dessen Vorschläge und Kritik aber komplett übergangen.

STANDARD: Welche Maßnahmen soll oder kann die Politik überhaupt setzen, um die Gefahr von Hundebissen zu reduzieren?

Stadler: In Menschenmengen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln macht eine Leinen- und Beißkorbpflicht für alle Hunde sicherlich Sinn. Steigt hier jemand dem Hund auf den Schwanz oder bedrängt ihn, schnappt er mitunter hin. Das wäre eine natürliche Reaktion – egal, ob es sich um einen Golden Retriever oder um einen Stafford handelt. Ansonsten gilt der Grundsatz: mehr Bildung, weniger Strafen. Wie gehe ich als Besitzer oder Fremder mit einem Hund um? Wie tickt und verhält sich ein Hund? Wüssten das alle Beteiligten, würden sich viele Probleme in Luft auflösen.

STANDARD: Wäre auch ein verpflichtender Kurs in einer Hundeschule denkbar?

Stadler: Ich fände das sinnvoll. Da würde ich aber dafür plädieren, dass man vorher in allen Hundeschulen einheitliche, tierschutzkonforme Standards durchsetzt. Es gibt immer noch zu viele, die nach der alten Schule arbeiten. Dort bekommt der Hund gleich eine drübergezogen, wenn er nicht sofort pariert.

STANDARD: Was machen Erwachsene im Umgang mit Hunden häufig falsch?

Stadler: Sie begrüßen den Hund nach Primatenart. Sie gehen auf ihn zu, rufen ihn, schauen ihm direkt in die Augen. Im schlimmsten Fall umarmen sie ihn dann auch noch. Dabei braucht man nur Hunden untereinander bei der Begrüßung zuzusehen. Sie machen zuerst einen Bogen umeinander, vermeiden direkten Blickkontakt, beschnüffeln sich vorsichtig. Hunde und Menschen haben eine ganz andere Willkommenskultur.

STANDARD: Was sind die besten Voraussetzungen für ein glückliches Miteinander von Mensch und Hund?

Stadler: Wichtig ist, dass der Mensch weiß, wie der Hund tickt. Dass er auf ihn eingeht und ihn mit positiven Methoden zu einem verantwortungsvollen Lebewesen erzieht. Wichtig ist auch, dass man ihn aus seriöser Quelle nimmt. Es ist wunderschön, einen Tierheimhund zu retten, aber man holt sich ein Überraschungspaket nach Hause. Einfacher ist es, sich einen gut sozialisierten Welpen von einem seriösen Züchter zu holen. Man sollte sich gut anschauen, wo der Hund herkommt. Wie werden die Welpen dort aufgezogen? Wirkt die Mutterhündin glücklich oder wie eine Gebärmaschine? Gute Züchter dokumentieren auch, was sie alles mit den Welpen unternehmen, damit sie die Welt kennenlernen. (Alexander Polt, 26.8.2019)