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9. August 2008, Peking: Ludwig Paischer hat Kim Kyong-jin aus Nordkorea besiegt, er ist unterwegs zu olympischem Silber.

Foto: REUTERS/KIM KYUNG-HOON

Manche Dinge ändern sich nie, andere Dinge ändern sich sehr schnell. Ludwig Paischer kann ein Lied davon singen. Hätte ihm Mitte 2016, kurz vor dem Ende seiner Judokarriere, jemand gesagt, er würde ein halbes Jahr später in Tokio leben, er hätte es nicht geglaubt. Die japanische Hauptstadt steht quasi dafür, wie Konstanz und Rasanz in Paischers Leben zusammenfinden und zusammenpassen. Tokio, das Judo-Zentrum, Tokio, der Nabel der Sportwelt. Hier steigen in einem Jahr die Olympischen Spiele und heuer diverse Generalproben wie die kürzlich beendete Kletter-WM und die seit Sonntag laufende Judo-WM. Paischer (37) ist notabene und stets dabei.

Nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro hatte sich für ihn die Möglichkeit ergeben, in den Sportmanagementbereich und nach Tokio zu übersiedeln. "Ich musste", sagt er jedenfalls, "nicht lange nachdenken. Japan hat mir immer getaugt." Der "Lupo", wie er genannt wird, war im Laufe seiner Karriere, die auf internationaler Ebene 1998 mit einem dritten Platz bei den Weltjugendspielen in Moskau begann und fast zwei Jahrzehnte dauern sollte, oft genug da gewesen, auf Trainingslagern, bei Turnieren. Paischer war in der Klasse bis 60 Kilogramm zweimal Europameister, 2004 und 2008, er war 2005 WM-Zweiter und 2007 WM-Dritter. Und über allem steht natürlich die Olympiasilberne, die er 2008 in Peking errang.

Doch im Judo-narrischen Japan verbinden sie mit dem Blondschopf noch ganz anderes. Zum einen seinen Sieg 2006 im Kano-Cup, einem traditionellen und überaus stark besetzten Einladungsturnier in Tokio. Zum anderen seinen Erfolg im Super-Weltcup 2008 in Hamburg, wo er im Finale über Tadahiro Nomura triumphierte. Nomura galt als beinah unschlagbar, bis heute ist er der einzige Judoka mit drei Olympiatiteln. Man kennt und sieht sich auch heute noch ab und zu. Nomura ist quasi ein japanischer Halbgott, wo er auftaucht, öffnen sich die Türen. Für Paischer ist Nomura "der herausragende Judokämpfer überhaupt. Es ist eine Ehre für mich, dass ich in seiner Zeit kämpfen durfte."

Freude über Silber

Ein zweiter Name, der mit der Paischer-Karriere eng verbunden ist, lautet Choi Min-ho. Der Südkoreaner hat bei Olympischen Spielen zweimal Paischers Hoffnungen beendet, einmal gleich zu Beginn (2004), einmal ganz am Ende (2008). Die Niederlage im Pekinger Finale, sagt Paischer, habe ihn "natürlich geschmerzt", doch mit einigem Abstand konnte er sich "über Silber richtig freuen". Dem Sieger zollte er damals und zollt er immer noch Respekt. "Er war an dem Tag mit Abstand der Beste, hat alle Kämpfe vorzeitig gewonnen."

Respekt, das ist ein Wort, das Paischer oft über die Lippen kommt. Der Sport habe ihm "viele Werte vermittelt", Respekt sei einer der wichtigsten. "Im Judo verbeugst du dich vor jedem Kampf. Und du verbeugst dich nach jedem Kampf – auch wenn du verloren hast." Im Judo gewinne nicht immer der körperlich Stärkere. "Du brauchst eine Mischung aus körperlichen und geistigen Fähigkeiten", sagt Paischer. "Judo heißt ja 'Der sanfte Weg', man siegt durch Nachgeben, man nützt den Schwung des Gegners aus."

Mitgezählt hat niemand, aber klarerweise hat sich Paischer weitaus öfter als Sieger verbeugt. Als Dreijähriger war er erstmals am Mattenrand herumgekugelt, während seine auf heimischem Niveau recht erfolgreiche Mutter Agnes auf der Matte trainierte. Bei der Judounion Flachgau war Gerhard Dorfinger sein Trainer und Förderer. Die Trainingshalle in Straßwalchen hatte schon vor Paischers Erfolgen den Namen Gerhard-Dorfinger-Halle erhalten, dank Paischers Erfolgen lautet die Adresse seit einigen Jahren "Ludwig-Paischer-Platz 1".

Sabrina Filzmoser, auch diesen Namen kann man gerne mit Paischer verbinden. Die Oberösterreicherin, ein Jahr älter als der Salzburger, ist immer noch aktiv, am Dienstag tritt sie zu ihrer bereits 14. WM an. Jahrelang waren Paischer und Filzmoser quasi Seite an Seite erfolgreich, 2008 in Lissabon sorgten sie binnen zehn Minuten für zwei EM-Titel. "Sabsi zählt zu den besten Menschen, die ich kenne", sagt Paischer. "Ich bewundere ihre Motivation. Ich könnte das nicht mehr bringen."

Geändert

Die Dinge haben sich geändert. Paischer lebt seit bald drei Jahren in Tokio, die Stadt habe ihn "cool aufgenommen". Er ist mit einer Japanerin, mit Noriko, liiert. Daheim, in der zentral gelegenen Wohnung, wird vor allem Englisch gesprochen, doch Paischer nimmt regelmäßig Japanisch-Unterricht. "Ich überlebe", sagt er. "Ich kann Essen bestellen, ein Taxi rufen, mich im Supermarkt erkundigen, ob etwas lagernd ist. Ich verstehe mehr und mehr, aber es braucht Zeit."

Japans Hauptstadt mit ihren 9,6 Millionen Einwohnern würde Ludwig Paischer zuallererst "variantenreich" nennen. Natürlich gebe es die berühmte Shibuya-Kreuzung und viel Verkehr. "Aber mit der U-Bahn bist du in zwanzig Minuten am Tama-River, dort ist es ruhig." Generell gelte: "Du kannst alles vermeiden. Aber du kannst auch mittendrin sein." Seine Eltern, seine Schwester, die Oma gehen ihm ab, die Freunde natürlich auch. Zwei-, dreimal im Jahr kommt Paischer nach Österreich, ab und zu wird er in Tokio besucht. "Die Technologie erleichtert natürlich viel. Man ist dank Internet heutzutage nicht mehr ganz so weit weg wie noch vor zwanzig Jahren."

Glücklich hier und jetzt

Dem Judosport hat Ludwig Paischer nicht völlig abgeschworen, hin und wieder rafft er sich zu einem Training auf. Doch er muss aufpassen. Denn das Niveau ist hoch, und alle wissen, was er einmal draufgehabt hat. "Judo ist kein Sport, den man einfach so ein bisserl zum Spaß machen kann", sagt Paischer. Mittlerweile geht er schon öfter laufen oder ins Fitnesscenter. Er freut sich auf 2020, auf die Olympischen Spiele. Viel weiter nach vorne denkt er nicht, im Wissen, dass sich die Dinge sehr schnell ändern können. "Es ist wichtig, glücklich zu sein, wo man ist", sagt Ludwig Paischer. "Und mir geht es wirklich gut, wo ich jetzt bin." (Fritz Neumann, 25.8.2019)