Es sind zwei Elder Statesmen, die sich in Alpbach für die Zukunftsthemen einsetzen. Für den früheren UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und den ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer – beide stehen dem Ban Ki-moon Center for Global Citizens in Wien und Seoul vor – ist der Multilateralismus unerlässlich, um den großen globalen Herausforderungen zu begegnen.

Ban Ki-Moon und Heinz Fischer (3.v.li. und 4.v.li.)
Foto: Ban Ki-Moon Centre/ Eugienie Berger

STANDARD: In Brasilien brennen riesige Regenwaldflächen. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro lehnt aber jede internationale Hilfe ab und betrachtet die extrem klimaschädliche Katastrophe als nationales Problem. Gibt es ein besseres Beispiel, um das Scheitern des Multilateralismus in den vergangenen Jahren darzustellen?

Ban: Ich stimme Ihnen zu. Der Multilateralismus ist nicht nur in Schwierigkeiten ausgesetzt, sondern auch Attacken ausgeliefert. Und zwar von jenen Staaten, die am meisten vom multilateralen System profitiert haben und die das Rückgrat des internationalen Systems seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren. Wir haben unser derzeitiges Niveau an Entwicklung erreicht, weil es Solidarität und Einigkeit im multilateralen System gab. Die USA respektieren den Multilateralismus nicht mehr, die EU ist in einer Krise. Wenn diese beiden Blöcke auslassen, dann ist die ganze internationale Gemeinschaft betroffen. Vor allem jene armen Staaten, die am meisten Hilfe brauchen. Denn dann können auch die Vereinten Nationen nichts ausrichten. Ich bin sehr besorgt. Wir werden in Zukunft viele weitere regionale Krisen sehen.

STANDARD: Wie kann die Welt aus dieser Situation herauskommen? Die Probleme werden ja nicht kleiner, wenn es einen neuen Präsidenten im Weißen Haus gibt.

Ban: Ich spreche nicht über amerikanische Innenpolitik. Ich hoffe aber, dass die Amerikaner die globalen Probleme in all ihrer Komplexität und mit all ihren Konsequenzen verstehen. In der Vergangenheit haben wir regionale Probleme nur durch Konsultationen und Solidarität vor allem auch mit den USA bewältigen können.

STANDARD: Gibt es so etwas wie eine globale Führungskrise? Gibt es die Leader für unsere schwierigen Zeiten noch nicht?

Fischer: Es ist eine alte Frage, ob Geschichte von Politikern gemacht wird oder ob nicht vielmehr Geschichte Politiker formt. Aber Leadership allein ist nicht genug. Die Krise ist politisch, ökonomisch und ideologisch. Spitzenpolitiker haben es heute wahrscheinlich deutlich schwerer als früher, Probleme zu bewältigen. Ja, es geht um Leadership. Aber eben auch um starke Interessenkonflikte zwischen den USA und China. Oder um die schwierige Konsensfindung in einer groß gewordenen EU. Die Herausforderungen für die Politik sind heute multipel.

STANDARD: Wie schaffen wir es, wieder einen politischen Willen zu organisieren, der etwa so etwas wie das Klimaabkommen von Paris möglich macht?

Fischer: Es wird vieler Bewegungen bedürfen. Die EU wird in den meisten Politikbereichen vom Einstimmigkeitsprinzip abrücken müssen. Der nächste US-Präsident, wann immer er gewählt wird, wird eine andere Politik machen müssen. China wird als Spieler auf Augenhöhe angesehen werden müssen. Ich bin aber nicht so pessimistisch. Wir haben Probleme, aber wir haben auch Lösungsansätze. Stichwort Klimaschutz: Ich würde meinen, dass in den kommenden fünf Jahren viel Positives in diesem Bereich geschehen kann.

STANDARD: Brauchen wir eine noch ernstere Krise als gegenwärtig, um die Vereinten Nationen zu reformieren?

Ban: Welche Krise denn noch?

Fischer: Oft denke ich über diese Dinge nach. Ohne die Stunde null 1945 wären die Vereinten Nationen nicht gegründet worden. Ohne den Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie hätte es nicht einen einstimmigen Beschluss der österreichischen Bundesverfassung gegeben. Auch das deutsche Grundgesetz hätte es nicht ohne die Erfahrungen der Schrecken des Zweiten Weltkriegs gegeben. Und auch die Europäische Union wäre nicht gegründet worden, ohne die katastrophale Geschichte, die der Antagonismus zwischen Deutschland und Frankreich hervorgebracht hat. Die Europäische Union wäre niemals das geworden, was sie heute ist, ohne die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Manchmal braucht es einen Schock, um zu einem großen Ziel zu gelangen. Sollen wir uns deshalb heute eine Katastrophe wünschen? Natürlich nicht! Angesichts unserer Geschichte sollten wir klüger sein und das ohne solche Verwerfungen bewältigen. (Christoph Prantner, 25.8.2019)