Den Unterschied erklären? Wozu? Denn wenn da jemand letzten Sonntag in Füllenberg auf der Wiese bei der Meierei gestanden wäre und den Unterschied nicht ohnehin gesehen (genauer: gespürt) hätte, hätte eine Erklärung auch nichts genutzt.

Aber zum Glück gibt es Veranstaltungen, zu denen Leute, die dann fragen, wo jetzt eigentlich der Unterschied zwischen diesem und irgendwelchen anderen Events ist, gar nicht kommen. Nicht weil ihnen irgendjemand sagen oder bedeuten würde, dass sie hier nicht hergehören. Nicht herpassen. Gewiss nicht! Sondern einfach, weil sie von sich aus gar nicht auf die Idee kämen, zu Läufen wie dem Wienerwaldlauf anzureisen.

Foto: thomas rottenberg

Das ist gut so, denn das Fehlen von all den Superehrgeizlern, Dränglern, Alphaläufern und anderen nie lächelnden Kollegen, die es auf Asphaltpfaden und bei "professionellen" Wettkämpfen immer öfter gibt, fällt hier auf. Ist Teil dessen, was den von den Wienerwaldschnecken heuer zum achten Mal ausgerichteten Lauf irgendwo im wunderschönen Nirgendwo des Wienerwaldes, zwischen Heiligenkreuz und Sittendorf, ausmacht. Unter anderem.

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Und es ist das Einzige, was hier – unter Anführungszeichen – fehlt: Denn auch wenn bei diesem superfeinen Lauffest das Fröhlich-Familiäre (Einwurf von einem Vorab-Kontrollleser: "Das Tortenbuffet! Erwähn das Tortenbuffet!") im Vordergrund steht, bedeutet das keine Sekunde, dass hier Abwicklung, Planung und Organisation unprofessionell wären. Oder hier nicht knackig gerannt würde. Oh nein!

Foto: thomas rottenberg

Also der Reihe nach.

Den Wienerwaldlauf gibt es seit acht Jahren. Den ihn ausrichtenden Verein ebenso. Denn 2011 beschlossen ein paar Bewohner der Gemeinde Wienerwald, sich und ihren Mitmenschen Beine zu machen.

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Das funktionierte nicht nur gut, sondern sogar sehr gut: Mittlerweile gehören zu den "Schnecken" 400 Beine – also 200 Nasen. Sie sind nicht nur bei Laufveranstaltungen in Wien, Ober- und Niederösterreich oder dem Burgenland kaum zu übersehen, sondern fahren auch oft und gerne weiter weg, etwa zum Marathon in Palma, um dort dann dem Rennschneckendasein zu frönen.

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Und weil soziale Interaktion immer ein Geben und Nehmen ist, veranstalten die Schnecken eben auch ihren Lauf: Auf zwei je 4,8 Kilometer langen Runden geht es da um den Großen Buchkogel. Der ist ein 500 Meter hoher Hügel im Wienerwald.

Auf den Gipfel geht es da zwar nicht hinauf – aber ein paar Höhenmeter gilt es doch zu meistern. 75 pro Runde. Und die nicht sanft und kontinuierlich, sondern doch recht knackig: Es ist eine der Eigenheiten des Wienerwaldes, seine Steigungen hinter niedrigen Höhenangaben zu verstecken.

Foto: thomas rottenberg

Beim Wandern oder Familiensonntagspazierengehen spürt man das aber eine Spur weniger intensiv als beim Laufen. Oder beim Mountainbiken: Da haben auch meine "kernigen" Bergführerfreunde aus Tirol schon zuzugeben gelernt, dass die harmlosen Hügel des Alpenvorlandes durchaus was können.

Aber klar: Hochalpines Traillaufen ist das hier natürlich nicht. Will es auch gar nicht sein.

Foto: thomas rottenberg

Und soll es auch nicht: "Es ist eine ideale Einsteigerstrecke für all diejenigen, die mal vom Asphalt wegkommen möchten. Es gibt nichts Schöneres, als in der Natur zu laufen", schwärmt etwa Run René Kun auf seiner Facebook-Seite.

René kennt den eingangs erwähnten Unterschied sehr gut. Er ist Ultraläufer, kennt also auch die großen Läufe. Heuer hat er schon 1.700 Kilometer und – wichtiger – 28.000 Höhenmeter in den Beinen. "Und das Jahr ist noch nicht zu Ende."

Foto: thomas rottenberg

Ein Indiz, um einen Lauf mit Herzblut zu erkennen, ist immer die Art und Weise, wie da die Kinderläufe abgewickelt werden. Und auch welchen Stellenwert sie haben. Dass man Kinder nicht zum Laufen zwingt, setze ich jetzt mal als gegeben voraus: Wenn sie rennen wollen, rennen sie – und wenn nicht, ist das auch okay.

Bilder wie die vom Linz-Marathon vor einigen Jahren, als eine Elternhorde mit von Ehrgeiz entstellten Gesichtern heulende und verzweifelte Kids im Wortsinn hinter sich herschleifte, sind das Schlimmste, was man dem Sport antun kann. (Den Kindern auch, eh klar).

Foto: thomas rottenberg

Wenn die Moderatoren aber statt "Wie schnell willst du laufen?"- oder "Wer will gewinnen?"-Fragen vor dem Start Ansagen wie "Oh, wie praktisch – ihr habt alle Klettverschlüsse: Aber wer kann schon aller seine Schuhe selbst binden?" bringen, dann passt es: Das hier soll Spaß machen. Nicht nur den Kids. Tut es dann auch. Vollgas los, eh klar.

Foto: thomas rottenberg

Natürlich hatte aber kaum einer der Zwerge (die kleinsten "Jahrgang 2016 und jünger" liefen den Bambini-, die Jahrgänge 2015 und 2014 den Knirpselauf) irgendeine Vorstellung davon, was 500 Meter bedeuten (manche Eltern übrigens auch nicht): Und so war nach dem Startsprint bei manchen dann recht rasch die (Druck-)Luft raus. Macht nix: Sich die Kräfte einteilen zu lernen ist eine Alterserscheinung.

Und hier vollkommen wurscht. Wenn man irgendwann nicht mehr kann, darf man sich dann auch von der Mama oder vom Papa ein Stück tragen oder begleiten lassen. Das ist was anderes als Zerren und Schleifen.

Foto: thomas rottenberg

Der Wienerwaldlauf ist nicht groß. Er soll auch nicht mehr größer werden. Mit 500 Läuferinnen und Läufern, sagen die Organisatoren, sei der Plafond erreicht. Rund 100 bei den Kinder- und Jugendläufen und je 200 Teilnehmer beim "Funlauf" (eine Runde) und dem Hauptlauf (zwei Runden): Auf dem Waldweg wird es da am Anfang recht eng. Mit ehrgeizigen Dränglern und Remplern wäre das dann hier kein Spaß.

Foto: thomas rottenberg

Aber auch das Drumherum, sagen die Schnecken, hat eine Obergrenze: Die Wiese, auf der dann gechillt und gefeiert wird, ist ebenso voll wie die Zufahrtsstraße. Und es sind Kleinigkeiten, auf die es da auch unterwegs ankommt: "Das hier ist eine Futterwiese. Bitte achtet deshalb noch mehr als sonst darauf, dass ihr die Sicherheitsnadeln für die Startnummern nicht verliert", hieß es vor dem Start immer wieder.

Foto: thomas rottenberg

Aber dass man Müll und Getränkeflaschen nicht fallen oder liegen lässt und beim Lauf die "Littering-Zonen" peinlich genau einhält, ist eben auch etwas, was ein gutes Publikum ausmacht: Es geht längst nicht nur ums Rennen, sondern auch darum, zu spüren, was Wald, was Natur ist oder sein kann.

Foto: thomas rottenberg

Nicht für geübte, erfahrene Trail- oder Waldläuferinnen, die am liebsten in der totalen Einschicht unterwegs sind und das alles eh schon seit ewig wissen, sondern für ein Normalo-Publikum: Läufe wie dieser sind, René Kun sagte es schon, die perfekte "niederschwellige Einstiegsdroge".

Sie machen Lust auf mehr – auch weil sie für jeden und jede bewältigbar sind.

Foto: thomas rottenberg

Wobei man es sich natürlich auch ein bisserl schwerer machen kann, etwa indem man mit Bleiweste rennt: Die wahren Helden des Laufes waren die lokalen Feuerwehrleute – Frauen wie Männer –, die hier in Staffeln mitrannten. Zwar "nur" 1.200 Meter pro Kopf – aber das dafür mit 23 (oder 26?) Kilo Ausrüstung. Helm und Atemschutz selbstverständlich inklusive.

Foto: thomas rottenberg

Was ich bei einem anderen Lauf – ich glaube, beim Berlin-Marathon – von einem der dort die volle Distanz laufenden Feuerwehrtrupps lernte: Pressluft in der Flasche wiegt dann noch ein paar Kilo extra.

Auf diesen Zusatzballast zu verzichten ist aber wohl eine lässliche "Sünde" – ebenso wie der Wechsel von Einsatzstiefeln zu Laufschuhen: Ich wäre im dampfigen Wienerwald vermutlich schon mit einem Hitzschlag nach 500 Metern kollabiert, wenn ich nur einen einzelnen Handschuh angehabt hätte.

Foto: thomas rottenberg

Neben den Feuerwehrleuten hatte der Wienerwaldlauf aber noch einen ganz besonderen Helden: Ralf, der Mann mit den Krücken, hatte sich vor ein paar Monaten beim Mountainbiken den Knöchel gebrochen.

Den Gips hat er vor nicht einmal einer Woche abgelegt. Ob es so knapp danach schlau ist, an einem Wettkampf teilzunehmen, ist nicht die Frage: Bewegen soll man sich dann ja – wie schnell, wie lange und wie intensiv, ist dann auch eine Frage des vor dem Unfall gewohnten Levels.

Foto: thomas rottenberg

Ralf jedenfalls trat beim "Funlauf" an – und biss durch. Er brauchte auf Krücken für eine Runde nur unwesentlich länger als so mancher geübte Läufer für zwei.

Natürlich sagte unterwegs immer wieder irgendwer, dass vier "Beine" doch irgendwas zwischen Regelverstoß, Doping und Schummeln seien – und es eigentlich ziemlich schwach sei, wenn ein "Vierfüßer" hier nicht gewänne. Aber zum einen kann man Anerkennung ja auch so transportieren – und zum anderen sind fünf Kilometer in unter einer Stunde nach einer Verletzung sehr wohl ein Sieg.

Foto: thomas rottenberg

Und ich? Ich kam mit 51:43 oder so ähnlich ins Ziel, freute mich über das "Jeder kriegt seinen Zieleinlauf ausgedruckt"-Foto der Veranstalter – und war einfach glücklich: Noch feiner geht nämlich nicht.

(Nachtrag: Beim Warten auf die Feuerwehrstaffel wurde ich gefragt, wie viele Stehzeiten ich bei so einem Lauf hätte.

"Keine Ahnung. Ist das wichtig?" – "Also ich würde das gern wissen. Könntest mal schauen und mir schicken?" Beim ersten Durchsehen der Fotos schaute ich dann – zum ersten Mal – auf die Aufnahmezeiten der jeweils ersten und letzten fast identen Streckenrandbilder: In Summe knapp über vier Minuten. "Na, da lässt du ja einige Plätze liegen!" Mag sein. Aber ob ich 127. oder 263. werde, spielt schlicht und einfach keine Rolle: Deshalb laufe ich nicht.) (Thomas Rottenberg, 28.8.2019)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme am Wienerwaldlauf war von Ed Kramer von Traillogrunning eingefädelt worden ("Dass du hier noch nie dabei warst, geht sowas von gar nicht!") und eine Einladung der Veranstalter.

wienerwaldschnecken.at

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Foto: Wienerwaldschnecken.at