Foto: Eric Flint's Ring of Fire Press

Mal ehrlich: Wie könnte man einem Buch mit dem Titel "Oma strickt ein Raumschiff" widerstehen? (Nicht vom fehlenden -r- beirren lassen, die Erzählerin nennt ihre Großeltern tatsächlich Ganny und Gampy.) Als zweiter Pull-Faktor kommt noch dazu, dass es von David Gerrold stammt. Kurze Erinnerung: Schöpfer der Tribbles von "Star Trek", Autor humorvoller Genrewerke wie "Die fliegenden Zauberer" oder der in ihrer Konsequenz ebenfalls vor Witz sprühenden Zeitreise-Geschichte "Zeitmaschinen gehen anders" – aber auch von Space Operas ("Star Wolf") oder Apokalypsen ("Die Chtorr-Kriege").

Da scheint Unterhaltung schon vorab garantiert und wird von "Ganny Knits a Spaceship" auch prompt geliefert. Übrigens mit deutlich mehr Hard-SF-Anteilen, als man vielleicht erwarten würde. Nicht von ungefähr spielt Gerrold hier einmal auf Tom Godwins legendäre Kurzgeschichte "The Cold Equations" an. Doch dreht Gerrold sie zu warm equations um, schließlich hatte er ein erheblich menschenfreundlicheres Szenario im Sinn.

In der Welt der Whirligigs

Springen wir mal gut 100 Jahre in die Zukunft und tauchen ein in ein Sonnensystem, das bis hinaus zu den Saturnmonden erschlossen wurde. Der Waren- und Personentransport erfolgt durch ein ebenso raffiniertes wie einfaches System: Von Planeten wie Erde und Mars ragen Weltraumfahrstühle ins All – deren Gegenstücke weiter draußen sind die sogenannten whirligigs. Dafür werden zwei oder mehr eingefangene Asteroiden per Kabel verbunden und in Rotation versetzt, um wie Spinnennetze zu fungieren. Sie fangen ins All geschossene Transportkapseln ein oder schleudern sie zur nächsten Station weiter. Daraus entspringt ein pipeline genanntes Verkehrssystem, das weitgehend treibstofflos funktioniert und vielleicht ein wenig Low-Tech wirkt, sich aber mehr nach Weltraum anfühlt als der in der SF übliche Raumschiff-Individualverkehr.

Genau der beginnt nun aber sein Haupt zu erheben. Der neuentwickelte tractor drive wird es möglich machen, Raumschiffe kostengünstig direkt von Ort zu Ort zu bringen, ohne den Umweg über die pipeline nehmen zu müssen. An einer Stelle wird dies mit der Eisenbahn verglichen, die die Erschließung Amerikas überhaupt erst möglich gemacht hat – um schließlich vom Individualverkehr auf der Straße in den Hintergrund gedrängt zu werden.

Die neuen und die alten Menschen

Der Umbruch würde die whirligigs natürlich obsolet machen. Darum müssen sich die junge Ich-Erzählerin Starling und ihre Großeltern, die auf einem solchen leben, dringend Gedanken um ihre Zukunft machen. Gampys Lösung liegt auf der Hand: Wir steigen um auf ein Raumschiff – aber wir bauen es selbst. Die drei wollen nämlich auf keinen Fall in die Abhängigkeit eines Konzerns geraten. Sie definieren sich als starsiders und betrachten die planetengebundenen dirtsiders, die in einer viel zu dicken "kulturellen Suppe" schwimmen, mit Argwohn.

An dieser Stelle sei auf ein witziges Paradoxon hingewiesen: Starsiders wie unsere drei Hauptfiguren sehen sich zwar als die neuen Menschen. Bei genauerer Betrachtung nehmen sie im Roman aber eine altgediente und eher umgekehrte Rolle ein, wie die folgende Passage illustriert: "Dirtside, people can afford luxuries like stupid and crazy and not caring. Dirtside you can walk around wrapped in belief and ignorance and unconsiousness. But starside, no. The universe has an instant response to stupid. Vacuum is the fastest teacher. You're only entitled to one fatal mistake." – Mit anderen Worten: Die Weltraumbewohner blicken mit exakt dem gleichen Argwohn auf die Zivilisation, mit dem Menschen, die "draußen, wo das Leben noch echt und gefährlich ist" schon immer auf das dekadente Treiben in den Städten geblickt haben. Eine Betrachtung von der heimatlichen Scholle, in dem Fall freischwebend im All ...

Oma hat die Idee

Aber zurück zur Handlung: Tragischerweise stirbt Gampy, ehe er seinen Plan umsetzen kann. Doch nun tritt Ganny mit einer genialen Idee in Aktion – eben ein Raumschiff zu "stricken". Kurz gesagt läuft diese auf eine materialsparende Leichtbauweise aus Graphen und Kunststoff-Mikrofasern hinaus, die durch Rotation in eine quasi-feste Form gebracht wird. Wie das im Detail aussieht, sollte aber jeder selber lesen.

Denn die besagten warm equations, nach denen Ganny und Starling ihre Konstruktion ausrichten, nehmen nicht nur einen großen Teil der Handlung ein, sie sind im Prinzip die Handlung. Es gibt zwar einen Subplot um Starlings E-Mail-Freundschaft mit einem Erdenbewohner, der möglicherweise ein Catfish ist. Im Zentrum des Romans steht aber stets die mitreißende Idee: Stell dir vor, wir bauen ein Raumschiff!

Die Mischung aus jugendlichem Optimismus, dem Glauben an technische Machbarkeit und der Haltung "Wir zeigen's denen da oben" (oder in dem Fall: da unten) hat "Ganny Knits a Spaceship" Vergleiche mit Werken des jungen Robert A. Heinlein eingebracht. Als ähnliches Beispiel aus jüngerer Zeit könnte einem auch John Varleys "Roter Donner" in den Sinn kommen, auch wenn dessen SF weniger "hard" war. Es ist ein bisschen, als würde man an einem Brainstorming teilnehmen – und zwar keines, das einem aufgezwungen wurde, sondern eines, von dem man sich tatsächlich gerne mitreißen lässt.