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19 Jahre ist es mittlerweile her, dass der US-Amerikaner Paul Tremblay seine erste Kurzgeschichte verfasst hat. Seitdem hat er sich im Horror-Genre kontinuierlich nach oben gearbeitet, um schließlich zu einem von dessen bedeutendsten Vertretern zu werden. Den vorläufigen Höhepunkt seines bisherigen Aufstiegs bildete der Erfolg seines jüngsten Werks "The Cabin at the End of the World", ein zu Recht preisgekrönter Bestseller, der vielleicht bald verfilmt wird. Und das alles dank zweier Mittel, die im Prinzip ganz simpel sind, aber halt nicht jedem zur Verfügung stehen: Sprachbeherrschung und eine beklemmende Grundidee.

Der Anfang vom Ende

Klassischer könnte das Grundmotiv übrigens kaum sein – die bedrohte Kernfamilie. Auch wenn im Horrorbereich heutzutage recht häufig ein bisschen nachgeholfen werden muss, damit solch ein klassischer Plot noch funktionieren kann. Mit dem einen oder anderen Trick werden prä-digitale Zustände wiederhergestellt, weil sonst der Angstfaktor Abgeschiedenheit nicht greift. Heißt im Fall von "Das Haus am Ende der Welt": Schauplatz ist eine Ferienhütte in New Hampshire, natürlich ohne Handyempfang.

Akademiker Andrew und Marktanalytiker Eric haben sich mit ihrer siebenjährigen Adoptivtochter Wen in diese Hütte zurückgezogen, um endlich mal eine Zeitlang Ruhe zu haben. Doch leider wird das Idyll schon bald gestört. Ein hünenhafter junger Mann, Leonard mit Namen, kommt aus dem Wald gestapft und verwickelt die draußen spielende Wen in ein Gespräch. Das wirkt anfangs noch harmlos, wendet sich aber zunehmend ins Beunruhigende: "Nichts von dem, was passieren wird, ist deine Schuld. Du hast nichts falsch gemacht, aber ihr drei habt ein paar schwere Entscheidungen vor euch. Grässliche Entscheidungen, fürchte ich", teilt Leonard Wen mit. Und ergänzt es mit der ominösen Anmerkung, dass sie "das Wichtigste, was es je in der Weltgeschichte gegeben hat" zu erledigen hätten.

Wen packt spätestens dann die Angst, als drei weitere Fremde – wir werden sie als Sabrina, Adriane und Redmond kennenlernen – dazustoßen, die bizarre selbstgebastelte Schlagwaffen tragen, als kämen sie frisch aus der Zombie-Apokalypse. Verständlich, dass sämtliche Beteuerungen der vier, sie wollten ihnen nichts Böses, bei Wen und ihren Papas nicht fruchten. Sie verbarrikadieren sich in ihrer Ferienhütte, die Hütte wird belagert, aus der Belagerung wird eine Home-Invasion, und die mündet in Gewalt. Doch damit beginnt der Schrecken erst.

Die unmögliche Wahl

An Stühle gefesselt, werden Eric und Andrew nun mit Leonards Anliegen konfrontiert: Er und seine drei Gefährten, die einander angeblich gerade erst kennengelernt haben, hätten in Visionen von der bevorstehenden Apokalypse erfahren. Es gebe nur einen Weg, um das Ende der Menschheit abzuwenden: Einer der drei – Eric, Andrew oder auch Wen – müsse sein Leben opfern. Und sie selbst sollen entscheiden, wen es trifft.

Der psychologische Horror, der daraus entspringt, vor eine derart unmögliche Wahl gestellt zu werden, ist einer der Grundpfeiler des Romans. Dazu kommt, dass die Gefangenen in eine atemberaubende kognitive Dissonanz versetzt werden. Die Eindringlinge schrecken offensichtlich nicht vor Brutalität zurück – geben sich zugleich aber stets höflich und entschuldigend ("Wir haben keine Wahl."), fegen die Hütte auf und machen für alle Abendessen. Und dann sagt Wortführer Leonard wieder etwas, das an Zynismus nicht zu überbieten scheint: "Diese Wahl ist ein Geschenk. Nicht alle Geschenke sind leicht anzunehmen." Und das Schlimmste daran ist: Er scheint es nicht zynisch zu meinen, sondern ehrlich.

Gewalt und Zweifel

Auch körperliche Gewalt wird nicht ausbleiben – und stets wird sie in Form schockierend plötzlicher Ausbrüche kommen, die dank der Erzählweise im Präsens wie in adrenalingetränkter Zeitlupe abzulaufen scheinen. Keiner der Beteiligten – auch nicht die vier Eindringlinge – ist in Gewaltanwendung geübt; umso grässlicher fallen die Resultate ihres Ungeschicks aus. Nüchtern betrachtet muss man einigen Romankapiteln beträchtlichen Gore-Faktor zuschreiben. Nur allzu leicht ließe sich daraus eine etwaige Verfilmung im Folterporno-Stil der 2000er Jahre machen – was aber schade wäre, weil es der Erzählung nicht gerecht würde.

Als letzter Gänsehautfaktor baut sich schließlich ein nagender Zweifel auf: Und was ist, wenn an der Geschichte wirklich was dran ist? Tremblay streut sehr geschickt einige Indizien dafür ein, dass tatsächlich übernatürliche Kräfte am Wirken sein könnten – die ließen sich aber genauso gut ganz rational erklären. Die bange Frage: Bleiben Eric und Andrew dabei, das Anliegen der Eindringlinge kategorisch als religiöse Spinnerei abzutun, oder wird zumindest einer von ihnen noch umschwenken?

Die religiöse Seite

Immerhin: Beispiellos wäre eine Forderung wie die im Roman erhobene mit Blick auf die Bibel nicht – denken wir an Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern sollte ... und das auch getan hätte, wäre nicht rechtzeitig ein Engel eingeschwebt, um Jahwes ursprüngliche Bestellung zu stornieren. Noch zynischer fand ich allerdings immer die Geschichte von Hiob, dem zehn Kinder abgekragelt werden – aber weil er danach immer noch gottestreu ist, bekommt er zur Wiedergutmachung halt zehn neue. Ich habe mich immer gefragt, was wohl die Originalkinder zu dem Deal gerne gesagt hätten ...

Wie viele andere Rezensenten schreibe nun auch ich, dass es kaum möglich ist, das Buch aus der Hand zu legen, ehe man weiß, wie die Entscheidung fallen wird. Klingt abgelutscht, aber wenn's nun mal stimmt! Der Schluss, so viel kann man verraten, scheidet die Geister und hat manche Leser geradezu empört – während es für mich persönlich der einzig denkbare Ausgang ist. So unterschiedlich kann man die Dinge sehen. Was auch die eine Frage so spannend macht, die die ganze Zeit über wie ein bedrohlicher Schatten über der Lektüre hängt: Und wie würdest du dich entscheiden?