Auf sie mit Gebrüll! Hunderttausende Radler beleben die schöne Tradition des Kavallerieangriffs auf beängstigende Weise neu.

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Es bedarf rauchfarbener Augusttage, um festzustellen, wie sportlich den Österreichern den ganzen Sommer über zumute ist. Auf den Straßen unseres ruhig, weil interimistisch regierten Landes strampeln ehrwürdige Greise zu Hunderten in die Pedale. Die Sehnigkeit ihrer Leiber wetteifert mit dem Ausdruck der Verzweiflung, der ihre Mienen – für sie selber unkenntlich – verfinstert.

Besonders verwunderlich muss jedem Laien das Outfit dieser gnadenlos Ertüchtigten erscheinen. Knallbunte Radlerhosen spannen sich über knochendürre Gesäße. Helme, deren durchbrochene Struktur den sparsamen Gebrauch von Kunststoff nahelegt (Greta Thunberg dankt!), erinnern an den Stolz verflossener kavalleristischer Tage. Etwas von der legendären Schneidigkeit der k. u. k. Dragoner ist auch auf unsere Eddy-Merckx-Jünger übergegangen. Heroisch ist so ein Leben hoch zu Fahrrad!

Unbändige Lust

Der Friedenswille unserer kartoffelkäfergelben Gangschalter wird nicht bestritten. An das Wirken berittener Streitkräfte erinnert jedoch unwillkürlich die unbändige Lust, mit der sich die Mountainbiker von den tiefschwarzen Anhöhen des Wienerwalds hinab ins Tal stürzen.

Kein Kupferharnisch blinkt. Auch funkelt durch das Gebüsch kein blanker Säbel. Kein Hufgetrappel, nirgends. Nur ein ohrenbetäubendes Schotterknirschen zeigt das Nahen eines solchen Berittenen der Forststraße an. Hat man sich mit dem angeleinten Hund rechtzeitig ins Dickicht gerettet, so sind endlich Zeit und Gelegenheit gekommen, Grußformeln austauschen. "Servas!", röhrt es aus erhitztem Radlermunde. "Du mich auch!", entfährt es dem geängstigten Spaziergänger.

Beschauliche Zeit

In den seligen Jahren der Kreisky-Ära ging es für uns Babyboomer im Ganzen beschaulicher zu. Das bisschen Fitness, dessen man bedurfte, um durch den Alltag zu kommen, erwirtschaftete man an einem der zahlreichen "Fit-Wandertage". Die Teilnahme an einer dieser Orgien des flachländischen Breitensports wurde ordnungsgemäß mit Medaille und Urkunde zertifiziert. Umso stolzer war man hernach, als es endlich Zeit geworden war, sich mit Ausdauer und Kraft dem Verzehr einer borstenhaarigen Stelze zu widmen. (Ronald Pohl, 28.8.2019)