Foto: Fischer Tor

Noch heuer soll auf Netflix die Serie "V-Wars" anlaufen, gewissermaßen das neue "The Strain". Es geht darin um ein prähistorisches Virus, das die Junk-DNA genetisch prädisponierter Menschen aktiviert und sie in Vampire verwandelt. Wobei das V-Wort in diesem Fall sehr großzügig interpretiert wird: Je nach ethnischer Abstammung mutieren die Menschen nämlich in so ziemlich alles, was Blutsaugerei oder Menschenfresserei auf dem Diätplan stehen haben könnte, vom südosteuropäischen Vrykolaka bis zum chinesischen Jiang Shi.

Und die unterscheiden sich auch alle in punkto Aussehen, Essgewohnheiten und allgemeiner sozialer Verträglichkeit, wie wir sehen werden. Das Ergebnis ist ein mythologisches Sammelsurium, in dem selbst Werwölfe und Oger auftauchen – Zentauren oder Nixen hingegen nicht, das Virus ist da doch etwas wählerisch.

Das F-Wort

Der Schöpfer des Ganzen, US-Autor Jonathan Maberry, ist ganz eindeutig jemand, der in Franchises denkt. Im Lauf des vergangenen Jahrzehnts hat er schon Tie-ins für "Akte X" geschrieben und an diversen Marvel-Reihen mitgearbeitet. Und auch seine Eigenschöpfung "V-Wars" war von Anfang an mehrgleisig angelegt. Im Original bei IDW – eigentlich ein Comic-Verlag – veröffentlicht, sind den Büchern bald Graphic Novels gefolgt (und auf Deutsch sogar früher erschienen als die bildlosen Bände). Die TV-Serie ist da nur der nächste logische Schritt.

Aber selbst im Inneren setzt sich die Mehrgleisigkeit fort. Denn schon dieser Band, mit dem einst im Jahr 2012 alles begonnen hat, ist als Shared Universe angelegt. Es handelt sich im Prinzip um eine Anthologie, an der neben Maberry noch Nancy Holder, John Everson, Yvonne Navarro, Keith R. A. DeCandido, Scott Nicholson, Gregory Frost und James A. Moore mitgeschrieben haben. Heißt: De facto haben sie alle Kurzgeschichten beigesteuert. Diese wurden aber portioniert und stückweise mit anderen verspreizt, um den Effekt paralleler Handlungsstränge zu simulieren: ein System, das wir schon aus George R. R. Martins "Wild Cards"-Reihe kennen.

Dramatis Vampyrae

Daraus ergibt sich logischerweise ein ausgesprochen umfangreiches Handlungspersonal. Da hätten wir etwa den zweitklassigen Schauspieler Michael Fayne, der in New York zum Patient Zero wird, nachdem er sich das Virus bei Dreharbeiten in Alaska eingefangen hat. Oder Undercover-Cop Mark Thompson, der in eine Biker-Gang eingeschleust wurde, die Jagd auf Vampire macht (es mit der Wahl ihrer Ziele aber nicht sonderlich genau nimmt). Oder die Talkshow-Moderatorin Danika Dubov, die aufgrund ihrer Abstammung zum Wurdulac wird ... was offenbar die demisexuelle Variante eines Vampirs ist. Soll heißen: So einer kann nur Menschen beißen, zu denen eine enge emotionale Beziehung besteht, sonst erigieren die Fangzähne nicht. Danika löst das Problem auf pragmatische Weise: mit Käfighaltung.

Nicht nur, dass fast alle Hauptfiguren dem Vampirismus anheimgefallen sind. Es fällt auch auf, dass die meisten von ihnen die Tendenz zeigen, abfällig über andere zu denken. Da wirkt es irgendwie einleuchtend, dass die TV-Serie auf den sympathischen Luther Swann fokussieren wird, der beides nicht tut. Von Beruf Folklore- und damit auch Vampir-Experte, taucht er im Buch nur als Nebenfigur in verschiedenen Erzählsträngen auf. Unermüdlich versucht er, dem eskalierenden Konflikt zwischen veränderten und unveränderten Menschen mit Ruhe und Vernunft entgegenzuwirken. Immerhin, so sein Mantra, denkt die Mehrheit der Neo-Vampire gar nicht daran, auf Menschenjagd zu gehen (zumindest soweit man weiß).

Definitiv keine Chronik

Die langsam auf einen Bürgerkrieg zusteuernde Eskalation gibt den roten Faden des Bands ab – oder zumindest soll sie das tun. Wie das unter vergleichbaren Bedingungen, aber mit einer durchdachteren Konstruktionsweise aussehen kann, hat einst der Roman "Roter Mond" gezeigt (nicht der Langweiler von Kim Stanley Robinson, sondern das Werwolf-Epos von Benjamin Percy). Damit kann Maberry leider nicht mithalten.

Während bei GRRMs "Wild Cards" die Mosaikstruktur tatsächlich einen Quasi-Roman ergibt, weil die Einzelteile chronologisch aneinandergereiht werden, bleibt sie in "V-Wars" halbgar. Es wird mehrfach vor und zurück in der Zeit gesprungen, was das Aufsplitten der einzelnen Geschichten letztlich sinnlos macht. Und Maberrys eigenem Beitrag – der in sechs Teile gehackten und über die ganze erste Hälfte des Buchs verteilten Kurzgeschichte "Schrott" – sogar schadet. Das Wort Schrott kehrt hier nämlich als Leitmotiv in wechselnden Kontexten wieder, was eine im Prinzip schöne Struktur schafft, die aber in der größeren des Gesamtbands komplett verloren geht.

Ein Kessel Buntes

Vielfältige – und einander mitunter widersprechende – Erscheinungsformen des Vampirismus sowie Wechsel zwischen Erzählung in Imperfekt und Präsens bzw. in erster und dritter Person tun ein übriges, damit "V-Wars" nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Zudem beschleicht einen bei mehr als nur einem Erzählstrang der Verdacht, dass hier eine bereits in der Schublade schlummernde Erzählung nachträglich auf "V-Wars" getrimmt wurde.

Besonders deutlich wird dies bei James A. Moores Beitrag, dem zweigeteilten "Wo ist Anna Lei?". In dieser Geschichte, einer der unterhaltsameren übrigens, setzt sich ein eher an einen X-Man denn an einen Vampir erinnernder Mutant auf die Spur seiner Schwester, die von einem Monster entführt worden sein soll. Eine prototypische Urban-Fantasy-Geschichte, erzählt mit genretypischer – und vom Rest der Beiträge stark abweichender – Ironie. Liest sich fast wie ein "Ätsch!" Moores an seinen Auftraggeber Maberry, wenn er seinen Protagonisten sagen lässt: "Ist schließlich meine Geschichte, und ich erzähle sie so, wie es mir passt."

Was mich an diesem Buch am meisten überrascht hat, ist der Umstand, dass es tatsächlich der Grundstein der "V-Wars"-Reihe war. Denn eigentlich liest es sich wie der typische Fall eines "Geschichten aus dem XY-Universum"-Bands, der einem etablierten Franchise als Ergänzung für Hardcore-Fans nachgeschoben wird. Fassen wir's kurz: Wer sich aufgrund der Titelähnlichkeit die Vampirversion von "World War Z" erwartet – das ist "V-Wars" eindeutig nicht. Auch kein Roman und keine Chronik. Es ist eine Sammlung von Kurzgeschichten zum Generalthema Vampire und als solche angemessen unterhaltsame Sommerlektüre. Abschließend noch eine Empfehlung: Auf die Kapiteleinteilung pfeifen und die einzelnen Handlungsstränge jeweils in einem durchlesen, da hat man mehr von ihnen.