Im Oktober 1945, nur wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs, führten Ermittler des War Crimes Investigating Team No. 3 der britischen Armee Untersuchungen zu potenziellen Kriegsverbrechen in Österreich durch. Sie stießen rasch auf Hinweise einer spezifischen Form von solchen: Mehrere Zeugenaussagen bestätigten die Ermordung eines alliierten Fliegerpiloten im April 1945 nahe Linz.

Weiterführende Recherchen der Briten ergaben, dass es sich bei dem Opfer um einen Angehörigen der US Army Air Force (USAAF) handeln musste, weswegen der Fall an die in Linz tätige Abteilung des US Counter Intelligence Corps übergeben wurde. Von dort zog der Fall weitere Kreise bis an die War Crimes Branch des US-Kriegsministeriums, die einige Monate später die Ermittlungen aufnahm.

An Laternenpfahl aufgehängt

Die Suche nach Zeuginnen und Zeugen und Hinweisen begann, die schließlich zur Entdeckung der sterblichen Überreste des Opfers führte: Es handelte sich um den P-51-Piloten Walter P. Manning, der am 1. April 1945 nach einem Luftkampf mit seiner Maschine in der Nähe von Kematen an der Krems abgestürzt war. Manning, Angehöriger der rein afroamerikanischen "Tuskegee-Airmen", war von Soldaten der örtlichen Nachrichtenabteilung und Angehörigen der Gendarmerie und der deutschen Luftwaffe gefangen genommen und schließlich an die Fliegerhorstkommandantur Hörsching bei Linz übergeben worden.

Der US-Jagdflieger Walter Manning, ermordet am 3./4. April 1945 in Linz-Hörsching.
Foto: Jerry Whiting
B-24-Bomber in starkem Beschuss durch Flak über Wien im Jahr 1945.
Foto: NARA

Dort war er in der Nacht vom 3. auf den 4. April 1945 von Unbekannten aus seiner Gefängniszelle geholt, schwer misshandelt und, in einem Akt von Lynchjustiz, an einem Laternenpfahl aufgehängt worden. Wer dazu den Befehl gegeben hatte, konnte von den US-Ermittlern nicht festgestellt werden. Auch die Suche nach den Täterinnen und Tätern und Beweisen blieb letztendlich erfolglos, sodass der Fall zu den Akten gelegt wurde. Dass Manning afroamerikanischer Herkunft war, mag zur ausbleibenden Weiterverfolgung des Falles durch die US-Behörden beigetragen haben.

Eigene Kriegsgefangenenlager der Luftwaffe

Der "Fall Manning" war kein Einzelfall: Der Luftraum über den damaligen Alpen- und Donau-Reichsgauen hatte sich zum Kriegsschauplatz entwickelt, auf dem allein die USA zwischen 1943 und 1945 weit über 500 Flugzeuge mit insgesamt mehr als 5.000 Besatzungsangehörigen verloren hatten.

US-Bomber über Salzburg im Oktober 1944.
Foto: NARA
Gefangennahme von zwei Besatzungsmitgliedern eines US-Bombers nahe Schwechat am 12. April 1944.
Foto: Markus Reisner

Viele Piloten und Besatzungsmitglieder kamen beim Absturz ihrer durch Flaktreffer oder Bombenexplosionen beschädigten B-24- oder B-17-Maschinen ums Leben. Ein Großteil wurde am Boden gefangen genommen und zum nächstgelegenen Stützpunkt der deutschen Luftwaffe gebracht, die sie zuerst ins "Durchgangslager Luftwaffe" ("Dulag Luft") in Frankfurt am Main überstellte. Von dort wurden die Besatzungsmitglieder, je nach Dienstgrad, in eigene Luftwaffen-Kriegsgefangenenlager im Deutschen Reich aufgeteilt.

NS-Propaganda rief zu Lynchmorden auf

Einigen wenigen gelang zwar, vereinzelt mithilfe der lokalen Bevölkerung, die Flucht. Eine nicht zu unterschätzende Anzahl der alliierten Flieger fiel aber, wie auch Manning, Verbrechen zum Opfer. Weil das NS-Regime ab 1943 den alliierten Luftangriffen militärisch nichts mehr entgegenzusetzen hatte, griff Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels zu anderen Maßnahmen: Er ließ alliierte Flugzeugbesatzungen als "Terrorflieger" oder "Luftgangster" betiteln, um ab Juni 1944 schließlich zur sogenannten "Fliegerlynchjustiz" aufzurufen. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, "Rache" an den abgestürzten Flugzeugbesatzungen zu nehmen. So waren alliierte Flugzeugbesatzungen besonders in der Phase zwischen Gefangennahme und Überstellung an die deutsche Luftwaffe in akuter Lebensgefahr.

Dienstausweise von US-Fliegern, die über dem heutigen Österreich abstürzten. Die Maschine des Piloten Van Nortwick kam am 25. Februar 1944 bei Saalfelden zum Absturz. Die gesamte Crew überlebte den Krieg.
Foto: NARA
Grab eines unbekannten Piloten.
Foto: NARA

Vielen widerfuhren in ihrer Kriegsgefangenschaft regelrechte Gewaltexzesse, die fast immer tödlich endeten und nach Kriegsende weitgehend in Vergessenheit gerieten beziehungsweise totgeschwiegen wurden. Alleine im heutigen Österreich fielen nachweislich weit über 100 US-Fliegerpiloten dieser Gewalt zum Opfer. Von 200 weiteren fehlt bis heute jede Spur. (Nicole-Melanie Goll, 28.8.2019)