Gut einen Monat nach der knappen Wahl von Ursula von der Leyen zur Präsidentin der EU-Kommission (mit nur zehn Stimmen Überhang im Parlament in Straßburg) startete diese nun mit der konkreten Zusammenstellung ihres Teams für die kommenden fünf Jahre.

Ursula von der Leyen liest, hört zu, sondiert, entscheidet.
Foto: FREDERICK FLORIN / AFP

Bis Montagmitternacht mussten die Regierungen der Mitgliedstaaten ihre jeweiligen Kandidatinnen und Kandidaten für einen der 27 Topposten neben der Präsidentin in der Kommission vorschlagen. Wer für welches Dossier zuständig ist, darüber gibt es eine Abstimmung mit den Hauptstädten. Aber von der Leyen hat notfalls ein Letztentscheidungsrecht.

Entscheidungen gegen den Willen der einen oder anderen nationalen Regierung werden aller Voraussicht nach auch nötig sein. Denn wie das Nachrichtenportal Politico am Dienstag berichtete, haben drei der vier großen EU-Staaten bisher nicht nominiert: Frankreich, Italien und Großbritannien.

Politikum Brexit

Die Briten wollen wegen des für 31. Oktober geplanten Brexits überhaupt darauf verzichten, einen neuen Kandidaten nach Brüssel zu schicken, wollen vorläufig an Julian King festhalten. Präsident Emmanuel Macron in Paris lässt sich Zeit – und taktiert weiter. Italien ist wegen der aktuellen Regierungs krise in Rom verhindert.

Erfahrungsgemäß werden die großen, einflussreichen Staaten mit mächtigen Kommissarsposten bedient, sodass die Verteilung der Jobs derzeit kompliziert ist. Aber von der Leyen soll zumindest in einem Fall schon eine wichtige Entscheidung getroffen haben.

Der nächste Agrarkommissar dürfte aus Polen kommen. Das ist bemerkenswert, weil die Vergabe von Agrarsubventionen aus den EU-Töpfen für Warschau besonders relevant ist. An sich ist Stillschweigen vereinbart, aber der von der polnischen Regierung im Juli nominierte Kandidat Krzysztof Szczerski gab bekannt, dass er zurückziehe, weil es "jemand werden sollte, der sein Leben mit Agrarpolitik verbracht hat".

Neuer Favorit ist nun der frühere EU-Abgeordnete im Agrarausschuss und Mitglied im EU-Rechnungshof, Janusz Wojciechowski.

Da bei solchen Entscheidungen immer auch politische Deals gemacht werden, kann man davon ausgehen, dass von der Leyen sich im Gegenzug mehr Wohlverhalten der Regierung in Warschau in Grundrechtsfragen erwartet.

Österreich hat bekanntlich den für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik zuständigen Johannes Hahn erneut nominiert. Er möchte sein Dossier gerne behalten. Ob das so kommt, ist offen. Alle Kommissarskandidaten müssen sich vor einer Bestätigung übrigens einer Anhörung in den Ausschüssen des EU-Parlaments stellen. Fix ist dabei nichts.

Drei Frauen gesucht

Denn die bisherigen nationalen Nominierungen haben auch den Nachteil, dass zu wenige weibliche Kandidaten angemeldet wurden. Von der Leyen hat den EU-Abgeordneten versprochen, dass sie in der Kommission Geschlechterparität erreichen möchte. Unter 25 Nominierten sind aber nur zehn Frauen. Die Präsidentin könnte also von der einen oder anderen Regierung neue Kandidaten anfordern und eine Nachnominierung einer Frau mit einem bedeutenden Kommissarsamt "belohnen".

Was nun Italien betrifft, wird die Präsidentin vor allem darauf achten, dass die neue Regierung einen Kandidaten oder eine Kandidatin nennt, der oder die unbestritten proeuropäisch ist. Im Gespräch ist der angesehene frühere Finanzminister Pier Carlo Padoan, sollten sich Sozialdemokraten und Fünf-Sterne-Bewegung auf eine gemeinsame Regierung einigen und die Lega leer ausgehen. Oder der erfahrene EU-Abgeordnete Roberto Gualtieri wechselt in die Kommission.

Großes Rätselraten bestand darüber, wie Frankreich seine Inter essen durchsetzen kann. Macron war nach der EU-Wahl nicht nur der Königinnenmacher bei von der Leyen; IWF-Chefin Christine Lagarde, eine Französin, ist als Nachfolgerin von Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank designiert. Paris möchte ein Finanzdossier. (Thomas Mayer, 27.8.2019)