Infoshow auf dem ukrainischen News-Kanal ZIK nach der Übernahme durch den prorussischen Oligarchen Taras Kosak. 400 Mitarbeiter kündigten damals geschlossen.

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"Ich glaube, dass der Journalismus in der Ukraine heute mehr in Gefahr ist als je zuvor, vielleicht mehr als vor 2013": Tetjana Wergeles.

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Sieben Wochen vor der ukrainischen Parlamentswahl übernahm ein Oligarch mit eindeutigen Interessen den TV-Sender ZIK, zugleich Nachrichtenplattform, mit Sitz in Kiew und Lemberg in der Westukraine: Taras Kosak, der in der Ukraine schon zwei Fernsehsender auf klar prorussischem Kurs steuert. Kosak ist ein enger Vertrauter von Wiktor Medwedtschuk, Anführer der prorussischen Oppositionellen Plattform, seit der Wahl am 21. Juli zweitstärkste Fraktion.

Mit Kosaks Übernahme im Juni kündigte praktisch das komplette Personal des Medienhauses, rund 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ihre Chefredakteurin war Tetjana Wergeles (59). Sie beschreibt ZIK im Interview mit dem STANDARD bis zur Übernahme als "klar proukrainisch" und "prostaatlich". "Unsere Zuschauer waren ukrainisch, patriotisch, aber zugleich nicht radikal proeuropäisch."

Den Staat untergraben

Oligarch Kosak wollte mit der Übernahme die proukrainischen Wähler erreichen, vermutet Wergeles. Mit dem Sender News One spreche er "weniger gebildete Gesellschaftsschichten an. Dort laufen vor allem Serien und Unterhaltungssendungen, während in den Talkshows prorussische Propaganda verbreitet wird." Der Sender 112 solle ebenfalls die Eigenstaatlichkeit der Ukraine untergraben. Dieser richte sich aber mehr an Intellektuelle.

Mit dem Abgang praktisch der gesamten Mannschaft habe Kosak "nur eine Hülle" gekauft. Er verlor damit zwar das gesamte kreative Team und die wichtigsten Journalisten, die ZIK ausgemacht hätten, sagt Wergeles. Doch sie sah unter dem neuen Eigentümer keine Chance, weiter nach ihren journalistischen Ansprüchen zu arbeiten – "sonst wäre ich geblieben".

Wergeles: "Es gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten kann. Ich kann den russisch-ukrainischen Krieg keinen zivilen Konflikt nennen. Ich kann nicht sagen, dass die ukrainische Sprache im Staat unmöglich ist. Ich kann die Erinnerung an Tausende, die an der Front gestorben sind, nicht verraten."

Kollektive Kündigung

Die kollektive Kündigung von hunderten Journalisten und Mitarbeitern habe der Übernahme viel Aufmerksamkeit verschafft. Sie appellierten Anfang Juli in einer gemeinsamen Erklärung an Regierung und Behörden, prorussische Propaganda über ukrainische TV-Kanäle zu unterbinden und die russische Okkupation der Medienlandschaft zu stoppen.

STANDARD: Wie würden Sie die Lage des Journalismus in der Ukraine beschreiben?

Wergeles: Leider hat sich ein oligarchisches System herausgebildet, das die Massenmedien diktiert. Hinter fast jedem Medium steht ein Oligarch. Vor dem Krieg stand der Journalismus auf der Kippe, Werte wurden schwammig, es gab viel gekaufte Inhalte und zu viele Kompromisse. Journalismus spielt, wie auch die Zivilgesellschaft, eine Schlüsselrolle in einem demokratischen System. Aber die Mission des Journalismus ist unter diesen Voraussetzungen sehr schwer zu erfüllen. Zuerst muss der politische Wille der Entscheidungsträger da sein, damit alle staatlichen Institutionen in demokratischen Koordinaten arbeiten. Ich glaube, dass der Journalismus heute mehr in Gefahr ist als je zuvor, vielleicht sogar mehr als vor dem Jahr 2013.

STANDARD: Aber auch ZIK gehörte zuvor dem Oligarchen Petro Dyminskyj, der auch Mitglied der Partei der Regionen von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch war.

Wergeles: Dyminskyj ist eine komplizierte Persönlichkeit. Er unterstützte auch "Unsere Ukraine" unter Wiktor Juschtschenko und die Orange Revolution von 2004 aktiv. Er griff in meinen 13 Jahren bei ZIK nie in unsere Arbeit ein. Ich kann nur spekulieren, warum er das nicht tat. Vielleicht verstand er nicht, wie einflussreich die Seite war.

STANDARD: Wo sehen Sie den Journalismus in der Ukraine konkret in Gefahr?

Wergeles: Ein Beispiel wäre, wie ZIK mit Protesten gegen die Kandidatur eines prorussischen Bloggers und eines Mannes umging, der wegen Verbrechen im Zuge der Maidan-Revolution 2014 auf der Fahndungsliste steht. Der Chefredakteur von ZIK Kiew trat zurück, weil die Senderführung ihm untersagte, Bilder von den Protesten zu zeigen. Als Talkshowgäste über die Proteste sprachen, stürmte sein Vorgesetzter praktisch die Sendung und beendete die Aufzeichnung. Auf der Webseite von ZIK sieht man heute schamlos bezahlten Journalismus, Artikel ohne Autorennamen und mit verdrehten Fakten.

STANDARD: Wie wird sich der Medienmarkt unter der neuen Regierung verändern?

Wergeles: Das Gesetz verbietet einflussreichen Personen oder politischen Parteien nicht, Medienimperien gründen und somit große politische Macht auszuüben. Angesichts der ukrainischen Realitäten werden die neuen politischen Machthaber versucht sein, auch die ukrainische Informationslandschaft unter Kontrolle zu bringen. Zudem gehören drei landesweite Fernsehsender einem engen Vertrauten von Wiktor Medwedtschuk, also der prorussischen Oppositionsplattform. Wir brauchen ein Gesetz, um die Aktivitäten von monopolistischen Medienunternehmen zu regulieren. Es hängt vom politischen Willen der neuen Machthaber ab, solche Gesetze zu verabschieden. Aber werden sie den Ast abschneiden, auf dem sie sitzen? Präsident Wolodymyr Selenskyjs regierende Partei "Diener des Volkes" soll Gesetzesentwürfe zur Entmonopolisierung des Medienmarktes vorbereiten. Als optimistischstes Szenario sehe ich eine durch die Regierung finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt als unabhängige Informationsquelle. (Laura Anninger, 28.8.2019)