Mit dem Abschluss des Treffens der Staats- Regierungschefs der G7-Staaten in Biarritz endete die politische Sommerpause in der Europäischen Union. Die Bürger können nur hoffen, dass ihre politischen Anführer in den Regierungen die Wochen der Erholung gut genützt haben, um sich zu entspannen, Kraft zu tanken.

Diese werden gute Nerven für weise Entscheidungen brauchen bei dem, was uns allen im "heißen Herbst" der Union ins Haus steht. Nicht nur die Klimakrise spitzt sich gefährlich zu. Auch das politische Klima ist global gesehen miserabel, siehe Konflikte und Zunahme autoritären Denkens in China, den USA, Russland, Iran. Es droht eine Rezession der Wirtschaft.

Der EU-Austritt der Briten steht Ende Oktober bevor. Und im Streit um die Einhaltung von Rechtsstaat und Grundrechten bzw. deren Verletzung durch Ungarn und Polen zeichnet sich keine Entspannung ab. Kurz: Die Unsicherheit nimmt zu – als wären die Herausforderungen für Gesellschaft, soziales Leben und Staat durch den technologischen und digitalen Wandel noch nicht Belastung genug.

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Der britische Premier Boris Johnson am G7-Gipfel in Biarritz.
Foto: REUTERS/Dylan Martinez

Das alles wiederum befeuert den Ruf nach mehr Sicherheit, nach schärferen Regeln und Gesetzen, nach Grenzen und Kontrollen, nach Eingriffen durch den Staat und seine Sicherheitsorgane – bis hin zum übermächtigen Zugriff nach Daten der Bürger.

Leichtes Spiel für Populisten

Da man den übergeordneten gemeinsamen Institutionen nicht so traut wie dem schon länger vertrauten Nationalstaat, haben radikale Populisten und nationale Politiker leichtes Spiel. Das alles geht im Gegenzug auf Kosten der Freiheit, zulasten des liberalen Rechtsstaates. Grundwerte und Grundrechte werden von den Illiberalen skrupellos infrage gestellt.

Was das bedeutet, wird beim Forum Alpbach unter dem Übertitel "Freiheit und Sicherheit" gerade auf beeindruckende Weise debattiert. Fächerübergreifend führen Forscher, Politiker, Wirtschafter, sehr viele Studierende und Künstler dort gerade vor, wie all diese Phänomene zusammenhängen. Und sie kommen zu einem relativ eindeutigen Befund: Je mehr das allzu lockere Herabwürdigen von Demokratie und offener Gesellschaft auf die leichte Schulter genommen wird, desto mehr werden die Bürger – und generell die Freiheit – eingeschränkt. Bricht man das Abstrakte auf das reale Geschehen um, zeigt sich bald, welche Folgen das haben könnte. Die Soziologin Katy Hayward von der Queen's University Belfast zeigte, dass ein Preis des Chaos-Brexits nicht bloß der Wirtschaftsrückschlag sei: Es gebe – kaum beachtet – klare Anzeichen für eine neue Gewaltwelle auf der irischen Insel.

Oder: Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann gab unumwunden zu, dass seine Grenzkontrollen mitten in Europa noch lange bleiben werden.

Es sieht ganz so aus, als bewege sich das gemeinsame Europa 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 rückwärts, nicht nur in Osteuropa. Der größte Erfolg der Öffnung – die Freiheit – steht leichtfertig auf dem Spiel.

Die Lage erinnert an einen Hit von Georg Danzer: Er singt von einem Zoobesuch eines Mannes, der ein sehr wildes, seltenes Tier anschauen will. Aber als er in den Käfig reinschaut, ist dieser leer. Der Wärter klärt ihn auf: "Die Freiheit ist ein wundersames Tier / Und manche Menschen haben Angst vor ihr / Doch hinter Gitterstäben geht sie ein / Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein." So könnte es dem gemeinsamen Europa gehen, wenn wir nicht um sie kämpfen. (Thomas Mayer, 28.8.2019)