Wann ist ein Fußballverein kein Dorfclub mehr?

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Wien – Rainer Pariasek bekam die Retourkutsche stante pede. Der ORF-Moderator sprach bei der Auslosung der zweiten Runde des ÖFB-Cups von einem "echten Dorfderby", nachdem das Los den RZ Pellets Wolfsberger AC und den ATSV Wolfsberg zusammengeführt hatte.

Pariaseks bissige Bemerkung schien einen Nerv getroffen zu haben, denn das Social-Media-Team des Fußball-Bundesligisten WAC ließ unter großem Beifall wissen, dass Wolfsberg kein Dorf sei, sondern eine 25.000 Einwohner zählende Stadt. Bezirkshauptstadt sogar.

Mit 24.998 Einwohnern ist Wolfsberg tatsächlich die achtzehntgrößte von rund 2.100 Gemeinden im Land, und dass dort herzeigbarer Fußball gespielt wird, hat sich herumgesprochen.

Mödlinger Achtligafußball

Aber hängt die Einwohnerzahl eines Ortes überhaupt mit der Klasse seiner Fußballvereine zusammen? Man könnte es annehmen. Die städtische Infrastruktur, das Zuschauer- und Einnahmenpotenzial sowie die Wertschätzung, die potenzielle Sponsoren und Förderer dem Standort beimessen, sollten in größeren Städten durchwegs höher sein als im Dorf.

Doch lassen wir die Zahlen sprechen. Wir haben für die folgende Karte die 86 österreichischen Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern herangezogen und farblich nach der Spielklasse des bestplatzierten dort beheimateten Vereins markiert. Die Größe der Quadrate steht für die Einwohnerzahl der Gemeinden.

In Österreichs drei größten Städten, jenen mit mehr als 200.000 Einwohnern, gibt es Bundesligafußball: in Wien mit FK Austria Wien und SK Rapid Wien, in Graz mit SK Puntigamer Sturm Graz und in Linz mit dem LASK. So weit keine Überraschung.

In den drei nächstgrößeren Städten zwischen 100.000 und 200.000 Einwohnern ist immerhin noch Zweitligafußball zu sehen: in Innsbruck mit FC Wacker Innsbruck, in Klagenfurt mit SK Austria Klagenfurt und de facto auch in Salzburg. Beim höchstklassigen Klub, der laut Vereinsregister in der Stadt Salzburg gemeldet ist, handelt es sich um den FC Liefering, den Farmklub des Serienmeisters FC Red Bull Salzburg. Der Mutterklub selbst ist im eigenständigen Vorort Wals-Siezenheim registriert.

Nicht signifikanter Mittelstadtfußball

In den zwanzig sogenannten Mittelstädten mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern weicht sich das Argument des exklusiv guten Fußballs in der großen Stadt bereits auf, und der Zusammenhang ist nicht mehr statistisch signifikant. Schon in der einwohnerreichsten dieser Gemeinden, Villach mit rund 62.000 Bewohnern, begibt man sich auf den Plätzen der stärksten Teams, ESV ASKÖ Admira Villach und Landskroner SC, hinab auf Fünftliganiveau.

Duell zweier Mittelstadtvereine im vergangenen Herbstdurchgang: St. Pöltens René Gartler (gelb-blau) gegen Wolfsbergs Lukas Schmitz und Alexander Kofler.
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Zwei weitere Mittelstädte sind Heimat von Bundesligisten (St. Pölten, Wolfsberg), fünf von Zweitligisten (Dornbirn, Steyr, Amstetten, Lustenau, Kapfenberg), drei von Regionalligisten (Wels, Wiener Neustadt, Bregenz) und vier von viertklassigen Landesligisten (Feldkirch, Krems, Leoben, Hallein).

Neben Villach gibt es mit Traun noch eine weitere Fünftligastadt und mit Leonding, Klosterneuburg und Baden drei Sechstligastädte. Der VfB Mödling dümpelt als bestplatzierter Klub der kleinsten Mittelstadt (20.570 Einwohner) gar nur in der achthöchsten und damit tiefsten niederösterreichischen Liga herum. (Wer auf Mödlinger Gemeindegebiet nach dem FC Flyeralarm Admira Wacker Mödling sucht, wird dort trotz des Vereinsnamens nicht fündig. Der ist im Sportzentrum Südstadt in der Nachbargemeinde Maria Enzersdorf beheimatet.)

Berechtigtes Aber

Bleiben sechzig weitere Städte und Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern. Bis auf die annähernde Absenz von Profivereinen – bloß Wals-Siezenheim (FC Red Bull Salzburg) als Erst- und Ried (SV Guntamatic Ried) als Zweitligastandort halten die Stellung – sind sie bunt durchmischt. Ob man in einer dieser Kleinstädte drittklassigen Regionalliga- oder achtklassigen "Schutzliga"-Fußball zu sehen bekommt, folgt keinerlei Korrelation mehr.

Nur ein Ausreißer fällt auf: Groß-Enzersdorf östlich von Wien ist seit der Fusion seines SC mit dem nahe gelegenen FC Mannsdorf im Vorjahr die einzige österreichische Gemeinde mit mehr als 10.000 Einwohnern, in der es auf dem Papier nicht einmal zum Unterhauskick reicht (faktisch lässt der nun als FC Marchfeld Donauauen in Mannsdorf registrierte Verein seine zweite Mannschaft auf dem Sportplatz Groß-Enzersdorf auflaufen).

Wenn man alle 86 Gemeinden in ein Streudiagramm setzt, scheint sich zumindest bei den Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern eine Tendenz zu bestätigen: je größer, desto erfolgreicher der Fußball.

Da gibt es jedoch ein berechtigtes Aber.

Denn wer aufmerksam war, wird erkannt haben, dass bisher nur sieben Bundesligisten aufgezählt wurden, obwohl Österreichs höchste Liga zwölf Teilnehmer zählt. Das liegt daran, dass wir der Frage nachgegangen sind, ob es in den größten der 86 einwohnerstärksten Gemeinden auch den besten Fußball gibt – nicht aber umgekehrt: ob es für guten Fußball überhaupt große Gemeinden braucht.

Und dem scheint nicht wirklich so. Die restlichen fünf Bundesligisten kommen allesamt aus Ortschaften zwischen 6.700 und 8.700 Einwohnern: Maria Enzersdorf (FC Flyeralarm Admira Wacker Mödling), Wattens (WSG Swarovski Tirol), Mattersburg (SV Bauwelt Koch Mattersburg), Altach (Cashpoint SCR Altach) und Hartberg (TSV Prolactal Hartberg).

Auch zwei der drei bisher noch unerwähnt gebliebenen Orte mit Zweitligafußball, Pasching (FC Juniors OÖ) und Horn (SV Horn), sind Gemeinden in dieser Größenordnung. Nur ein Zweitligaverein ist in einer Siedlung zu Hause, die noch am ehesten als "Dorf" bezeichnet werden kann: Der SV Licht-Loidl Lafnitz ist in einem 1.445-Seelen-Ort tätig.

Erstligaalltag abseits der Großstadt: Marco Meilinger (links) spielt in der 6.753-Einwohner-Gemeinde Altach, Christian Klem in der 6.687-Einwohner-Gemeinde Hartberg.
Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

So ergibt sich im arithmetischen Mittel, dass der durchschnittliche österreichische Bundesligaverein in einer 368.400 Einwohner großen Stadt beheimatet ist. Doch das ist die Krux des arithmetischen Mittels: Städte solcher Größenordnung existieren in Österreich gar nicht.

Aussagekräftiger ist wohl der Median, und der liegt in der Bundesliga mittlerweile bei rund 20.000 Einwohnern: Jeweils die Hälfte der Vereine spielt in einer größeren, die andere Hälfte in einer kleineren Stadt.

Die Kleinstadt wird zur Norm

Aber das war nicht immer so: Bis zur Jahrtausendwende war tatsächlich noch die Großstadt die Norm und die Kleinstadt die Ausnahme. Obwohl mit der Einführung der Staatsliga 1949/50 die höchste Fußballklasse für Bundesländervereine geöffnet wurde, dominierten über Jahrzehnte weiterhin Wiener Klubs, in der Folge auch solche aus Graz und Linz.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich das gedreht. Vereine aus kleineren Orten wie Pasching, Mattersburg oder Altach kamen dazu, zuletzt auch aus Hartberg und Wattens.

So bilden in der laufenden Saison Teams aus Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern mit fünf Vertretern erstmals die größte Gruppe unter den Bundesligisten; aus Wien, Graz und Linz stammen hingegen nur mehr vier Vereine.

Diese Entwicklung lässt sich auch an den Finalteilnehmern des zweiten bundesweiten Wettbewerbs, des ÖFB-Cups, ablesen. Dem Regulativ nach war dieser bis in die 1950er-Jahre ebenfalls eine reine Wiener Angelegenheit. Nach der Zulassung für Vereine aus den acht anderen Landesverbänden dominierten Wiener, Grazer und Linzer Klubs für Jahrzehnte das Geschehen.

Erst ab den späten 1980ern drängten vermehrt Klubs aus Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern bis in die Endspiele vor, seit etwa 15 Jahren sind sie auch dort zu einem Maßstab geworden.

Die Ruralisierung des österreichischen Fußballs lässt sich also kaum leugnen. Aber nahm sie auch negativen Einfluss auf ihn?

Auf die Zuschauerstatistik jedenfalls nicht. Tendenziell steigen die Besucherzahlen seit Gründung der Bundesliga mit der Saison 1974/75 beständig, wenn auch mit Ausreißern nach oben und unten.

Die jüngsten Zuwächse sind zwar quantitativ hauptsächlich auf die Fanmagneten Rapid, Sturm und Salzburg zurückzuführen. Doch auch Hartberg, Mattersburg und Altach erreichten im ablaufenden Jahrzehnt mit 3.000 bis 4.000 Zuschauern pro Spiel zum Teil doppelt so viele Besucher wie die Großstadtvereine First Vienna FC, Wiener Sport-Club oder SK Voest Linz Mitte der 1980er-Jahre.

Ganz ähnlich schaut es bei der internationalen Konkurrenzfähigkeit aus. Für die Uefa-Fünfjahreswertung werden die Erfolge der nationalen Europacupvertreter herangezogen, und auch darin hat sich Österreich seit den 1970er-Jahren markant verbessert.

Verantwortlich dafür waren wie bei den Zuschauerzahlen vor allem die Großstadtklubs. Die Kleinstadtvereine scheinen der Qualität der Liga aber zumindest nicht geschadet zu haben. Sie schrieben wie Altach, Wolfsberg oder Grödig auch einige wertvolle Punkte in der Fünfjahreswertung an.

Das über lange Jahre gehörte Argument, Österreich verfüge nicht über die Qualität für eine 16er- oder 18er-Liga, scheitert heute zumindest nicht mehr an der Wettbewerbsfähigkeit der Kleinstadtvereine. Und auch wenn der erste Ligatitel eines solchen wegen des singulären Phänomens FC Red Bull Salzurg noch länger auf sich warten lassen könnte, scheint es keine Großstadt und schon gar keine Millionenstadt mehr zu brauchen, um im Profifußball mithalten zu können.

Es reicht offenbar die Infrastruktur einer 8.000-Einwohner-Gemeinde.

Und die von Wolfsberg sowieso. (Michael Matzenberger, 12.9.2019)