Es gibt ein Land namens Tschuschistan, und Ottakring ist seine Hauptstadt. Was ist das für ein Land? In den Worten der Rap-Musikerin Esra Özmen "die utopische Vorstellung eines Gebiets, wo alle willkommen sind und auch dieses Gefühl haben. Wo alle ihr Tschuschen-Life leben können." Esra und ihr Bruder Enes sind in Österreich geboren, ihre Eltern kommen aus der Türkei. Ihr neues Album heißt "Tschuschistan".

"I haaß Kolarić, du haaßt Kolarić, warum sogn's zu dir Tschusch?" Diese Aufschrift auf einem preisgekrönten Plakat wurde vor Jahrzehnten berühmt. Es zeigte einen kleinen österreichischen Buben und einen baumlangen jugoslawischen Gastarbeiter.

Inzwischen sind die Kinder und Enkel dieser balkanesischen und türkischen Gastarbeiter erwachsen geworden und haben dem Wort Tschusch eine neue Bedeutung gegeben. Es gibt die Tschuschenkapelle. Willi Resetarits, Starmusiker und Burgenlandkroate, nannte sich schon einmal Tschusch. Und Esra Özmen sagt: "Langsam, langsam klingt es fast angeberisch. Ich bin Tschusch, zu sagen hat eine Kraft, die positiv wirkt."

"Etwas dazwischen"

Diese Jungen bilden die Avantgarde derjenigen, die offiziell "Menschen mit Migrationshintergrund" heißen und von vielen aufgrund ihrer Namen immer noch als verdächtige bis unerwünschte Ausländer betrachtet werden. Wie sehen sie sich selbst? Enes Özmen sagt, als Türke betrachte er sich nicht. Aber auch nicht als Österreicher. "Tschusch, Migrant, das geht." Und seine Schwester erzählt, sie habe Nein gesagt, als der damalige Integrationssekretär Sebastian Kurz sie als sogenannte Integrationsbotschafterin haben wollte. Sie hätte es unsympathisch gefunden, ohne Kritik am System, gleichsam von Tschusch zu Tschusch, anderen erklären zu sollen, wie es "richtig" geht.

Die Rap-Musikerin Esra Özmen bei der Eröffnung der Wiener Festwochen 2019.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Das ist immer noch die geltende Norm hierzulande, auch von Wohlmeinenden: entweder "richtiger Österreicher" ohne Wenn und Aber oder Ausländer. Da ist kein Platz für die mittlerweile Hunderttausenden, die weder das eine noch das andere sind, sondern, in den Worten von Enes Özmen, "etwas dazwischen". Die "Falter"-Kolumnistin und AHS-Lehrerin Melisa Erkurt, Kind bosnischer Zuwanderer, beschreibt berührend "den Schmerz, wie ihn nur jemand fühlen kann, der sich so sehr nach einer Heimat sehnt, dem dieses Gefühl aber verwehrt wird, egal was er macht".

Tschuschen und Migranten haben mittlerweile einen festen Platz in der Kulturszene, nicht nur in der Musik, auch in der Literatur: der gebürtige Pole Radek Knapp, der gebürtige Bulgare Ilija Trojanow, der gebürtige Israeli mit rumänischem Hintergrund Doron Rabinovici und viele andere. In der Politik haben sie ihn nur ansatzweise, ebenso in den Medien. Da würde es nicht schaden, sich daran zu erinnern, dass in den Blütejahren Wiens um 1900 "fremde" Zuwanderer eine entscheidende Rolle gespielt haben. Ganz Wien war damals eine Art Tschuschistan.

Gut, werden jetzt viele sagen, aber die Leute sollen sich halt integrieren. Aber was heißt das? Alle Wurzeln kappen? Oder doch etwas von den heimischen Traditionen bewahren und neue übernehmen? Die jungen Musiker vom Hip-Hop-Duo Esrap haben eine ziemlich überzeugende Antwort gefunden: Sie sind Tschuschen aus Ottakring. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 28.8.2019)