Syrer warten in Istanbul darauf, dass sie mit Bussen in ihre Heimat zurückgebracht werden – freiwillig.

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Für viele Syrer war das Nachbarland Türkei lange Zeit eine der besten Optionen, um dem Bürgerkrieg zu entkommen. Bis 2015 war die Grenze offen, jeder Flüchtling erhielt einen Gaststatus inklusive Arbeitserlaubnis. Wer nicht für sich selbst aufkommen konnte, dem blieb noch das Flüchtlingslager, wo zumindest für die rudimentärsten Bedürfnisse gesorgt wurde. 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien hat Ankara seit Beginn des Krieges aufgenommen. Seit einigen Monaten aber hat sich die Stimmung im Land gedreht.

Vor drei Jahren sagten noch 57 Prozent der Türken, sie hätten kein Problem, mit Syrern in einem Stadtviertel zu wohnen. Mittlerweile bezeichnen laut einer Umfrage über 90 Prozent die Syrer "als Problem". Immer häufiger kommt es auch zu Ausschreitungen. So zog Anfang Juli ein Mob durch das Istanbuler Viertel Küçükçekmece und zerstörte syrische Geschäfte. In Istanbul leben rund 500.000 registrierte Flüchtlinge aus Syrien. Schätzungen zufolge liegt die Zahl aber tatsächlich bei einer Million.

Frist für Syrer verlängert

Anfang Juli gab das Innenministerium bekannt, dass nichtregistrierte Flüchtlinge Istanbul zu verlassen haben. Das Problem: Hunderttausende Syrer sind in kleineren Städten gemeldet, leben aber in Istanbul, wo die Chancen auf eine – meist illegale – Arbeit größer sind. Innenminister Süleyman Soylu setzte als Ultimatum den 23. August. Dieses wurde mittlerweile bis 30. Oktober verlängert.

Seitdem mussten laut Regierung rund 16.000 Flüchtlinge die Stadt verlassen, darunter rund 4500 Syrer. Die meisten von ihnen wurden zurück in die Provinzen geschickt, in denen sie ursprünglich registriert worden waren. Einige Hundert Syrer, die gar keine Registrierung vorweisen können, wurden über die syrische Grenze nach Idlib gebracht. Neue Registrierungen in Istanbul wurden bis auf wenige Ausnahmen gestoppt.

Angst vor Islamisierungsschub

Grund für diese neue Politik ist einerseits die Oppositionspartei CHP, die im Bürgermeister-Wahlkampf in Istanbul auf eine flüchtlingskritische Politik setzte. Während die religiöse Wählerschaft der AKP die Syrer eher als Glaubensbrüder sieht, ist das Misstrauen bei der kemalistisch-säkularen Wählerklientel der CHP größer. Dort befürchtet man einen zusätzlichen Islamisierungsschub durch die Neuankömmlinge – deren zumeist geringer Bildungsgrad ist ein Nährboden für religiöse Extremisten.

Vor allem aber ist es die Wirtschaftskrise, die einen Stimmungsumschwung hervorrief. Seit bald einem Jahr steckt die türkische Wirtschaft in einer Rezession. Die Arbeitslosigkeit hat mit 13 Prozent ein Zehnjahreshoch erreicht. Gleichzeitig leiden viele Türken unter den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen.

Ankara will auch deswegen einen Sicherheitsstreifen auf der syrischen Seite der Grenze. In der 35 Kilometer breiten Zone sollen syrische Flüchtlinge angesiedelt werden und diese so einen Puffer bilden. Ob das funktioniert, ist allerdings mehr als fraglich. Bisher haben rund 350.000 Syrer die Türkei verlassen und sind in ihr Heimatland zurückgekehrt.

Neue Flüchtlingsbewegung

Problematisch ist zudem, dass sich gerade eine neue Flüchtlingsbewegung Richtung Türkei entwickelt. Russische und syrische Jets haben Rebellenstellungen in Idlib bombardiert und bewegen sich auf die Stadt Khan Sheikhoun zu.

Berichten zufolge haben sich rund 60.000 Menschen auf den Weg gen Norden gemacht. In Idlib halten sich rund 400.000 Flüchtlinge aus verschiedenen Gebieten Syriens auf. Eine zwischen der Türkei, Russland, dem Iran und dem Assad-Regime ausgehandelte Waffenruhe ist zerbrochen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 29.8.2019)