Demagogen tun, was Demagogen eben tun. Zum Beispiel: Unwahrheiten verbreiten, solange sie der eigenen Macht dienlich sind. Der britische Premierminister Boris Johnson lieferte am Mittwoch schon zum zweiten Mal ein anschauliches Beispiel dafür. Sein Plan, das Parlament bis tief in den Londoner Herbst hinein in Zwangsurlaub zu schicken, habe keinesfalls mit dem Brexit zu tun, sondern mit dem Gesundheitssystem NHS, das unter seiner Ägide wieder aufblühen solle. Und dafür sei eine Suspendierung des Parlaments eben nötig.

Schwindeln hat bei Boris Johnson und seinesgleichen aber schon seit längerem System. Mithilfe des beim Volk verlässlich Emotionen auslösenden Schlagworts NHS haben die Brexiteers die Briten schon einmal hinters Licht geführt: 2016 nämlich, als die Brexit-Misere ihren Ausgang nahm. 350 Millionen Pfund sollten nach dem EU-Ausstieg Woche für Woche anstatt nach Brüssel in die Töpfe von Großbritanniens Gesundheitswesen fließen. Die Lüge war bald so offensichtlich, dass sich ihre Erfinder schon kurz nach dem Referendum selbst davon distanzierten.

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Briten befürchten, dass Premier Boris Johnson die lebhafte britische Demokratie nachhaltig beschädigt hat.
Foto: AP Photo/Kirsty Wigglesworth

Dass hinter dem so harmlos klingenden Ansinnen der "prorogation" nun aber ein geradezu monströses Maß an Demokratieverachtung steckt, wenn die Suspendierung des gewählten Unterhauses ausgerechnet zehn Wochen vor dem wichtigsten Datum der jüngeren britischen Geschichte stattfindet, dürfte der harte Brexit-Kern seiner Wähler in Kauf nehmen. Dass den Abgeordneten dann nämlich keine Zeit mehr bleibt, um einen desaströsen No-Deal-Brexit noch zu verhindern oder zumindest zu verzögern, ist schließlich der eigentliche Zweck des Manövers.

Johnsons sinistrer Plan

Zwar hagelt es nach der Ankündigung des Premiers Kritik von allen Seiten. Längst nicht nur die Labour-Opposition steigt gegen die drohende Suspendierung auf die Barrikaden; auch ehemalige Minister aus dem Kabinett Theresa Mays lassen ihrer Empörung in seltener Einigkeit freien Lauf. Johnson reiße die ganze Macht an sich, schimpfen sie, und er begehe "Frevel" am Parlamentarismus. Und das alles, suggerieren sie, um den No-Deal-Brexit durchzuboxen. Das mag richtig sein, und der Zweck, Johnson dazwischenzufunken, heiligt die Mittel.

Und doch spricht auch ein gehöriges Maß an Frust aus den Wehklagen der chronisch und quer über die Parteilinien zerstrittenen Abgeordneten. Schließlich waren die "right honourable friends" monatelang nicht imstande, sich auf einen vergleichsweise geordneten Brexit zu einigen. Nun, da es fünf vor zwölf ist und Johnson zu brachialeren Mitteln greift als May, könnte es – sofern es nicht doch noch in letzter Minute zu einen Misstrauensantrag kommt – dafür zu spät sein. Das allein ist schon eine Katastrophe.

Fest steht auch, dass Johnsons sinistrer Plan die so lebhafte britische Demokratie schon jetzt nachhaltig beschädigt hat. Aber einem Demagogen von seinem Schlag ist das ebenso egal wie das NHS. (Florian Niederndorfer, 28.8.2019)